Weiterleben
als Widerstand
''Land meiner Mörder, Land meiner
Sprache'' – eine Ausstellung über die Autorin Grete Weil
Was muß das für ein Ort gewesen sein,
überall Bücher, Shakespeare, Dickens, Goethe, eine ganze Zimmerwand hoch –
und doch ein Gefängnis. Hinter all den Büchern lag eine Matratze, auf der
versteckt über eineinhalb Jahre lang eine Frau schlief, die jüdische
Schriftstellerin Grete Weil. Es ist der Herbst 1943, Amsterdam ist von
Deutschen besetzt. Ihr Mann Edgar ist 1941 im KZ Mauthausen ermordet worden,
sie und ihre Mutter leben in der Angst, entdeckt zu werden.
Die deutsche Jüdin lebte weiter, weil ihre Mutter
allein in Amsterdam nicht zurechtgekommen wäre. „Ich hatte genügend
Schlaftabletten, um mich umzubringen. Aber weiterleben war der letzte
Widerstand, der einem blieb“, sagt sie 55 Jahre später in ihrem Haus im
Münchner Vorort Grünwald. „Alle Juden sollten sterben, also durften
nicht alle sterben“, fügt die zerbrechlich wirkende 91jährige an. In
dieser extremen Lebenssituation beschloß sie, in ihren Romanen Zeugin
des Schmerzes zu sein.
Welches Leid ihr in den Kriegsjahren widerfuhr,
läßt sich schwer in Worte fassen. Ihre behütete Jugend in München in
einer großbürgerlichen, liberalen Familie konnte sie nicht auf derartige
Ereignisse vorbereiten. „Ich war ein verwöhntes Kind“, schreibt sie in
ihrer gerade erschienenen Autobiographie „Leb ich denn, wenn andere
leben“ (Nagel & Kimche). Um so heftiger haben sie die Verfolgung, das
allmähliche Wegbrechen jeglicher Sicherheit, jeglicher Menschlichkeit
getroffen. „Der Schmerz war am Anfang so groß, daß ich nicht wußte, wie
ich weiterleben sollte. Er hat nie nachgelassen, wächst jedes Jahr.“
Eine Ausstellung „Land meiner Mörder, Land meiner
Sprache“ in der Monacensia versucht, sich den Schlüsseljahren ihres
Lebens mittels historischer Dokumente und Photographien anzunähern. Der
Begleitband von Lisbeth Exner dokumentiert das Leben der
Schriftstellerin. Es sind liebevoll und sorgfältig ausgewählte
Dokumente, die den Schrecken belegen. Doch wie nahe man der Wahrheit
kommen kann, weiß Grete Weil am besten. „Man kann darüber schreiben,
aber man kann nicht erzählen, wie es wirklich war“, sagt sie.
Also können auch wir uns nur annähern.
Selbstbewußt, fast unbeschwert, erzählt Weil von ihrer Jugend. Je näher
das Jahr 1933 rückt, um so ernster wird der Tonfall. 1932 trifft sie
zufällig Adolf Hitler im Münchner Gärtnerplatztheater, als sie mit ihrem
Mann eine „seichte Operette“ besucht. In der Pause – auf der
heruntergelassenen Leinwand wird Werbung gezeigt – spricht Hitler sie
an: „Das mag ich gar nicht, durch die Reklame wird man aus aller
Illusion gerissen.“ In ihrer Biographie schreibt sie dazu: „Es war zu
absurd, sich von diesem seichten Zeug in Illusionen versetzen zu lassen.
Als ich mich umdrehte, sah ich den Sprecher, sein Bärtchen, seine
Haarsträhne, seine stechenden Augen. Als ich ihn so sah, schien er mir
nichts als ein Schmierenschauspieler zu sein.“ Das deutsche Volk könne
unmöglich auf diesen Clown hereinfallen, sagte sie danach zu Edgar. Daß
sie sich täuschte, hat sie erfahren.
Die Jahre des Exils beginnen 1933. Edgar Weil
flieht nach Amsterdam, sie folgt 1935. Sie wollte als Photographin dort
arbeiten – die Ausstellung widmet dieser unbekannten Seite Grete Weils
einen ganzen Raum, angesichts ihres literarischen Werks etwas zuviel.
„Ich war nur eine mittelmäßige Photographin“, sagt sie über ihre Bilder.
Grete Weil glaubte, sie könne in Europa leichter
Fuß fassen als in den USA, der zweite große Irrtum, für sie der
bitterste. „Ich war zu bequem, in die Emigration nach Amerika zu gehen“,
erzählt sie. „Auch wenn Edgar 1941 nicht festgenommen worden wäre: Es
wäre keine Aussicht gewesen, zu zweit den Krieg zu überleben.“ Ist es
feige, wenn man Angst hat, ohne Perspektive auszuwandern, statt an eine
Zukunft im Amsterdamer Exil zu glauben? Grete Weil spricht diesbezüglich
noch heute von Schuld.
Jeder, der den Krieg überlebt habe, sei schuldig,
hat Karl Jaspers gesagt. Grete Weil stimmt zu. „Jeder, der nichts gesagt
hat, war irgendwie feige. Und Feigheit ist Schuld.“ Schuld und Schmerz,
ihre großen Themen. Sie konnte nicht verhindern, daß ihr Mann gefoltert
und getötet wurde. Als sie später Mauthausen besucht, hält sie es dort
nicht aus.
Nach Kriegsende gibt es nur noch eine Aufgabe für
sie, gegen das Vergessen anzuschreiben. „Vergessen tötete die Menschen
noch einmal. Vergessen durfte nicht sein. Und so schrieb ich weiter, und
immer häufiger wurde ich gelesen, und das war ein schwacher Abglanz vom
Glück“, wird sie später sagen, als sie nach Jahrzehnten der
Nichtbeachtung mit 74 Jahren den Durchbruch als Schriftstellerin mit
„Meine Schwester Antigone“ schafft. Der 1963 erschienene Roman
„Tramhalte Beethovenstraat“ wurde neu aufgelegt. „Generationen“, „Der
Brautpreis“, „Spätfolgen“ schlossen sich an. Fiktion und
Autobiographisches mischen sich in allen Romanen.
Die Liebe zur deutschen Sprache und zu Menschen
aus Deutschland hat sie im Jahr 1947 wieder zurückgeführt in das „Land
ihrer Mörder“. „Irgendwie bin ich damals totgemacht worden“, sagt sie
leise. Ihre Biographie endet mit einem Brief vom 1. August 1947 an die
jüdische Autorin Margarete Susman, in dem sie ihre Rückkehr begründet:
„Nicht das ganze deutsche Volk war an Verbrechen beteiligt. Ich hatte
nie das Gefühl, wenn mir ein Deutscher die Hand gegeben hat, der könnte
ein Mörder sein. Ich glaube, Nazi sein ist eine Eigenschaft, eine
gräßliche, unmenschliche, antihumane.“
Während des Gesprächs liegt ihr Hund Shagi zu
ihren Füßen. Sie beugt sich zu ihrem Begleiter im Alter hinunter,
streichelt ihn kurz, lächelt. „Ich hatte immer Hunde in meinem Leben.
Hunde sind etwas Herrliches. Ich mag ihr Wesen, ihre Zärtlichkeit“, sagt
sie. Mehr Halt gaben ihr in ihrem Leben wohl nur Bücher. „Shakespeare
hat mich im Krieg gerettet. Edgar hat einmal gesagt, Gott hat den Juden
alles genommen, aber er hat ihnen die Möglichkeit zu lesen gelassen.“
(Bis 25. September, Maria-Theresia-Str. 23.)
HUBERT FILSER
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