Nicht
stumm gelitten
Richard Chaim Schneiders Wut und die jüdische Frage
Das Thema bleibt, das Thema unseres
nationalsozialistischen Erbes. Dabei sah es doch so aus, als könne man es
endlich ad acta legen. Dann kam das Buch von Daniel Goldhagen, die
Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht erregte Ärgernis, und es
entstand ein erbitterter Streit über die Frage nach der Verstricktheit von
vielen in die deutschen Verbrechen, nach der Schuld am Massenmord.
Es wurde gestritten – und Richard Schneider litt. Einmal wollte
er sich nicht beteiligen an dem Disput um den Holocaust, ein Wort, das
manche Deutsche gern benutzen, weil so ein Fremdwort hilft, aus der Tat
eine Fremdtat zu machen. Einmal wollte sich Schneider nicht ins Getümmel
begeben, in dem er seit Jahren lautstark und eloquent mitgeredet hatte.
Denn seit einer Weile schon beschlichen ihn Zweifel an der Seriosität
des Unterfangens, und er nahm sich den zynischen Spruch von den
florierenden Geschäften mit dem Holocaust – there’s no business like
Shoah business“ – zu Herzen und nahm ihn unter die Lupe und fand, was er
finden wollte.
Und untersucht den Rummel um Goldhagen, rekapituliert noch
einmal und länglich die ganze Geschichte der Pressekampagnen und
Professorenschelte, auch seinen eigenen Disput mit Gräfin Dönhoff
wiederholt er. Sie hatte geschrieben: „Auch ist die Befürchtung, daß das
Goldhagen Buch den mehr oder weniger verstummten Antisemitismus wieder
neu beleben könnte, leider nicht ganz von der Hand zu weisen.“ Ein
gefährlicher, entlarvender Satz. Heißt er doch, daß letztlich die Juden
selber Schuld sind an ihrem Ungemach. Schneider hat sich empört und ist
von vielen dafür gerügt worden. Und recherchierte im Schreibwerk der
Journalistin und förderte noch manch anderen unheilvollen Satz zutage.
Der vermutlich unbewußte Antisemitismus der liberalen
Vorzeigejournalisten unserer Gesellschaft – bei Augstein ist er seit
langem sichtbar geworden– erschrickt ihn, wie so vieles andere auch. Die
Diskussion um das Holocaust Mahnmal in Berlin zum Beispiel. Auch so ein
Spektakel, in dem sich Peinlichkeiten und Eitelkeiten und
Profilneurosendie Hand reichen, um gemeinsam den Tanz der Betroffenheit
vorzuführen. Was Schneider als „wahre Lust am Fetisch Holocaust“ zu
entdecken meint, während er über die Diskussion um die Ästhetik des
Denkmals berichtet, hat Saul Friedländer schon Anfang der 80er Jahre
geschrieben, in seinem scharfsinnigen Essay über „Kitsch und Tod. Der
Widerschein des Nazismus“. Schneider hat weniger Fragen und dafür mehr
Antworten. Und Wut. Ein Beispiel: „Jede deutsche Kleinstadt, die etwas
auf sich hält, veröffentlicht nun eine Geschichte ihrer Juden im Rahmen
einer Untersuchung der Stadtgeschichte während des Dritten Reiches. . .
. Niemand, bis auf einige Historiker, braucht diese Bücher, sie dienen
lediglich als Beleg für die angebliche Bereitschaft der ,Aufarbeitung
der Vergangenheit’.“ Und gäbe es sie nicht, wäre Schneider nicht der
erste, der die verschwiegene Vergangenheit aufzudecken forderte?
Der Autor beschäftigt sich damit, wie der Holocaust vereinnahmt
wurde – „In jeder größeren Stadt in den USA existieren mittlerweile
Holocaust-Denkmäler und -Museen“ – wie er in Israel auch als
„idologisches Mittel mißbraucht wurde“ – und hat seinem Segev gut
gelesen, der ein dickbändiges Werk darüber schrieb, wie man mit dem Erbe
des Holocaust in Israel umgeht. Schneider geht dem Erfolg von
„Schindlers Liste“ nach und dem von Klemperers Tagebüchern – die nur
deshalb von den Deutschen so von Herzen geliebt würden, weil ihr der
„Kulturjude“ schriebe, der deutsche Jude, der assimilierte Jude,
derjenige, der in seiner Qual beschlossen hatte, die Nazis als undeutsch
zu betrachten. Welch ein Labsal seien solche Sätze für deutsche Ohren.
Für den, der sich mit dem Thema beschäftigt, bietet die Lektüre
wenig Neues. „Ist nicht die jüdische Existenz in Nachriegsdeutschland
als Ganzes eine Lüge, ein Leben mit und durch den Fetisch Holocaust?“ Er
stellt keine neuen Fragen. Aber er stellt sie.
„Auch dieses Buch ist paradoxerweise Teil dessen, was es
anprangert. Ich bin mir dieser Doppelbödigkeit durchaus bewußt. Doch das
ist vielleicht die Tragik der Nachkriegsgenerationen. Wir wissen nicht,
wie man dem Ungeheuerlichen begegnet; wir haben keine Wege, keine
Mittel, keine Methoden.“ Deshalb wohl hat er Romanauszüge aus André
Schwarz-Barts „Der Letzte der Gerechten“ in seine Reportagen, Analysen
und Selbstgespräche verwoben. Ein dramaturgischer Kunstgriff. Und aus
diesen Texten, erschütternd und leuchtend, weil hier ein Mann der
Unmenschlichkeit seine Menschenliebe entgegensetzt, und in der Gaskammer
mit denen, die er liebt, ermordet wird, aus diesen Texten wächst ein
moralischer Imperativ, der den Leser beschämt und trifft und nicht
entläßt.
RICHARD CHAIM SCHNEIDER: Fetisch Holocaust. Die
Judenvernichtung – verdrängt und vermarktet. Kindler Verlag 1997. 287
Seiten, 36 Mark.
GABRIELE VON ARNIM
Die Autorin ist Publizistin in Bonn.
SZ vom 01.12.1997
Copyright © 1997 - Süddeutsche
Zeitung. SZonNet 3.1
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