Ein wahres Meisterwerk:
In der Werkstatt des Thoraschreibers
Rabbiner
Zwye E. Alonie
Die Rebezze öffnet die Tür
und führt den Besucher einen langen dunklen
Flur entlang, an dessen Ende die Werkstatt
liegt. Außer dem Meister arbeiten hier noch
zwei weitere Sofrei Stam und drei Schüler.
Die Schreiber stehen gebeugt an großen
Holztischen, deren Arbeitsplatten
schräggestellt sind, und die an die Tische
von Bauzeichnern erinnern. Obwohl es taghell
ist, brennt Licht.
Kein Wort wird gesprochen,
nur das leise Kratzen der Federkiele auf dem
Pergament ist zu hören. Thorarollenschreiben
oder –reparieren erfordert große
Konzentration, das versteht der Gast auch
ohne Erklärung. In den Regalen sind
Thorarollen gestapelt, die zur Reparatur
hierher gebracht wurden. Und wo noch Platz
ist, hängen Segenssprüche an den Wänden.
Der Rabbiner erzählt leise und bedächtig von
seinem Handwerk, das außer Talent und noch
mehr Erfahrung vor allem Demut braucht.
Demut vor der jüdischen Überlieferung und
dem Wort G’ttes.
Die Wohnung des Rabbiners und Sofers
(Thoraschreibers), befindet sich in einem
unscheinbaren Mehrfamilienhaus in einer
Seitenstraße der Bezal’el in Bnei Brak. Nur
wenig von dem Lärm und Treiben der bekannten
Einkaufsstraße dringt bis hierher.
Während die Schüler das Schreiben üben,
indem sie Mesusot und Tfillin reparieren,
sucht der Sofer Klafim aus, die er in einem
Nebenraum aufbewahrt. "Klaf", bzw. Mehrzahl
"Klafim", so heißen die ca. ein Meter langen
Streifen Pergament, die zusammen genäht eine
Rolle ergeben. Das Pergament wird speziell
für diesen Zweck in Handarbeit aus der Haut
rituell reiner Tiere gefertigt. Es stammt
von koscher geschächteten Kühen, Schafen,
Ziegen, Kälbern oder Wild. Die Tierhaut muss
auf eine spezielle Art gegerbt und
zugeschnitten werden, eine aufwendige
Prozedur, denn der Klaf muss dünn und
geschmeidig und gleichzeitig strapazierfähig
und haltbar sein. Früher hat man gerne die
Häute von Wild verwendet, weil sie eine
feine Struktur haben und die Tinte, die
keine Metallzusätze enthalten darf, gut
hält. Doch es hat sich herausgestellt, dass
der Klaf nicht strapazierfähig genug ist und
gerne reißt.
Feine Klafim stammen von Kälbern, von denen
nicht selten drei ihr Leben lassen müssen,
um einen guten Klaf zu erhalten.
Zusammengenäht werden die Klafim mit Gid
(Mehrzahl "Giddim"). Das ist ein Faden, der
aus Tiersehnen gewonnen wird.
Es gibt verschiedene Schriftarten für
Thorarollen, die von Bet Josef im
Gesetzesbuch "Schulchan Aruch" genau
definiert wurden. Man unterscheidet grob die
aschkenasische und sephardische Tradition.
Jeder Buchstabe hat eine bestimmte
Schreibweise. Es gibt Meister unter den
Sofrei Stam, die es verstehen so zu
schreiben, dass jeder Buchstabe aussieht wie
der andere. "Ein Meisterwerk wie ein
Rembrandt", schwärmt der Rabbiner. Jeder
Buchstabe muss ein Buchstabe sein, einzelne
Worte müssen einzelne Worte sein und dürfen
nicht aneinander kleben. Das Schriftbild
muss klar sein. Die Preise für solche
kalligraphischen Meisterwerke liegen je nach
Qualität des Klafs zwischen 20.000 und
150.000 Dollar. Angesichts der Tatsache,
dass ein Sofer rund ein Jahr braucht, um
eine neue Thora zu schreiben, verwundert
dieser Preis nicht.
Der kleinste Fehler macht die Thorarolle für
den rituellen Gebrauch untauglich. Fehlt
z.B. ein Buchstabe oder sind Buchstaben
gebrochen, ist sie unleserlich oder
gerissen, so ist die Thorarolle unkoscher,
d.h. sie darf nicht mehr verwandt werden.
Die alten, kaputten Rollen werden auf dem
Friedhof beerdigt.
Der Rabbiner erläutert die zwei Arten der
Aufbewahrung einer Thorarolle, die
sephardische und die aschkenasische. Bei den
Sepharden wird die Thora in einer Art runder
Holzbox aufbewahrt, während die Aschkenasen
die Thorarolle auf Holzstöcken, sogenannte
Lebensbäume (Hebräisch "Atzej Chajim")
aufrollen und mit einem Mäntelchen bedecken.
Das ist häufig aus blauem oder rotem Samt
und reich bestickt. Hier kann sich z.B. auch
der Spender einer Thorarolle verewigen.
Zum Schluss zeigt der Rabbiner stolz eine
Thorarolle, die fast fertig ist. Es fehlen
nur noch die letzten 12 Buchstaben. Sie zu
schreiben, hat der Spender die Ehre. Das
Spenden einer Thorarolle ist in der
jüdischen Tradition eine Mitzwa, eine gute
Tat. Und eine Thorarolle zu besitzen, soll
nach jüdischem Glauben Glück und Segen über
das Haus bringen. Eben noch gebeugt, ist der
Rücken des Mittsiebzigers nun gerade und der
Schleier vor den Augen ist verschwunden, sie
strahlen. Es ist ein Meisterwerk, sagen sie
stolz! Und der Besucher versteht auch ohne
Worte. Weitere
Informationen:
www.thorarollen.de |