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"Wenn Du frei sein willst":
Glaubenskampf um Jerusalem

Weltliche Israelis befürchten, dass ihre Hauptstadt nach der Bürgermeisterwahl von ultra-orthodoxer Lebensart geprägt wird.

Von Thorsten Schmitz

Den Spot auf YouTube sollte man sich auf nüchternen Magen anschauen. Man sieht darin einen jugendlichen Basketballspieler in Jerusalem, der gerade vom Training nach Hause kommt und sich in einer geräumigen Küche einen Fruchtshake zubereitet. Er hackt Bananen und Mangos und Kiwis und schüttet Milch in den Mixer, dazu singt eine von einer Gitarre begleitete junge Frau: "Wenn du frei sein willst, sei frei. Wenn du was ändern willst, dann tu's doch."

Dann hält der junge Mann kurz inne und verschwindet. Hat er etwas vergessen? Im Hintergrund hört man überdeutlich eine Klospülung. Der Basketballspieler fügt dem Fruchtshake seinen eigenen Kot bei, mixt das Ganze und trinkt es aus. Am Ende des Clips, der mit "Jerusalemer Masochismus" betitelt ist, wird gefragt: "Hast du es nicht satt, Scheiße zu fressen?"

Hinter dem unappetitlichen Videofilm verbirgt sich eine vor ein paar Wochen gegründete Gruppe junger Jerusalemer, die Israels Hauptstadt mit Blogs und bewegten Bildern (www.jblog.co.il) davor retten wollen, zur Hauptstadt der Intoleranz zu verkommen. Der Blog heißt schlicht "Not leaving Jerusalem" (Jerusalem nicht verlassen) und soll zweierlei bewirken: zeigen, dass nicht alle jungen Leute Jerusalem kampflos den Ultra-Orthodoxen überlassen und der Stadt den Rücken kehren, sowie dazu aufrufen, am 11. November bei den Bürgermeisterwahlen den weltlichen Kandidaten Nir Barkat zu wählen.

In den vergangenen fünf Jahren hat der ultra-orthodoxe Bürgermeister Uri Lupolianski von der Partei Vereinigtes Tora-Judentum die Geschicke der größten und ärmsten Stadt Israels geleitet - zum Missfallen der säkularen, also weltlich orientierten Mehrheit in Jerusalem, die gerne an Samstagen mit dem Auto fährt und sich nicht an freizügigen Reklameschildern stört.

Lupolianskis Bilanz fällt eher düster aus. Etwa 560.000 Menschen leben in Jerusalem, fast die Hälfte von ihnen unterhalb des Existenzminimums. Viele der großen religiösen Familien zahlen kaum Steuern, weil sie nicht arbeiten, sondern beten. Gleichzeitig gibt es keine bezahlbaren Wohnungen mehr. Vor allem reiche religiöse Ausländer kaufen Wohnungen in begehrter Innenstadtlage, die nur einen Fußweg von der Klagemauer entfernt sind, und verdrängen so Studenten und Familien aus der Mittelschicht, die zwar arbeiten müssen, sich aber die hohen Mieten nicht mehr leisten können.

Amit Poni, einer der Gründer des Internet-Blogs "Jerusalem nicht verlassen", sagt: "Wenn wir nicht jetzt schnell einen weltlichen Bürgermeister wählen, dann fällt bald die gesamte Innenstadt in die Hände vermögender Ultra-Orthodoxer." Die Zukunft sieht der 28-Jährige in diesem Fall düster: "Stell' dir dann eine Stadt vor, in der es komplett verboten wäre, am Schabbat Auto zu fahren, kein einziges Café aufhätte und alle Abteilungen der Stadtverwaltung nur der religiösen Klientel dienen würden." Amit Poni sieht den "pluralistischen Charakter" Jerusalems in Gefahr. In Wahrheit aber mangelt es in der Hauptstadt schon seit längerer Zeit an Vielfältigkeit und Offenheit.

Zwar machen die Ultra-Orthodoxen bislang nur etwa 30 Prozent der Stadtbevölkerung aus. Aber angesichts ihrer hohen Geburtenrate und ihres Einflusses im Bürgermeisteramt via Lupolianski, empfinden immer mehr Jerusalemer ihre Stadt als intolerant und ziehen ins "weltliche Mekka", nach Tel Aviv, wo Schwule Hand in Hand durch die Straßen laufen, Schweinefleisch verkauft wird und Geschäfte auch am Schabbat geöffnet haben. Der bisherige Bürgermeister Lupolianski hat in den vergangenen fünf Jahren mehrere Schnellstraßen errichten lassen, um die chronisch verstopfte Stadt von Autostaus zu entlasten, ansonsten ein Straßenbahnprojekt angeschoben, das wegen Korruption in den zuständigen Behörden und Baufehlern immer wieder stockt.

"Sex and the City ist tabu"

Die Armut Jerusalems hat Lupolianski nicht in den Griff bekommen, dafür aber den religiösen Charakter der Stadt gestärkt. Als in Israel landesweit der Kinofilm "Sex and the City" anlief und plakatiert wurde, fehlte in Jerusalem jeglicher Hinweis auf den Streifen. Die orthodoxen Fraktionen im Stadtparlament hatten ein Bilder- und Wortverbot durchgesetzt. Der Film lief zwar auch in Jerusalem, aber nur wer Zeitung las, wusste davon.

Geduldet hat Lupolianski auch, trotz massiver Proteste weltlicher Jerusalem-Bewohner, dass auf manchen sogenannten "koscheren" Buslinien Frauen hinten sitzen müssen und Männer auf den vorderen Sitzen Platz nehmen. Im ultra-orthodoxen Stadtviertel Mea Schearim sind die Geschlechter seit zwei Jahren sogar im Fußgängerverkehr getrennt: Auf einem Bürgersteig laufen die Frauen, gegenüber die Männer. Kleine Lebensmittelketten, die an Samstagen ihre Geschäfte geöffnet halten und (vorsorglich) nicht-jüdische Russen angestellt haben, müssen damit rechnen, dass Ultra-Orthodoxe ihre Läden in Brand setzen.

Ganze Straßenzüge in Jerusalem sind an Samstagen und an hohen Feiertagen bereits für den Autoverkehr gesperrt. Auf Veranstaltungen der Stadt singen auf Wunsch der Ultra-Orthodoxen nur noch Männer. Der religiöse Zwang in Jerusalem hat zu einem Exodus geführt. Jedes Jahr verlassen mehrere Tausend Bürger die Stadt und ziehen in die weltoffenen Städte entlang der Mittelmeerküste.

Als aussichtsreichster Kandidat bei den Bürgermeisterwahlen gilt Meir Porusch, ein 57 Jahre alter Rabbiner mit einem sehr langen weißen Bart. Porusch gehört, wie Noch-Bürgermeister Lupolianski, der Partei Vereinigtes Tora-Judentum an. Er hat zwölf Kinder und im Wahlkampf vor allem immer wieder betont, er wolle "den jüdischen Charakter Jerusalems" bewahren, wenn er gewählt würde. Darüber hinaus wolle er das Budget für Erziehung und Bildung vergrößern.

Blogger Amit Poni sieht darin nur eine versteckte Ankündigung, dass Porusch "noch mehr religiöse Schulen und Kindergärten" errichten würde. Zur Wahl antreten wird außerdem der 56 Jahre alte russische Milliardär Arcadi Gaydamak, der eigens für die Wahl die Partei Soziale Gerechtigkeit gegründet hat. Er machte im Libanon-Krieg Schlagzeilen, als er Tausenden Israelis die Flucht vor dem Raketenregen der Hisbollah ermöglichte und ein paar schöne Tage an den Stränden von Eilat am Roten Meer finanzierte.

Gaydamak, der nur rudimentäres Hebräisch spricht, lebt gar nicht in Jerusalem, sondern eine Stunde entfernt im schicken Villenort Herzlija am Mittelmeer. Der heimatlose Russe, der vor den Finanzbehörden in der Heimat nach Israel geflüchtet ist und wegen seiner Involvierung in Waffengeschäfte mit Angola von der französischen Polizei gesucht wird, wird laut Umfragen aber kaum Stimmen bekommen. Nur geringe Chancen werden auch Dan Birron eingeräumt, der für die linke Partei Grünes Blatt antritt und der säkularen Mehrheit eine Stimme geben möchte.

Dagegen dürfte Amit Ponis Lieblingskandidat, der 50 Jahre alte Nir Barkat, sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Ultra-Orthodoxen Porusch liefern. Barkat ist in Jerusalem geboren, hat Karriere in der Hightech-Branche gemacht und eines der ersten Anti-Virus-Programme für Computer entwickelt. Vor sechs Jahren entschied er sich für die Politik, gründete die Partei Jerusalem wird siegen und erzielte bei den vorangegangenen Wahlen zum Amt des Bürgermeisters auf Anhieb 43 Prozent der Stimmen. Der Oppositionsführer im Stadtparlament würde als Bürgermeister "das Ausbluten von Jerusalem" stoppen, der Stadt zu einem Wirtschaftsboom verhelfen und sie auch für weltliche Bürger attraktiv machen. Seine Überzeugungsarbeit kann er gleich an ganz hoher Stelle beginnen: Die Außenministerin und designierte Regierungschefin Tzipi Livni, Verteidigungsminister Ehud Barak und Staatspräsident Schimon Peres wohnen allesamt in Tel Aviv.

Von Thorsten Schmitz, Süddeutsche Zeitung v. 17.10.2008
Mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung und der DIZ München GmbH

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