Zwischen Kompromissen und
Experimentierfreudigkeit:
Demokratiebildung in Israel heute
Uriel Kashi: Demokratiebildung in Israel. Geschichte und aktuelle
Ansätze. Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", Berlin 2008.
In jüngster Zeit hat das
Thema Civic Education bzw. Erziehung zur Demokratie in Israel einen
deutlichen Anstoß zur Weiterentwicklung erfahren. Ein entscheidender Grund
dafür ist die Transformation der Gesellschaft von einer
Parteiprogrammatischen zu einer multiethnischen Demokratie. Die Generation
der einstigen Gründerväter wurde abgelöst und es entstand eine
multiethnische Gesellschaft.
Des Weiteren bleibt auch
Israel von den durch die Globalisierung hervorgerufenen Veränderungen
innerhalb und außerhalb des eigenen Landes nicht unbeeinflusst. Entgegen dem
nationalen Selbstverständnis des jüdischen Staates, der vor allem durch die
jüdische Einwanderung geprägt ist, muss sich das Land heute mit dem
zunehmenden Phänomen der jüdischen Abwanderung und der nichtjüdischen
Zuwanderung auseinandersetzen. Die Globalisierung stellt dementsprechend
eine große Herausforderung für die israelische Demokratie dar, da sie die
Notwendigkeit einer Veränderung des nationalen Selbstverständnisses
impliziert. Ferner könnten und sollten von Israel als bisher einzigem
demokratischen Staat im Nahen Osten wichtige Impulse für ein demokratisches
Bewusstsein in die angrenzenden Länder ausgehen.
Auf diese drei Herausforderungen (Transformation der Gesellschaft,
Globalisierung und einzige Demokratie im Nahen Osten) versuchen verschiedene
Konzepte der Civic Education in Israel angemessen zu reagieren, auch wenn
sich dies in konfliktreichen Zeiten als nicht immer leicht gestaltet.
Doch bergen Konflikte stets
auch ein kreatives Potenzial in sich und es gibt wohl kein Land, in dem in
den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ähnlich viel Forschung und viele
praktische Experimente im Bereich der Demokratiebildung unternommen wurden,
wie in Israel. Hierbei spielt nicht nur die Institution "Schule" eine
wichtige Rolle. Immer mehr Nichtregierungsorganisationen versuchen mit
unterschiedlichsten Methoden allen Bevölkerungsgruppen einen Sinn für
soziale und politische Verantwortung und Partizipation am gemeinschaftlichen
Leben zu vermitteln.
Die Darstellung aktueller Diskussionen, Ansätze und Modelle im Bereich der
Civic Education und Demokratiebildung in Israel war das Ziel einer Studie,
die das American Jewish Committee mit Unterstützung der Stiftung
"Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" in Auftrag gegeben hat. Die Studie
beleuchtet die strukturelle und historisch-kulturelle Entwicklung des
israelischen Bildungssystems und stellt einige der wichtigsten Institutionen
aus dem Bereich der politischen Bildung sowie der Friedens- und
Menschenrechtspädagogik vor.
Hierbei zeichnet sich die
Studie vor allem durch ihre Aktualität und ihre Bezugnahme auf die deutsche
Bildungslandschaft aus. Die Leserschaft erhält einen umfassenden Überblick
über die verschiedenen Bildungsangebote und kann sich darüber hinaus von den
israelischen "Best Practice"-Beispielen auch für die eigene Bildungsarbeit
inspirieren lassen. Die Studie stellt verschiedene Organisationen bzw.
Projekte vor, deren Arbeitsschwerpunkte im Folgenden kurz umrissen werden
sollen:
Das Institute for
Democratic Education
Das 1987 gegründete Institute for Democratic Education unterstützt und
fördert die Neugründung Demokratischer Schulen und hilft ihnen bei der
Entwicklung einer tragfähigen inhaltlichen Ausrichtung. An diesen Schulen
folgt die Verwaltung transparenten und demokratischen Prinzipien, an denen
sich sowohl Lehrer, Eltern als auch Schüler beteiligen können. Schüler
Demokratischer Schulen können weitgehend selbst entscheiden was sie lernen,
mit wem sie lernen und wie sie lernen.
Das Adam Institute for Democracy and Peace in Memory of Emil Greenzweig
Das Adam-Institut wurde 1986 von Erziehern und Erzieherinnen mit dem Ziel
gegründet, die Erziehung zur Demokratie in Israel zu fördern. Grundannahme
des Instituts ist, dass sich Jugendliche wie auch Erwachsene nur mit einem
Gesellschaftssystem identifizieren können, welches ihre Rechte akzeptiert,
würdigt und sichert.
Die Bildungs- und Begegnungsstätte Givat Haviva
Als größte und älteste jüdisch-arabische Institution für Bildung und Dialog
in Israel beschäftigt sich Givat Haviva in sechs verschiedenen Zentren u.a.
mit der Frage einer jüdisch-arabischen Koexistenz. Das von Givat Haviva 1963
gründete "Jüdisch-arabische Zentrum für Frieden" wurde 2001 für seine
Projekte mit dem "UNESCO Peace Education Award" ausgezeichnet.
Die "Hand in Hand" Schulen
Bei Hand in Hand-Schulen handelt es sich um zweisprachige jüdisch-arabische
Schulen, in der der Unterricht jeweils gleichzeitig von einer jüdischen und
einer arabische Lehrkraft gestaltet wird. Ziel ist es, eine vollkommen
egalitäre Lernumgebung zu schaffen, in der Juden und Araber gleichberechtigt
miteinander lernen und leben können. 2005 erhielt "Hand in Hand" den
Friedenspreis der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
Das Zentrum für humanistische Erziehung
Das Zentrum für humanistische Erziehung (ZhE) befindet sich in der Nähe der
Hafenstadt Akko auf dem Gelände des gleichnamigen Kibbuz "Lohamei Hagetaot"
(Hebr.: Ghettokämpfer). Das Museum des Kibbuz’ wurde 1949 am sechsten
Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes von einer Gruppe
Holocaustüberlebender eröffnet. Das 1995 gegründete Zentrum für
humanistische Erziehung verfolgt das Ziel, jüdische und arabische Schüler
mit der Geschichte des Holocaust vertraut zu machen und für aktuelle Formen
des Rassismus und der Diskriminierung zu sensibilisieren. Hierbei fördert es
die Begegnung arabischer und jüdischer Jugendlicher und initiiert einen
Austausch zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen.
Das Zentrum für Torah und Demokratie – Yesodot
Das Zentrum für Torah und Demokratie – Yesodot konzentriert sich seit 1996
hauptsächlich auf die Durchführung von Lehrerfortbildungen und die
Entwicklung von pädagogischen Materialien im jüdischen national-religiösen
Sektor Israels. In seinem Young Orthodox Leadership Program widmet sich das
Zentrum außerdem der Ausbildung junger religiöser Führungspersönlichkeiten,
die sich für eine tolerante und offene Gesellschaft in Israel einsetzen
werden.
Utilizing Middle Eastern Civic Education as a Leverage for Peace
Utilizing Middle Eastern Civic Education as a Leverage for Peace ist ein von
der EU gefördertes Projekt, in welchem die deutsche Konrad Adenauer Stiftung
gemeinsam mit drei Partnerorganisationen insgesamt 88 Lehrer aus Israel,
Jordanien und den palästinensischen Autonomiegebieten (inkl. Gaza) gemeinsam
in Methoden der Friedens- und Demokratieerziehung ausbildet und zusätzlich
jährlich zwei Treffen von Schülergruppen aus den drei Ländern ermöglicht.
Die Auswahl der Institutionen
und Projekte liegt in dem Versuch begründet, aus der großen Anzahl der
Einrichtungen solche exemplarisch vorzustellen, die sich des Themas auf
möglichst unterschiedliche Art und Weise nähern. Während Institutionen wie
Yesodot und das Adam Institute in der Tradition traditioneller politischer
Bildung stehen, die sich der Vermittlung, Verinnerlichung wie auch Umsetzung
der universellen Menschenrechte widmet, sind Institutionen wie Givat Haviva
oder die Hand in Hand-Schulen eher im Bereich der klassischen
Friedenspädagogik anzusiedeln. Darüber hinaus unterscheiden sich auch die
Zielgruppen der einzelnen Institutionen voneinander. So arbeitet Yesodot
ausschließlich im jüdisch religiösen Sektor während das Zentrum für
humanistische Erziehung, Givat Haviva und das Adam Institute sowohl im
jüdischen als auch im arabischen Sektor aktiv sind. Das Institute für
Democratic Education konzentriert sich zwar schwerpunktmäßig auf die
jüdische Bevölkerung, versucht sich mit seinen Projekten jedoch verstärkt
sozial schwachen Schichten zu nähern. Utilizing Middle Eastern Civic
Education as a Leverage for Peace ist schließlich das einzige in dieser
Studie vorgestellte Projekt, welches sich grenzübergreifend für die Stärkung
demokratischer Bildung im Unterricht einsetzt.
Die vorliegende Studie macht deutlich, wie stark der Einfluss von Kultur und
Geschichte auf die Entwicklung des israelischen Bildungssystems war und
immer noch ist. Gleichzeitig macht sie deutlich, wie sinnvoll eine
verstärkte Kooperation deutscher und israelischer Institutionen sein
könnte.Für die deutsche Bildungslandschaft könnte hierbei insbesondere
interessant sein, dass auf institutioneller Ebene in Israel weit mehr
experimentiert wird, als dies in Deutschland der Fall ist. Während in
Deutschland intensiv über eine Ausdifferenzierung des Erziehungssystems
diskutiert wird, hat Israel durch die schon früh geförderte Schulautonomie
viel Erfahrung mit einem durch und durch pluralen Schulwesens gesammelt. Die
Studie zeigt, wie das israelische Bildungssystem ganz offensichtlich davon
profitiert hat, diesen Pluralismus zuzulassen. Auch die intensive
Kooperation zwischen staatlichen Behörden und Nichtregierungsorganisationen
wird in Israel als bereichernd empfunden.
Andererseits hat man sich in Deutschland in den letzten Jahren viele
Gedanken über die Demokratisierung von Unterricht und Schulleben gemacht –
zu nennen sei hier das BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“ – von denen
auch israelische Institutionen profitieren könnten.
Für eine erfolgreiche Kooperation deutscher und israelischer Organisationen
ist jedoch von beiden Seiten Verständnis für die Situation des Partners
gefordert sowie die Fähigkeit, abstrahierend vom gesellschaftlichen Umfeld
die Methoden und Ansätze der jeweils anderen Seite kennen zu lernen und ggf.
an die eigenen Bedingungen anzupassen. Die vorliegende Studie hofft hierfür
ein geeignetes Hilfsmittel zu sein.
Ab sofort kann die Studie zu "Demokratiebildung in Israel" entweder
online gelesen, oder kostenlos bei der Stiftung EVZ bestellt werden.
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