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Ist das betäubungslose Schächten heute noch zeitgemäß?:
Rückbesinnung

Weil sie ein Verbot von Schächtungen fordert, hat der Zentralrat der Juden der Bundestierärztekammer das Schüren religiöser Vorurteile vorgeworfen. Der Tierschutzgedanke habe im Judentum höchste Priorität, sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer. Durch den Schächtschnitt verliere das Tier in Sekunden das Bewußtsein. "Wer beim Schächten von entsetzlichen Leiden und Schmerzen der Tiere spricht, aber die Bolzenschuß- oder Elektroschockmethode beim herkömmlichen Schlachten für vertretbar hält, der verspielt jede Seriosität und Glaubwürdigkeit", sagt Kramer. Für das Schächten ist eine Ausnahmegenehmigung nach dem Tierschutzgesetz nötig.

"Contra" von Hanna Rheinz

Eines haben wir aus gescheiterten Dialogen gelernt: Selbst die ad nauseam fortgesetzte Wiederholung eines Arguments macht dieses nicht wahrer. Dies gilt auch für die Schechita. Wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns hier bewegen, ist den Repräsentanten offenbar nicht klar, sonst hätten sie nicht, wie unlängst geschehen, sich unseligerweise auf das muslimische Schächten berufen, das anders als die streng geregelte Schechita, sogar das Schächten durch Laien erlaubt, ja beim Opferfest sogar vorschreibt! Wenn zwei religiöse Minderheiten etwas Falsches fordern, erwächst ihnen daraus nicht zwangsläufig ein Pluspunkt.

Wer sich auf dünnem Eis bewegt, hat mehrere Möglichkeiten: Man kann so tun, als sei alles gar nicht so schlimm und hoffen, das Eis sei noch tragfähig. Man kann ohne große Worte den geordneten Rückzug antreten, sich vorsichtig zum Ufer bewegen, und der Pein des öffentlichen Debakels entgehen. Oder man kann ein großes Gezeter veranstalten und wild umherrudern. Zu den unvermeidlichen physikalischen Folgen gehört, daß der Untergang nun näher ist als das rettende Ufer.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich für den dritten Weg entschieden.

Das Jüdische Schächten soll nicht mehr tragfähig sein? Unterstellen das nicht seit je die Antisemiten? Hat, wer so etwas behauptet, nicht einen Cherem, den Bannspruch verdient, mindestens jedoch soziale Ausgrenzung? Dumm nur, daß sich berühmte jüdische Persönlichkeiten, darunter viele Rabbiner, als Schächtgegner outeten, die, als es noch keine halachisch akzeptablen Alternativen gab, Vegetarismus forderten. Nicht der Fleischverzehr, sondern das Verbot der Tierquälerei galt als das ethisch höherstehende Gut.

Dies ist längst vergessen. Was einst als schonendst mögliche Methode des Schlachtens im Interesse der Tiere präzise festgelegt worden ist, hat sich unter den Bedingungen der industriell und im Akkord organisierten Schechita moderner Großtierrassen als nicht länger praktikabel erwiesen. Die Schlachtfabrik ist eben kein Tempel, in dem der Schochet die Tiere mit Segenssprüchen beruhigt und sie jedes für sich, beim Sterben begleitet.

Wer ohne Scheuklappen die Zustände beim Schächten in Augenschein nimmt, weiß um die hohe Fehlerquote, weiß um das erschreckende Burn-Out der Schächter, hört, was jüdische Schächtexperten hinter vorgehaltener Hand schon seit langem beklagen: das betäubungslose jüdische Schächten ist eben nicht mehr im Sinne der Halacha, die Tierschutz und Tierrecht radikal und oft gegen die Interessenlage des Menschen einfordert. Das Verbot von Tza`ar Ba'alei chayim ist unter den Tisch gefallen.

Doch der Mut, sich dies einzugestehen und daraus die Konsequenzen zu ziehen, fehlt!

Vielen Repräsentanten ist nicht bewußt, daß sie das Erbe des ältesten und radikalsten Tierrechtsgesetzes weltweit verwalten. Präzendenzfälle gibt es en masse: Der Krieg zwischen zwei Menschen muß unterbrochen werden, um das in Not geratene Tier des Feindes zu retten! Das Töten von Tieren gilt als awera, als Übel und wird als Quelle des Hasses betrachtet. Zu den ethischen Herausforderungen der Halacha gehört die mitzwa, die Interessen der Schwächsten, gerade der Tiere zu vertreten, die eigene Gier, die Eigeninteressen einzudämmen. Die Heiligkeit des Lebens aller Lebewesen zu achten. Mitgefühl und Gerechtigkeit walten zu lassen und nicht auf die Erfüllung andernorts längst über Bord geworfener handwerklicher Techniken und Gewohnheiten zu beharren, die nicht Dinge mit einem Wert an sich, sondern selbst Ergebnis historischer Prozesse sind.

Durch die Hintertür ist der Katalog der vermeintlich so unveränderlichen Schächtregeln überdies längst erweitert worden. So sind stillschweigend Apparaturen zugelassen worden, die das Schächten von Großtieren für den Schächter überhaupt erst gefahrlos möglich machen. Ist das im Sinn der Halacha? Das Gebot des schonendst möglichen Verfahrens für die Tiere blieb dabei auf der Strecke: sie werden getrieben, fixiert, zwischen Metallplatten geklemmt, mitsamt der Apparatur langsam umgedreht, sodaß das Tier in Panik gerät, und durch das eigene Körpergewicht und die unnatürliche Position extreme Schmerzen erleidet und sich als Folge der Befreiungsversuche und Abwehrbewegungen verletzt. Der Schlachtvorgang wird unnötig verlängert. Der Schächtschnitt ist nur möglich, wenn der Hals des Tieres fixiert und überstreckt wird. Die Fehlerquote mit Nachschneiden ist erschreckend hoch. Das Fleisch unbrauchbar. Ehrlicherweise müßte das Fleisch von Tieren, die unter den Strapazen der modernen Schächtapparate sterben, der Kategorie des nicht koscheren gerissenen Fleisches gejagter Tiere zugeordnet werden. Fraglich auch, ob wirklich immer der Schächtschnitt das Tier tötet und nicht die körperlichen und seelischen Belastungen und Verletzungen während der Prozeduren vor und nach dem Schächtschnitt. Ein solches Fleisch wäre Aas (neveila).

Wir müssen uns eingestehen, daß zum Kampf gegen Antisemitismus heute auch der Kampf gegen Unwissenheit und gegen den Antijudaismus in den eigenen Reihen gehört. Es ist an der Zeit, hinter den schönen Fassaden der allerorten errichteten neuen Tempel und Gemeindehäuser auch einen Ort für den inneren Tempel zu finden und den jüdischen Werten von Mitgefühl und Gerechtigkeit wieder Raum zu geben.

Erinnert sei daran, daß es zu allen Zeiten pragmatische Entscheidungen gab, mit denen es möglich wurde, das übergeordnete halachische Gebot zu bewahren, indem zeitgemäße Anpassungen bei seiner Ausführung vorgeschrieben wurden. Hat nicht Rabbenu Gerschom ben Judah Me'or ha-Golah im 11. Jahrhundert erkannt, daß die Polygamie in Europa keine Zukunft hat? Wer käme heute noch auf die Idee, die Monogamie als unvereinbar mit der jüdischen Tradition zu bezeichnen? Wir sind aufgefordert, die Zeichen der Zeit zu erkennen und uns einzugestehen, daß das betäubungslose Schächten überholt und nicht mehr praktikabel ist und in eklatanter Weise dem halachischen Tierschutz und Tierrecht widerspricht.

Ganze Heerscharen von Rabbinern und Wissenschaftlern arbeiten heute daran, die Fortschritte der modernen Medizin und Gerätetechnologie mit der Halacha in Einklang zu bringen. Nutzen wir nicht Zeitschaltuhren, Aufzüge, Hörgeräte etc. selbst am Schabbat? Sogar Weltraumflüge sind frommen Juden halachisch erlaubt.

Wir dürfen nicht zulassen, daß ausgerechnet das Verbot der Tierquälerei so leichtfertig mißachtet wird. Kommt hier nicht die unselige Dynamik von Gleichgültigkeit, Wegsehen, Egoismus und Seelentod zum Ausdruck, in der auch die jüdische Gemeinschaft gefangen ist? Die Verbindung von Schächtgegnerschaft und Antisemitismus, Tierschutz, Nationalsozialismus und Schoah, darf uns selbst nicht daran hindern, die eigenen halachischen Tierschutzgebote umzusetzen.

Durch die moderne reversible Elektrokurzzeitbetäubung wird halachisch korrektes Schlachten möglich. Das Fleisch wird, anders als nach tierquälerischen Manipulationen, nicht treife. Eine Rückbesinnung auf das halachische Verbot von Tza'ar Ba'alei chayim ist dringend notwendig, um den ethischen Herausforderungen der Halacha auch ab dem 6. Jahrtausend der Jüdischen Zeitrechnung gerecht zu werden. Die von der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geschützte Religionsfreiheit bleibt bei einer Streichung von Nr. 2 Abs. 2 des § 4 a Tierschutzgesetzes, der Abschaffung des religiös motivierten betäubungslosen Schlachtens, gewahrt.

>> "PRO" von Rabbiner Israel Meir Levinger
Erschienen in: Jüdische Allgemeine 29/2008

Mehr zum Thema: www tierimjudentum.de

hagalil.com 07-08-2008

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