Gehirnforschung:
Hoffnung bei Alkoholismus
Genau 70 Jahre, nachdem in Deutschland Alkoholkranke zu Tausenden in
Konzentrationslager verschleppt und im weiteren Verlauf der
NS-Herrschaft zu Tode gequält oder von Ärzten direkt ermordet
wurden, zeigen sich in San Francisco, am
Gallo-Institut
der University of California, ausssichtsreiche Ansätze zur Therapie
dieser grausamen Krankheit.
Abb.:
www.ucsf.edu
Basierend auf früheren Studien mit dem Phytopharmakon Ibogain,
berichtete eine Gruppe um Dorit Ron, Neurologin und Leiterin des
Ron-Laboratoriums, in der aktuellen Ausgabe des amerikanischen
Wissenschaftsmagazin PNAS (Proceedings
of the National Academy of Sciences), von der Wirkung des
körpereigenen Eiweißstoffes GDNF (Glial cell line-Derived
Neurotrophic Factor) nach Direktinjektion in eine für die
Suchtentwicklung wichtige Hirnregion, das VTA (ventrales tegmentales
Areal), alkoholabhängiger Versuchstiere.
Die Tiere verloren zum einen direkt nach der Injektion ihr gieriges
Interesse (Craving) am Alkohol, zum anderen verhinderte die Substanz
aber auch einen Rückfall nach zweiwöchigem Entzug.
Im Ron-Lab werden die Mechanismen mit denen Alkohol und andere
Suchtmittel die normalen Übertragungswege im Gehirn beeinflussen und
verändern seit langem untersucht. Über viel versprechende
Beobachtungen berichteten Ron et al. schon 2005, nachdem sie die
deutlich suchthemmende Wirkung des Ibogain beobachtet hatten.
Allerdings verhinderten die starken Nebenwirkungen des Alkaloids,
das auch Halluzinationen, Lähmungen und Krampfanfälle auslösen kann,
die therapeutische Anwendung.
Es zeigte sich aber, dass die Ibogain-Gabe den GDNF-Spiegel im Hirn
erhöhte und spätere Versuche mit reinen GDNF-Gaben wesentlich
weniger Nebenwirkungen mit sich brachten. Im weiteren Verlauf wird
es also darum gehen Arzneiformen zu entwickeln, die den GDNF-Spiegel
im Gehirn indirekt erhöhen, da direkte Injektionen nicht praktikabel
sind.
Gerade die Rückfallverhinderung ist von besonderem Interesse, denn
selbst nach Langzeittherapien ist bei Alkoholabhängigkeit hohen
Rückfallraten zu rechnen. In mehreren Studien beträgt der Anteil
langjährig abstinenter Patienten weniger als 10%. Zu beachten ist
außerdem, dass bei allen diesen Studien stets nur jene Patienten
einbezogen werden, welche die Therapie überhaupt in ihrer
Gesamtlänge abgeschlossen haben. Zu Bedenken ist ferner noch die
große Anzahl derjenigen Suchtkranken, für die eine solche stationäre
Behandlung, aus welchen Gründen auch immer, zu hochschwellig
angesetzt ist und die dadurch gar nicht in den Genuss einer solchen
kommen.
Aus diesen Gründen hatte bereits vor zehn Jahren die Einführung des
"Anti-Craving-Medikaments" Acamprosat Hoffnungen geweckt. Acamprosat
sollte die überwältigende Gier nach dem Suchtstoff mindern. Nicht
jeder Alkoholkranke reagiert jedoch auf Acamprosat und da das Mittel
relativ teuer ist, wird es in Arztpraxen oft nur zögerlich
verschrieben, da es das Budget zu sprengen droht.
Viele Ärzte in Deutschland nahmen die Einführung des Stoffes gar
nicht wahr, was sicher auch damit zu tun hat, dass gerade die
deutsche Medizin traditionell wenig Interesse an der Linderung
vermeintlich selbst verschuldeter Leiden gesellschaftlicher
Randgruppen zeigt und oft abwertende bis ausgrenzende Tendenzen mit
disziplinierenden bis strafenden Maßnahmen im Vordergrund stehen.
Nur so konnte die "Erhöhung des Leidensdrucks" zum allein
seligmachenden therapeutischen Konzept erhoben werden. Sicher auch
eine Nachwirkung der lang andauernden Betonung elitärer
Vorstellungen einer Hüterschaft von Volkskörper und Volksgesundheit,
die einer individuellen Akzeptanz und empathischen Hinwendung zum
Schwachen und Leidenden im Wege stand. |