Im Zeichen zunehmender Gewalt gegen Schwule und Lesben:
500.000 beim Berliner CSD-Parade gegen Hass und
GewaltVon Jörg Fischer-Aharon,
Fotos: Gabriel Landgraf
"Hast Du was dagegen?", unter diesem Motto fand
am Samstag in Berlin die 30. Parade zum Christopher-Street-Day (CSD)
statt. Sie stand im Zeichen der auch in Berlin immer stärker
zunehmenden Gewalt gegen Homosexuelle und erinnerte gleichzeitig an
die Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen in nicht wenigen
Ländern der Welt.
400 Aktivisten waren es, die 1979 zur ersten
CSD-Parade über den Kurfürstendamm im damaligen West-Berlin gezogen
sind. 30 Jahre später, am letzten Juni-Samstag 2008, sind es mehrere
Zehntausend in Zug und Hunderttausende am Straßenrand, die
begeistert mitfeiern, sich einreihen, wieder eine Pause am
Straßenrand machen oder einfach mit Freunden feiern. Insgesamt
sollen es an diesem Samstag etwa 450.000 bis 500.000 gewesen sein,
die an der Parade teilgenommen haben, mehrere Zehntausend Menschen
nehmen an der Abschlusskundgebung an der Siegessäule teil.
Auch wenn die Parade wieder ein ausgelassener,
farbenfroher und von Selbstbewusstsein geprägter Umzug der
schwul-lesbischen Community war, bei dem sich Homo-, Bi- und
Heterosexuelle ein durchaus feucht-fröhliches Stelldichein gaben um
gemeinsam zu feiern, so stand der diesjährige CSD dennoch mehr als
in den Vorjahren unter dem Zeichen zunehmender Gewalt gegen Schwule
und Lesben.
Das schwul-lesbische Internetmagazin queer
berichtete im Vorfeld des Berliner CSD's: "Mit dem Motto "Hass du
was dagegen" weisen die Veranstalter auf das Thema homophobe Gewalt
hin, das bislang noch keine entscheidende Rolle spielt. Dabei ist
gerade in der Hauptstadt ein Unsicherheitsgefühl unter Schwulen
vorhanden, fand erst kürzlich das Anti-Gewalt-Projekt Maneo heraus.
In einer Online-Umfrage, an der 17.500 schwule Männer teilnahmen,
erklärten 61 Prozent, dass sie kein Vertrauen in die Polizei bei
schwulenfeindlicher Gewalt hätten. 38 Prozent wussten von einem
konkreten Vorfall zu berichten, in denen die Behörden ihr Anliegen
nicht ernst nahmen. Aufgrund der zunehmenden Unzufriedenheit
gegenüber anhaltenden Erfahrungen mit Beleidigungen, Pöbeleien und
Bedrohungen tendieren viele dazu, Selbstbewaffnung in Betracht zu
ziehen, erklärte Maneo. "Wir haben in der letzten Zeit eine
steigende Zahl von Anfragen in dieser Richtung erhalten. Diese
Entwicklung betrachten wir mit Sorge", erklärte das
Anti-Gewalt-Projekt in einer Stellungnahme."
Im Aufruf der Veranstalter zum diesjährigen CSD
heißt es dann auch gleich zu Beginn: ""Schwul" ist auf unseren
Schulhöfen zum beliebtesten Schmähwort geworden. "Schwul" gilt unter
SchülerInnen als Gegenteil dessen, was okay ist. Das Europäische
Parlament hat im vergangenen Jahr den Internationalen Tag gegen
Homophobie ins Leben gerufen und damit seine tiefe Besorgnis über
die Zunahme von Gewalt gegenüber Homosexuellen zum Ausdruck gebracht
– wer "schwul" als abwertende Vokabel lernt, wird sich ermutigt
fühlen, Homosexuelle auch mit Gewalt zu erniedrigen. Wir fordern den
Gesetzgeber auf, dass dem Thema Hasskriminalität eine größere
Bedeutung im Strafgesetzbuch zukommt. Wir fordern, dass bei
Beleidigungen und Gewalttaten gegen Minderheiten, die durch Hass
motiviert sind von Amts wegen verfolgt werden müssen.
Hasskriminalität muss immer verfolgt werden und nicht nur auf
Antrag. Wir fordern weiterhin, einen Qualifikationstatbestand der
Körperverletzung, der dem besonderen Unwert einer solchen Tat, wenn
sie durch Hass motiviert ist, Ausdruck verleiht."
Insbesondere in den schwulen Communities in
Metropolen wie Berlin, Hamburg, Köln oder Amsterdam hat sich schon
länger eine Stimmung der Angst breitgemacht - die Gewalt nimmt zu
und wird immer brutaler. Sieht man sich Berichte über antischwule
Gewalttaten an, liest Statistiken von Überfalltelefonen oder
Opferberatungsstellen und spricht man mit Opfern antischwuler
Gewalt, so kann man sowohl an subjektiven Erfahrungen als auch
anhand objektiven Zahlen- und Datenmaterials sehen, dass die Täter
überdurchschnittlich stark aus dem radikal-islamistischen Milieu
kommen. Gerade auch Homosexuelle muslimischen Glaubens, bzw. aus
muslimischen Familien beklagen eine zunehmende Aggressivität der
Fundamentalisten. In Hasspredigten, entsprechenden Propagandafilmen
und Hassliedern von Gewalt verherrlichenden Rappern wird immer
unverhohlener zur Gewaltanwendung gegen Homosexuelle aufgerufen.
Fernsehsender etwa terroristischer Organisationen wie der Hamas und
der Hisbullah oder aus dem Iran, die auch hierzulande empfangen
werden können, wird sogar ganz offen zum Mord aufgerufen und es
werden Hinrichtungen von schwulen Männern und Jugendlichen
ausgestrahlt.
In Amsterdam etwa warnt die Polizei Homosexuelle
explizit davor, bestimmte Stadtteile aufzusuchen, da dort nicht für
ihre Sicherheit garantiert werden kann. In Hamburg lehnen
einschlägige fundamentalistische Moschee-Vereine Gespräche zum Thema
"antischwule Gewalt" rundweg ab und in Berlin proklamieren
Angehörige aus dem islamistischen Milieu durch Wandsprühereien und
entsprechende Tätlichkeiten sogenannte "No-Gay-Areas", also
"schwulenfreie Zonen", mitten in der bundesdeutschen Hauptstadt.
Dennoch hat sich die schwul-lesbische Community
bislang schwer getan, diese Problematik in der notwendigen Klarheit
anzusprechen. Auch nachdem ein Schlägertrupp aus dem Umfeld der
extrem-nationalistischen Organisation "Graue Wölfe" Teilnehmer einer
Drag-King-Party in Berlin-Kreuzberg auf offener Straße angriff und
mehrere von ihnen regelrecht ins Krankenhaus prügelte - oder als
eine Gruppe junger Islamisten in Amsterdam die Bühne eines
Straßenfestes stürmte und die Künstler angriffen. Zwei Ereignisse
aus den letzten Wochen. Dabei ist jedem vernunftbegabten Menschen
klar: Es geht nicht um Menschen muslimischen Glaubens oder per se um
die Religion Islam, sondern um extremistische, gewalttätige
Fundamentalisten.
Die Parade am Samstag, geprägt von
Regenbogenfahnen, mit fast 50 Tracks und LKWs, diversen Fußgruppen
und tanzenden Menschen, kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen:
Die Regenbogenfahne ist auf Halbmast. Man sieht immer seltener
schwule oder lesbische Pärchen, die auch auf der Straße Hand in Hand
gehen oder sich zum Abschied einen Kuss geben. Man ist vorsichtiger
geworden, auch 30 Jahre nach dem ersten CSD in Berlin. Dennoch gibt
es auch Zeichen, die Mut machen: Wenige Tage nach dem Überfall auf
die Drag-King-Partyteilnehmer zogen bei einer spontanen
Demonstration gegen Hass und Gewalt fast 5.000 Menschen durch
Kreuzberg.
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