"Israel richtet Katastrophe im Gaza-Streifen an":
Gespräch mit dem palästinensischen Regierungschef
Salam Fajad Interview: Thorsten Schmitz.
Salam Fajad ist palästinensischer Regierungschef.
Er hat in Beirut und Austin/Texas studiert und mehr als 20 Jahre in
den USA gelebt, bei Weltbank und Weltwährungsfonds gearbeitet und
ist für seine Effizienz und Unbestechlichkeit bekannt.
Der 55-Jährige hat das von Vetternwirtschaft zerfressene Finanzwesen
der Autonomiebehörde reformiert. Als er 2002 das Finanzministerium
übernahm, sorgte er dafür, dass die Mitglieder der
Sicherheitsdienste nicht mehr bar entlohnt werden. Nach der
Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen im Juni 2007 ernannte ihn
Palästinenserpräsident Machmud Abbas vorübergehend zum
Regierungschef. Fajad ist auch Außen- und Finanzminister der
Notstandsregierung.
Er kritisiert die
Militär-Operationen der israelischen Armee im Gaza-Streifen scharf.
In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung bezeichnete er
Israels Vergeltungsmaßnahmen als "eine Katastrophe" und als
"definitiv unverhältnismäßig".
SZ: Herr Fajad, wie viel Einfluss haben Sie auf den Gaza-Streifen?
Salam Fajad: Um ehrlich zu sein, gar keinen im Moment. Der
Raketenbeschuss ist katastrophal. Aber wer sagt, dass wir uns den
Raketen der Hamas und den Hass-Aufrufen ergeben müssen? Ich
akzeptiere nicht, dass die Gewalt, die vom Gaza-Streifen ausgeht,
das einzige Gesicht ist, das wir Palästinenser der Welt zeigen. Es
ist meine feste Absicht, Hamas zu enttäuschen. Dazu gehört, dass ich
meine Meinung sage.
SZ: Das reicht nicht, um die Raketen und Israels Vergeltung zu
stoppen.
Fajad: Es ist wichtig, einen gesellschaftlichen Konsens
herzustellen. Dazu gehört die Ablehnung von Gewalt und die
Zustimmung dazu, dass nicht jeder mit Waffen herumlaufen kann. Bevor
wir mit Hamas reden, muss sie zustimmen, dass das Gewaltmonopol bei
der Autonomiebehörde liegt. Es macht keinen Sinn, einen Staat
errichten zu wollen und gleichzeitig bewaffnete Milizen zuzulassen.
Es war ein Fehler zu glauben, man könne Frieden schaffen und
gleichzeitig bewaffnete Milizen dulden.
SZ: Zu den Milizen zählen auch die Al-Aksa-Brigaden, die der
Fatah-Gruppe von Präsident Abbas angehören.
Fajad: Auch die Al-Aksa-Brigaden müssen entwaffnet werden. Waffen
gehören nur in die Hände unserer Sicherheitsdienste. Wir werden nie
einen eigenen Staat erhalten, solange die Milizen nicht aufgelöst
werden. Deshalb ist auch die Einigung von Mekka gescheitert: In ihr
wurde kein Wort über die Milizen und die Sicherheit verloren. Das
Abkommen bestand nur aus Phrasen, die nach Belieben interpretiert
wurden.
SZ: Wie beurteilen Sie die israelischen Vergeltungsschläge und die
Schließung aller Grenzübergänge zu Gaza?
Fajad: Das ist eine Katastrophe! Was Israel im Moment im
Gaza-Streifen veranstaltet, ist definitiv unverhältnismäßig.
Selbstverständlich muss Israel seine Bürger vor den Raketen
schützen. Aber Israel darf die Angst vor Raketen nicht mit massiven
blutigen Militäreinsätzen und der kompletten Abriegelung des
Gaza-Streifens gleichstellen.
SZ:
Je mehr Hamas isoliert ist, desto mehr befürwortet die Gruppe
Gewalt.
Fajad: Ich stehe auch nicht hundertprozentig dahinter, Hamas zu
isolieren. Gleichzeitig bin ich nicht interessiert an vagen und
letztlich hohlen Versprechen. Wir befinden uns in einer tiefen
nationalen Krise, da muss man sich vor leeren Erklärungen hüten. Ich
glaube nicht an die Heilkraft von Isolierung, das heißt aber nicht,
dass man mit Hamas reden sollte nur um des Redens willen.
SZ: Wird Hamas von Iran unterstützt?
Fajad: Nach unserem Kenntnisstand ja. Es ist kein Geheimnis, dass
Hamas-Vertreter von Iran große Geldsummen erhalten.
SZ: Wie regieren Sie ohne Einfluss auf den Gaza-Streifen und dessen
1,5 Millionen Bewohner?
Fajad: Ich gebe zu, dass das sehr, sehr schwierig ist. Es ist meine
Pflicht, in beiden Gebieten zu regieren. Sie bilden die Einheit für
einen künftigen Palästinenserstaat. Als Finanzminister kann ich
Ihnen aber sagen, dass wir im zweiten Halbjahr 2007 rund 964
Millionen US-Dollar nur für den Gaza-Streifen ausgegeben haben. Das
entsprach 58 Prozent des Gesamtetats für diesen Zeitraum für Gaza
und Westjordanland zusammen.
SZ: Wofür wurde das Geld verwendet?
Fajad: Hauptsächlich für die Gehälter der Angestellten der
Autonomiebehörde, für Sozialhilfen für bedürftige Familien, laufende
Behördenkosten.
SZ: Es gibt Kritik, dass die Autonomiebehörde ein aufgeblasener
Apparat sei mit zu vielen Angestellten. Sie wollten Entlassungen in
großem Maßstab vornehmen. Ist Ihnen das gelungen?
Fajad: Ich habe rund 40 000 Angestellte der Autonomiebehörde
entlassen von insgesamt 189 000. Dazu gehören auch die 6000
Mitglieder des von Hamas kreierten Sicherheitsdienstes.
SZ: US-Präsident George W. Bush möchte ein Friedensabkommen bis zum
Ende seiner Amtszeit im Dezember. Schaffen Sie das bis dahin?
Fajad: Theoretisch können die Gespräche erfolgreich bis Dezember
geführt werden. Ob es wahrscheinlich ist, ist eine andere Frage. Das
hängt auch von der Umsetzung des Friedensfahrplans ab...
SZ: ...der unter anderem von Israel einen völligen
Baustopp in jüdischen Siedlungen im Westjordanland verlangt...
Fajad: ...woran sich Israel nicht hält. Während wir über die
Hauptstreitpunkte verhandeln, baut Israel die Siedlungen im
Westjordanland aus. Das ist das größte Problem. Sogar Bush hat
gesagt, die Besatzung von 1967 muss ein Ende und wir die Sicherheit
haben, dass unser Staat nicht wie ein Schweizer Käse aus
unzusammenhängenden Kantonen besteht. Falls Israel nicht sofort den
Ausbau jüdischer Siedlungen stoppt, wird es in elf Monaten kein
Friedensabkommen geben. Der Ausbau jüdischer Siedlungen gefährdet
die Fortsetzung der Friedensverhandlungen.
SZ: Sollen palästinensische Flüchtlinge finanziell entschädigt
werden?
Fajad: Wir fordern eine faire und gemeinsame Entscheidung auf
Grundlage der UN-Resolution 194. In ihr wird auch von Kompensation
gesprochen...
SZ: ...aber auch davon, dass palästinensische Flüchtlinge das Recht
erhalten sollen, an ihre Wohnorte nach Israel zurückkehren zu
können...
Fajad: ...lassen Sie mich jetzt bitte nicht das Verhandlungsergebnis
vorwegnehmen. Das Thema ist sehr sensibel.
SZ: Welche Lösung schlagen Sie für Jerusalem vor?
Fajad: Bush hat gesagt, die Besatzung soll beendet werden.
Ost-Jerusalem, das ja auch seit dem Sechs-Tage-Krieg besetzt ist,
soll unsere Hauptstadt sein.
SZ: Inklusive der Altstadt, in der sich die jüdische Klagemauer
befindet?
Fajad: Inklusive der Altstadt.
SZ: Israel feiert im Mai den 60. Geburtstag des jüdischen Staates.
Die Palästinenser kämpfen noch immer, um überhaupt einen Staat zu
haben. Ist nur Israel daran schuld, dass dies so lange dauert?
Fajad: Wir haben sicher auch Fehler gemacht in der Vergangenheit.
Aber wir leben seit Jahrzehnten unter Besatzung und unsere
Möglichkeiten, frei zu handeln, sind extrem limitiert. Sicherlich
müssen wir besser regieren. Wir müssen uns vorbereiten auf die
Eigenstaatlichkeit, eine Verfassung erarbeiten, in Bildung und
Sicherheit investieren.
SZ: Im Dezember wurden der Autonomiebehörde auf einer
internationalen Geberkonferenz in Paris etwa fünf Milliarden Euro in
den kommenden drei Jahren zugesagt. Ist ein Teil des Geldes
inzwischen eingetroffen?
Fajad: Gerade gestern hat Frankreich 24 Millionen Euro überwiesen,
wir haben von den Arabischen Emiraten 42 Millionen US-Dollar und von
Saudi-Arabien 30 Millionen US-Dollar erhalten.
SZ: Sie sind der Lieblingspalästinenser von Israel und den USA. Das
ist nicht gerade ein Rezept für Popularität beim palästinensischen
Volk.
Fajad: Ich verstehe die Natur Ihrer Frage, aber ich beschäftige mich
nicht damit, ob ich auch unbeliebt bin. Ich will mich nicht dafür
entschuldigen, dass ich über hervorragende Kontakte in die USA und
nach Israel verfüge. Schließlich helfe ich meinem Volk damit.
SZ: Abbas hat mehrmals erklärt, er stehe nicht für eine zweite
Amtszeit zur Verfügung. Werden Sie ihn beerben?
Fajad: Nein. Ich sage Ihnen klipp und klar, das ist mein letztes
öffentliches Amt. Ich werde mich aus der Politik zurückziehen,
sobald eine neue Regierung gewählt wird. Ich werde kein Ministeramt
mehr bekleiden und auch nicht im Parlament als Abgeordneter sitzen
oder eine Partei gründen. Nicht, dass ich keine Ambitionen habe,
aber nicht für Positionen. Meine einzige Ambition und der Grund
dafür, dass ich jetzt drei Ämter ausübe, besteht darin, meinem Volk
Vorbild für aufrichtiges Regieren zu sein.
SZ: Wann und wo wird gewählt?
Fajad: Je früher, desto besser, im Westjordanland und im
Gaza-Streifen. Wenn wir schon morgen wählen lassen könnten, dann
morgen! Das Volk soll abstimmen, für welchen Weg es sich
entscheidet, für meinen oder für den der Hamas. Ich werde nicht mehr
als Premier dabei sein, wenn wir Palästinenser unseren Staat
erhalten. Aber ich kann einen Anstoß in diese Richtung geben. Für
mich gibt es auch ein Leben nach der Politik.
(SZ vom 22.01.2008/dmo)
Ressort: Ausland URL:
http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/88/153693 |