Porträt einer
eindrucksvollen Frau:
Die französische Widerstandskämpferin France Bloch-Sérazin
Von Heide Kramer
Françoise (France) Bloch wird am 21. Februar 1913 als drittes von vier
Kindern in Paris geboren. Ihre Eltern sind der Schriftsteller und Journalist
Jean-Richard Bloch und Marguerite, geb. Herzog. Beide stammen aus
intellektuellen jüdischen Familien. France erlebt in einem kulturell und
linkspolitisch geprägten Elternhaus eine aufgeschlossene unbeschwerte
Jugend. Die frühzeitig vermittelte Geisteshaltung durch die Eltern soll für
France zum Selbstverständnis werden, aber auch ihr Schicksal bestimmen.
Die erste Lebensphase verbringt France mit ihren Angehörigen in La Mérigote
bei Poitiers. Die enge Verbindung aus den Kindertagen mit ihrem
gleichaltrigen Cousin Jean-Louis Wolkowitz bleibt bis zu seinem Tod
bestehen: Jean-Louis wird im August 1942 Opfer der Geiselerschießungen durch
die Deutsche Besatzungsmacht. Er ist gerade 30 Jahre alt.
In der Zeit von 1919 bis 1934
konzentriert sich France auf ihre Schul- und Universitätszeit. Sie
absolviert das philosophische Abitur in Poitiers und studiert Chemie und
Mathematik an der Universität von Poitiers. Nebenbei widmet sich die
vielseitige junge Frau intensiv ihren ausgeprägten musischen Begabungen und
literarischen Interessen. Sie liest Hegel, Marx, Goethe, Stendhal,
vernachlässigt darüber hinaus ihre wichtigen Freundschaften nicht und
betätigt sich politisch. Im Oktober 1934 schließt France das Studium ab und
beginnt ihr Berufsleben am Chemischen Institut in Paris.
Seit Hitlers Machtergreifung im Jahre 1933 häufen sich die politischen
Ereignisse. In Deutschland haben sich aktive antifaschistische
Organisationen gebildet. Die öffentliche Bücherverbrennung von Werken
namhafter jüdischer Schriftsteller am 10. Mai 1933 in Berlin und in anderen
deutschen Städten hat eine internationale Welle des Schreckens und der
Empörung ausgelöst. Immer mehr Menschen aus Hitler-Deutschland emigrieren
unter anderem nach Frankreich, darunter bekannte Persönlichkeiten aus
Politik, Kunst und Wissenschaft. Ein im Februar 1934 vollzogener
Putschversuch der französischen Faschisten verdeutlicht den in Frankreich
agitierenden antifaschistischen Widerstandsgruppen die kritische Lage.
Gleichzeitig entsteht im benachbarten Spanien die Volksfrontregierung. Der
"Internationale Kongress zur Verteidigung der Kultur" im Juni 1935 führt
Intellektuelle und Emigranten aller Nationen nach Paris. Der Kongress wird
als Appell gegen das faschistische System empfunden.
1936 siegt in Frankreich die Volksfront, in Spanien bricht der Bürgerkrieg
durch eine von General Franco inszenierte Militärrevolte aus. Das veranlasst
Kommunisten und Sozialisten aus den besetzen Ländern, freiwillig in den
Internationalen Brigaden für das republikanische Spanien und gegen Franco zu
kämpfen, Nachdem die Legion Condor 1937 Guernica bombardiert, verstärkt sich
die Solidarisierung mit- und untereinander. Als Franco im April 1939 Madrid
einnimmt, wird Spanien ebenfalls zum faschistisch besetzten Land. Der
Spanische Bürgerkrieg ist zu Ende.
Am 1. März 1937 geben Frances Vater Jean-Richard Bloch und der Romancier
Louis Aragon die antifaschistische bedeutungsvolle Abendzeitung "Ce Soir"
heraus.
Die hoch motivierte France Bloch erkennt ihren politischen Auftrag, sich der
Gefahr des Faschismus entgegenzustellen und Widerstand zu leisten. Sie tritt
1938 in die Kommunistische Partei (P.C.F.) ein, die ein Jahr darauf unter
der Regierung Daladier verboten wird. Das löst eine Massenverhaftungswelle
von Kommunisten und Gewerkschaftlern aus. France lernt den Metallarbeiter
Fréderic (Frédo) Sérazin kennen. Er ist ein aktiver Gewerkschaftler und
Kommunist. France und Frédo heiraten im Mai 1939 und ziehen nach Paris. Dort
kommt ihr Sohn Roland im Januar 1940 zur Welt. Frédo hat eine Tochter
(Eliane) aus erster Ehe.
Am 23. August 1939 wird der
deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt abgeschlossen. Hitlers Überfall auf
Polen am 1. September 1939 löst den Weltkrieg aus, Frankreich und England
erklären Deutschland am 3. September 1939 den Krieg. Am 26. September 1939
erfolgt das Verbot der Kommunistischen Partei Frankreichs.
Die Polizei verhaftet Frédo Sérazin im Februar 1940 wegen seiner
kommunistischen
Untergrundarbeit mit anderen Genossen und überstellt alle in das
Internierungslager St. Benoît bei Rambouillet. Im März 1940 wird mehr als 40
kommunistischen Abgeordneten vor dem Militärgericht der Prozess gemacht.
Hochrangige Intellektuelle, darunter Frances Vater Jean-Richard Bloch,
vertreten die Angeklagten im Zeugenstand.
Die Deutsche Wehrmacht überfällt am 9. April 1940 Dänemark und Norwegen, am
10. Mai 1940 die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreich. Diese
Realitäten und Frédos Verhaftung entwickeln sich für France Bloch-Sérazin in
Paris immer bedrohlicher. Sie flieht mit ihrem drei Monate alten Sohn Roland
aus dem chaotischen Paris nach Bordeaux zu ihrer Freundin Marie-Elisa
Cohen-Nordmann und taucht bei ihr unter. Frances Mutter und die Schwester
Marianne sind zu Fuß von Paris bis Poitiers gelangt. Frédo befindet sich
inzwischen in der Festung Sisteron/Provence.
Das seit 1940 existierende Pétain-Regime passt sich dem Regime Hitlers und
Mussolinis an. Die antisemitischen Maßnahmen sind vergleichbar mit dem deutschen
Nationalsozialismus. Ein Erlass verhängt am 3. Oktober 1940 das
Berufsverbot für Juden. Das betrifft auch France. Mittlerweile nach Paris
zurückgekehrt und mit dem Berufsverbot belegt, sieht sie sich veranlasst,
ihre Untergrundarbeitarbeit zu intensivieren und knüpft Kontakte. France ist
gezwungen, ihr riskantes Engagement mit ihrer familiären Situation zu
vereinbaren.
In allen Regionen Frankreichs entstehen
aktive Widerstandsgruppen. France Bloch schließt sich der im Jahre 1940
gebildeten Widerstandsorganisation O.S. (Organisation Spéziale) an, einer
von der Kommunistischen Partei gegründeten speziellen Kampfgruppe, die
Waffen liefert und Sabotageakte gegen die deutsche Besatzungsmacht
organisiert. Frances leitende Position richtet sich auf die Region Paris.
Sie wird von dem bekannten Gewerkschaftler und Kommunisten Marcel Paul
unterstützt, der 1944 in das Konzentrationslager Buchenwald gerät und 1945
bei der Selbstbefreiung des Lagers eine erhebliche Rolle spielt.
Unter Lebensgefahr kann France im Januar
1941 in die unbesetzte Zone zu Frédo durchkommen.
Er ist nach wie vor in der Festung Sisteron
festgesetzt. Die Verhaftungen nehmen zu, es trifft schließlich auch Frances
Bruder und seine Frau, die der Résistance in der unbesetzten Zone angehören.
France ignoriert alle Warnungen und bleibt in Paris. Sie vertritt die
Auffassung, dass eine Flucht vergleichbar wäre mit einer Desertion und ein
Verrat gegenüber ihrer Untergrundtätigkeit. Im März 1941 gelingt es Frédo,
der Internierungshaft zu entkommen. Er kehrt nach Paris zurück, wo ihn die
französische Polizei erwartet und sofort verhaftet. Bevor Frédo in das
Gefängnis Santé kommt, verbleibt er für einige Zeit im Dépôt, einem
Durchgangsgefängnis in der Polizeipräfektur im Justizpalast Île de la Cité.
Im Anschluss an eine viermonatige Haft liefert man ihn an das
Internierungslager Châteaubriant/Loire Atlantique aus.
Weil das Pétain-Regime die antisemitischen Maßnahmen verschärft und die
Pogrome zunehmen, verlassen Frances Eltern Frankreich, da sie als
Kommunisten und Juden mit ihrer Liquidation rechnen müssen. Sie emigrieren
nach Moskau, wo Frances Vater Jean-Richard Bloch als Kommentator beim
Rundfunk für das liberale Frankreich arbeitet.
Engagiert und unbeirrt setzt France Bloch in Paris ihre Arbeit in der
Illegalität fort mit dem Ziel, die Résistance zu unterstützen. Es werden
Waffen und Sprengstoff für Sabotageakte gegen Einrichtungen der Deutschen
benötigt. France nutzt die Wohnung eines Kampfgefährten als Labor und
Waffendepot. Sie setzt ihre Chemiefachkenntnisse ein, um Bomben, Sprengstoff
und Zündschnüre zu produzieren, denn die aktive Résistance innerhalb der
Region muss versorgt werden. Ab Dezember 1941 steigern sich die Repressalien
der Besatzer gegenüber Juden, Kommunisten, Anarchisten, Intellektuellen.
Kein Tag vergeht ohne Massen- und Geiselerschießungen, Deportationen und
Hinrichtungen. Der von Hitler begonnene Krieg hat sich zum Weltkrieg
ausgeweitet.
Im Januar 1942 entgeht France Bloch nur knapp der Verhaftung. Anfang Mai
1942 muss Frédo im Internierungslager Voves bei Chartres eine weitere Haft
antreten. France gelingt es ihn zu treffen, aber es ist das letzte
Wiedersehen. Sie wird unvermittelt in Paris verhaftet und muss ihren Sohn
zurücklassen. Roland wird der Haushälterin Frau Touchet anvertraut, die das
Kind bei sich aufnimmt und ihm die Mutter ersetzt.
Die Polizei überführt France Bloch-Sérazin zunächst ins Dépôt, dem
Durchgangsgefängnis der Polizeipräfektur, in dem bereits Frédo eingesessen
hat. Hier verbleibt sie einige Tage mit anderen Häftlingen und wird dann in
die deutsche Sektion der Santé überführt. France macht verschärfte
Haftmaßnahmen durch und erleidet Folterungen während der Verhöre, außerdem
dürfen die Häftlinge der Sektion die Handschellen nicht ablegen.
Das im Hotel Continental anwesende deutsche Militärgericht verurteilt France
Bloch-Sérazin am 30. September 1942 zum Tode. Am 13. Oktober 1942 verlegt
man France gemeinsam mit den in der Santé inhaftierten Frauen in das
Gefängnis von Fresnes am Stadtrand von Paris.
Ende Oktober werden France und ihre
Mithäftlinge im Zug nach Deutschland deportiert. Sie erreichen über
Karlsruhe, Hannover und Hamburg das Gefängnis Lübeck-Lauerhof, für France
die vorletzte Station vor ihrer Hinrichtung. Am 10. Februar 1943 bringt man
France in die Todeszelle des Untersuchungsgefängnisses Hamburg. Die Leiterin
des Frauenuntersuchungsgefängnisses hat heimlich vielen Häftlingen geholfen.
Sie steht nun auch France bei. Die Französischkenntnisse der
Gefängnisleiterin ermöglichen eine Verständigung. Die Frau verspricht
France, dass die letzten im Gefängnis verfassten Briefe an die Angehörigen
und Freunde per Kopien nach Frankreich gelangen werden. Erst nach dem Krieg
erhält Frances Familie die Dokumente.
Am 12. Februar 1943 wird France Bloch-Sérazin abends von einem deutschen
Henker durch das Fallbeil enthauptet. Sie wäre in wenigen Tagen 30 Jahre alt
geworden. Anfang der fünfziger Jahre nimmt man in Hamburg ihre Grabstelle
auf dem Ohlsdorfer Friedhof wahr.
Frédo befindet sich nach wie vor im Internierungslager Voves. Er weiß nichts
von Frances Schicksal. Im Juni 1944 fällt er in Saint Etienne/Loire der
Gestapo in die Hände und stirbt an den Folgen einer furchtbaren Folter. Sein
Leichnam wird erst im Sommer 1945 identifiziert.
Noch am 12. Februar 1943 schreibt France Bloch-Sérazin aus dem Gefängnis in
Hamburg:
"Mein
Frédo,
dieser Brief ist der
letzte, den Du von mir erhalten wirst. Heute abend um neun Uhr werde ich
hingerichtet. Ich wurde am 30. September zum Tode verurteilt. Mein
Gnadengesuch wurde von dem Führer des 3. Reiches abgelehnt. Ich werde
sterben, wie viele andere, die in diesen Monaten gefallen sind.
Du hast mir nur Glück
gegeben, ich war stolz auf Dich, stolz auf unsere Verbindung, stolz auf
unsere so tiefe Gemeinsamkeit, stolz auf unseren so sehr geliebten Roland...
Ich sterbe für das,
wofür wir gekämpft haben. Ich habe gekämpft. Du weißt wie ich, daß ich
nicht anders handeln konnte, als ich gehandelt habe. Man ändert sich
nicht..."
Am 8. Mai 1945 kapituliert Nazi-Deutschland, am 20. November 1945 beginnt
der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen
Militärgerichtshof in Nürnberg. Frankreich ist wieder frei.
Roland Sérazin gibt am
24. November 2008 bekannt:
"Ich schicke euch die Abschrift der Einladung des Bürgermeisters von Paris:
Am 4. Dezember 2008 wird eine Gedenktafel an der Mauer des Laboratoriums
befestigt, wo meine Mutter Sprengstoffe für den Widerstand während des
zweiten Weltkrieg herstellte.
Natürlich werde ich bei dieser Gelegenheit nach Paris fahren.
Roland"
Roland Sérazin am 9. Januar 2009:
"Heute schicke ich euch einige Fotos von der
Gedenkveranstaltung am 4. Dezember 2008 in Paris. Es wurde sehr erfolgreich,
trotz des schlechten Wetters".
4. Dezember 2008 in Paris: Gedenktafel für
France Bloch-Sérazin an der Mauer des Laboratoriums. Hier stellte sie
Sprengstoffe für den Widerstand während des zweiten Weltkrieg her.
4. Dezember 2008 in Paris: Gedenktafel für
France Bloch-Sérazin an der Mauer des Laboratoriums. Hier stellte sie
Sprengstoffe für den Widerstand während des zweiten Weltkrieg her.
"Frau Catherine Vieu-Charier ist die "Erinnerungvertreterin" des Pariser
Bürgermeisters Bertrand Delanoë.
Frau Francoise Soignon ist die Schulleiterin der "France-Bloch-Sérazin"-Hauptschule
in Poitiers.
Frau Irene Dallez ist die Schulleiterin des "Victor Hugo"-Gymnasiums in
Poitiers (wo meine Mutter ihre zwei Abiturprüfungen in Literatur und
Wissenschaft absolvierte)".
(Roland Sérazin)
"Herr Roger Madec ist der Bürgermeister für den 19. Bezirk in Paris."
(Roland Sérazin)
Text: ©Heide
Kramer, Hannover, März 2008
Bleistiftimpression 'France Bloch-Sérazin' von ©Heide Kramer, August 2007.
Das Bildmaterial wurde dankenswerterweise von ©Roland Sérazin zur Verfügung
gestellt.
Quellen:
"France Bloch-Sérazin. Lebensstationen einer französischen
Widerstandskämpferin". Herausgegeben von ©Hans Zorn, Konkret Literatur
Verlag, 1986.
Hinweis: Der letzte Brief von France Bloch aus dem Gefängnis in Hamburg an
Frédo Sérazin, datiert vom 12. Februar 1943, wurde auszugsweise diesem Buch
entnommen und wiedergegeben.
"France Bloch-Sérazin. Auf den Spuren einer mutigen Frau". Ein Film von
©Loretta Walz, 1993.
Nachtrag (als persönlich geäußertes
Anliegen von Gerda Zorn):
Gerda Zorn hat in ihrer aktuellen Publikation "Wiederkehr des Verdrängten,
Autobiographische Erinnerungen" (trafo-Verlagsgruppe, Berlin 2008) France
Bloch-Sérazin im Teil 2 ("Zweites Buch. Weiter, weiter, immerzu". Letzter
Abschnitt "Hamburg"") ein ausführliches Kapitel gewidmet.
Hannover, März 2009 |