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Der politisch-ideologische Werdegang des Roger Garaudy:
Oder: Die schrittweise Zerstörung der Vernunft

Buchbesprechung von Bernard Schmid, Paris

Der heute 94jährige ist so ziemlich alles in seinem Leben gewesen: Roger Garaudy war nacheinander Protestant, Katholik, Muslim. Aber auch "Hausphilosoph" der Französischen kommunistischen Partei bis zu seinem Parteiausschluss im Jahr 1970, später Anhänger der Befreiungstheologie in Lateinamerika, "Präsidentschaftskandidat" in eigener Sache. Und schließlich wurde er Auschwitzleugner und, ipso facto, Antisemit. Ein ideologischer Geisterfahrer sozusagen.

An einem bitterkalten Januarabend, vor nunmehr zwölf Jahren, erschien die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde mit einer relativ unscheinbaren Artikelankündigung auf ihrer Aufmacherseite. Der Titel lautete: "Der frühere KP-Philosoph Roger Garaudy unterstützt in einem neuen Buch negationistische Thesen." Obwohl es sich nur um einen kleinen Ankündigungskasten auf der Seite Eins handelte, war klar, dass der im Innenteil der Zeitung veröffentliche Artikel hochexplosiven Inhalts war. Ein politisch-ideologischer Damm schien eingerissen.

Der Begriff des Negationismus, statt des bis dahin gebräuchlichen Worts "Geschichtsrevisionismus", hat sich seit einer Buchveröffentlichung des Historikers Henry Rousson von 1987 in Frankreich schrittweise durchgesetzt. Die Begründung dafür lautet, dass es die normale Arbeit eines jeden Geschichtswissenschaftlers sei, historische Urteile ständig zu revidieren und auf einen neuen Wissensstands zu bringen – die bewusste Leugnung der Realität des Holocaust, der Shoa damit jedoch keinesfalls auf eine Stufe gestellt werden könne. Seitdem beanspruchen in Frankreich die notorischen Auschwitzleugner den Begriff "Revisionismus" für sich und ihre Tätigkeit für sich, während sie von Außenstehenden fast nur noch als Negationisten, also Verneiner oder Leugner, bezeichnet werden.

Tatsächlich bewahrheitete sich bei der näheren Lektüre des damaligen ersten Artikels über Garaudys neue Thesen, dass die Angelegenheit hochbrisant war und der ehemalige Abgeordnete und "Hausphilosoph" der französischen KP, der freilich schon 1970 aus der Partei ausgeschlossen worden war, wirklich auf den Pfaden der Auschwitzleugner wandelte. Im Spätherbst 1995 war sein Buch Les mythes fondateurs de la politique israëlienne (Die Gründungsmythen der israelischen Politik) zunächst als Sonderausgabe der seit langen Jahren auf Negationismus spezialisierten und nur "Eingeweihten" bekannten Zeitschrift La Vieille Taupe (Der alte Maulwurf) erschienen. Darin wird der durch die Nazis begangene Genozid an den europäischen Juden als ein "Mythos" dargestellt, der zur ideologischen Unterstützung und Rechtfertigung der israelischen Militär- und Besatzungspolitik diene, ja dafür geschaffen worden sei und – so Garaudy - auf einer Stufe mit den dafür ebenfalls in Anspruch genommenen biblischen Legenden aus dem Alten Testament stehe.

Die Auflage, die für diese erste Version insgesamt 1.000 bis 2.000 Exemplare betrug, ging überwiegend an Abonnenten, während circa 50 Exemplare über die damalige Pariser Neonazi-Buchhandlung L’Aencre vertrieben wurden. Die Öffentlichkeit nahm darum verspätet von den darin enthaltenen Thesen Kenntnis. Eine zweite Auflage, die für ein breiteres Publikum bestimmt und an einer Reihe von Stellen entschärft worden war, befand sich damals in Vorbereitung. Sie erschien im Frühjahr 1996 als Samizdat, also "Eigendruck" auf Selbstkosten des Verfassers, in Anlehnung an eine einstige Bezeichnung für die russische Untergrundpresse. Denn Garaudy hatte keinen etablierten Verlag gewinnen können. Nachdem der Inhalt aber für die Medien einmal ruchbar geworden war, kam der Skandal – der, so zeigt es ein jüngst in Paris erschienenes Buch akribisch auf, durch den erfahrenen Herausgeber von La Vieille Taupe namens Pierre Guillaume von vornherein einkalkuliert worden war und ihm als Resonanzboden diente – ins Rollen. Die Aufmerksamkeit war entsprechend riesig. In Frankreich, so die Autoren des neuen Buches, Michaël Prazan und Adrien Minard unter Berufung auf Angaben Roger Garaudys während seines Strafprozesses im Jahr 1998, seien rund 25.000 Exemplare davon verkauft worden. Meist unter dem Ladentisch. Aber dank Übersetzungen in 23 Sprachen gehe Garaudy selbst davon aus, dass rund eine Million Leser von 1996 bis 1998 sein Buch konsumiert hätten. Um eine möglichst weite Verbreitung zu garantieren, habe Garaudy auf jegliche Autorenrechte bei Übersetzungen und auch auf jede Kontrolle deren Inhalts von Anfang an verzichtet.

Who the fuck is Roger Garaudy?

Aber wer war dieser Roger Garaudy überhaupt? Das breitere Publikum wusste, zum damaligen Zeitpunkt, nicht wirklich viel über ihn. Die Älteren erinnerten sich dagegen, dass der Mann einige Jahre vor seinem Parteiausschluss 1970 durchaus verdienstvolle oder prestigereiche Rollen bekleidet habe. In der französischen Nationalversammlung hatte er zeitweise den Abgeordnetensitz inne, auf dem einst der grobe historische Sozialistenführer Jean Jaurès – der als Kriegsgegner im August 1914 durch einen Chauvinisten ermordet wurde – gesessen hatte. Als KP-Politiker bezog er recht klare antikoloniale Positionen, schärfere, als die Partei sie damals offiziell verfechten mochte. Seinem Ausschluss aus der französischen KP ging seine Opposition gegen den sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei im Herbst 1968 voraus. Danach, so erinnerte man sich dunkel, habe Garaudy verschiedene religiöse Konversionen durchlaufen. Nacheinander sei es Protestant, Katholik und schlussendlich Muslim geworden. Man wurde nicht richtig schlau aus dieser so häufig konvertierten Persönlichkeit. Was, zum Teufel, konnte ihn nur geritten haben, ausgerechnet im Fahrwasser der Auschwitzleugner zu landen und als Stichwortgeber für Neonazis und andere Antisemiten unterschiedlicher Couleur zu dienen?

Dank des in diesem Jahr bei Calmann-Lévy erschienenen umfangreichen Werks von Prazan und Minard sieht man jetzt um Einiges klarer. Über Jahre hinweg haben die beiden Autoren die gesamte Vita Roger Garaudys ausgewertet, 1998 haben sie an seinen beiden Pariser Prozessen – dem Strafverfahren und dem Berufungsprozess, in dem das Strafmaß für Garaudy verschärft wurde – teilgenommen. Und sie zeichnen ein Bild, das zum Teil Bekanntes bestätigt, zum Teil aber auch in völlig neuem Lichte darstellt oder unbekannte Informationen liefert.

So zerstören die beiden Verfasser den Irrtum, Garaudy habe seine religiösen Konversionen erst begonnen, nachdem er der französischen KP bereits - gezwungenermaßen – den Rücken gekehrt habe. Diese Annahme ist nämlich falsch. Garaudy wurde 1913 in einem mutmaßlich atheistischen Elternhaus in Marseille geboren. Seine Familie zählte zum Mittelstand, wurde jedoch durch die körperliche und geistige Zerrüttung des Vaters bei seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg zum Opfer einer sozialen Deklassierung. Der junge Garaudy, auf der Suche nach einem Engagement und wahrscheinlich auch einem weltanschaulichen Halt, schloss sich einem parteikommunistischen Engagement an, bekehrte sich aber zeitgleich während seiner Philosophiestudien auch zum Protestantismus. Anlässlich seines Parteibeitritts machte er es im Übrigen zur Bedingung, dass er – in einer damals überwiegend vom militanten Atheismus geprägten KP – seinem Glauben nicht abschwören durfte. Er durfte ihn nicht nur beibehalten, sondern seitens der Partei glaubte man, in einer Phase der Entwicklung und Ausdehnung ihrer politischen Bewegung über einen "atypischen" Intellektuellen wie Garaudy den Brückenschlag in neue, ihr bis dahin verschlossen gebliebene Milieus schaffen zu können.

Garaudy selbst schuf sich, durch diese Aushandlung einer weltanschaulichen Sonderbedingung und durch sein doppeltes Engagement, einen ganz persönlichen Status innerhalb der Partei. Vermeintlich garantierte er ihm intellektuelle Selbständigkeit in einer damals doch eher eindeutig autoritär strukturierten KP. In Wirklichkeit aber, so schält sich bei der Lektüre von Prazan und Minard heraus, wurde dieser Sonderstatus mit dem "doppelten Standbein" für Garaudy schon früh zum Garanten für intellektuelle Beliebigkeit, für die Möglichkeit zum willkürlichen Zusammenrühren miteinander kaum vereinbarer Ideologieversatzstücke. Und weil Garaudy, als Mann des "Dialogs der Kommunisten mit den Gläubigen", schon früh auf sehr unterschiedlichen Seiten als Referent oder Autor gefragt war, wurde er schnell zum Vielschreiber – der aber zugleich, unter permanentem Zeitdruck stehend, eine immer gröbere Denkfaulheit entwickelte. In seinem Leben hat Roger Garaudy insgesamt 56 Bücher veröffentlicht. Ein Gutteil davon, so weisen Prazan und Minard ihm jedenfalls ansatzweise nach, besteht aus Plagiaten und der Zusammenfassung von Gedanken, die Andere vor ihm gefasst und formuliert haben. Das gilt übrigens bis hin zu seinen negationistischen Ergüssen, die – aus Altersgründen – zu seinen letzten Veröffentlichungen gehören, aufgrund derer der prominente Auschwitzleugner Robert Faurisson ihn des Plagiats durch ungekennzeichnete Übernahme langer Zitatstränge zichtigt.

Gleichzeitig scheint Garaudy – im Nachhinein betrachtet – schon immer einen Hang dazu gehabt haben, in quasi-religiösen, manichäisch vereinfachenden Kategorien ("Gut" – "Böse") zu denken und Erscheinungen, die in dieses Schema nicht hineinpassen mochten, nicht wahrhaben zu wollen, zu verdrängen oder gar offensiv zu leugnen. Im Januar 1949 trat der Parteiphilosoph und ‚organische Intellektuelle’ Roger Garaudy für die französische KP als Zeuge in einem Prozess auf, der im Pariser Justizpalast stattfand. Damals klagte der "abtrünnige" hochrangige Sowjetfunktionär Victor Kravchenko (Krawschenko), der 1946/47 in einem Buch ein erstes auf breiter Ebene wahrgenommenes Zeugnis über das sowjetische Lagersystem des GULAG abgelegt hatte, gegen eine parteikommunistische Zeitschrift wegen hetzerischer Diffamierung. (Die Zeitschrift wurde verurteilt, in zweiter Instanz wurde die Strafe beibehalten aber reduziert. Victor Kravchenko würde die US-Staatsbürgerschaft annehmen und 1966 Selbstmord begehen.) In seiner Aussage vor Gericht versuchte Garaudy, sämtliche störenden Informationen, die Kravchenko beibrachte, als pure Lügen zur Agitation gegen die UdSSR vom Tisch zu fegen. Er bezeichnete Kravchenkos Buch als "Enzyklopädie des Antikommunismus und des Antisowjetismus", wollte in ihm gar "die Sprache der Nazis" erkennen und empfahl dem sowjetischen Dissidenten, sich doch lieber "bei der Nachhut der Nazis, in den Reihen der Falange Francos" seine "Anhänger zu suchen". Doch Kravchenko hatte damals in der Sache (den GULAG betreffend) vollkommen Recht, auch wenn er falsch damit lag, sein Buch unter dem Titel "Ich habe die Freiheit gewählt" zu einer Lobpreisung für den real existierenden Westen werden zu lassen. Die Buchautoren Michaël Prazan und Adrien Minard erinnern mehrfach an diese Episode. Tatsächlich machen sie damit auf einen grundlegenden Charakterzug, der bei Roger Garaudy offenkundig schon seit längerem angelegt ist, aufmerksam: dem des manichäischen "Denkers", der abstreitet und leugnet, was sein Schema gefährden könnte. Allerdings legen sie auch eine gefährliche Fehlinterpretation nahe und führen auf eine falsche Fährte, wenn sie suggerieren, eine Parallele zwischen angeblichem rotem und braunem Totalitarismus, zwischen Garaudys Stalinismus und seiner späteren Nähe zu Nazigeistern vorzufinden. So richtig und notwendig Kritik am Stalinismus ist, so grundfalsch ist dieser bürgerliche "Totalitarismus"schrott.

Aus der Fälscherwerkstatt eines "großen Parteiintellektuellen"

Aufgrund seiner Doktorarbeit, die ihm 1953 an der Pariser Sorbonne den Doktortitel einbrachte, war Garaudy – der zugleich einer der einflussreichsten Parteifunktionäre der KP war – unter den kommunistischen Intellektuellen intern höchst umstritten. Denn ihnen war bekannt, dass diese Dissertation eine lange Serie von Plagiaten und ohne Quellenangabe übernommenen Artikeln aus KP-nahen geisteswissenschaftlichen Publikationen enthielt. Doch im Zuge der "Entstalinisierung", ab 1956, nahm Garaudy die Pose des groben "Entdogmatisierers" ein: Die nunmehr gefragte Verurteilung des "Dogmatismus" der vorausgegangenen Periode erlaubte es ihm, einen Brei intellektueller Beliebigkeit aus Ausdruck der neuen "undogmatischen" Linie zu verkaufen. Gegenüber dem zur Quasi-Ersatzreligion geronnene "Marxismus-Leninismus" der stalinistischen Phase schuf Garaudy damit eine Alternative, die in vielen Punkten noch schlimmer war, da sie mit derselben Selbstgewissheit auftrat, aber zugleich auf völlig willkürlichen Postulaten – durchmischt mit aus den Religionen entlehnten Moralsätzen – beruhte.

Aber erst in den sechziger Jahren gelang es den aufstrebenden marxistischen Intellektuellen, deren jüngere Vertreter es geschafft hatten, die kommunistische Philosophie aus der stalinistischen Erstarrung zu lösen, Garaudy endlich an den Rand zu drängen. Intern war er bereits seit längerem verhasst. Seine bisherige zentrale Position verlor er, nachdem 1964 der langjährige Parteichef Maurice Thorez starb und gleichzeitig ein neuer intellektueller Konkurrent von Rang ihm den Schneid abkaufen konnte: Louis Althusser. Auch deshalb trat Garaudy in Opposition zur neuen offiziellen Parteilinie, insbesondere zu den Vorgängen im Ostblock. Objektiv war es sicherlich richtig, die sowjetische Intervention gegen den "Prager Frühling" schärfer zu verurteilen, als es der windelweichen Erklärung des "Bedauerns" durch die Parteiführung entsprach – wie Garaudy es auch tat. Freilich war seine neue "Dissidenz" eben auch Ausdruck bzw. Konsequenz seiner innerparteilichen Marginalisierung. Alsbald war es um ihn geschehen: Garaudy wurde auf dem Parteitag in Nanterre 1970 ausgeschlossen.

In den siebziger Jahren begab Garaudy sich daraufhin auf die Suche nach etwas Neuem, was ihm die verlorene "politische Heimat" ersetzen könnte. Und nicht nur die, denn dank seiner langjährigen Position hatte Garaudy im Namen der Partei um die Welt reisen können, wie es kaum einem Anderen vergönnt war. Roger Garaudy schwang sich zum "Erneuerer" einer gesellschaftlichen Alternative auf, in deren Namen er sich immer mehr endgültig von den Bezügen zum Marxismus verabschiedete. Diese Phase kann bei ihm als Periode der endgültigen Zerstörung der Reste an politischer Vernunft und Analysefähigkeit bezeichnet werden. Um sein neues Gedankengebäude zu untermauern, zog Garaudy immer mehr religiöse Versatzstücke, Moralansprüche und Glaubenssätze heran. Zunächst versuchte er es, nach einer Konversion zur anderen christlichen Grobkonfession, mit einer Mischung aus katholischer Befreiungstheologie, Ökologie und Dritte-Welt-Solidarität. Im Laufe der Jahre fischte er dabei ideologisch immer mehr im Trüben, da er auf der Suche nach etwas "Absolutem" war, was seinem weltanschaulichen Gemisch eine Gesamtkohärenz oder die Weihen einer höheren Wahrheit verleihen könnte.

"Der Okzident ist ein Akzident"

Garaudy fing an, die Auffassung zu vertreten, die gesamte abendländische Geschichte sei eine einzige Aneinanderreihung von Verbrechen. Im Gestus des moralischen Ekels verkündete er einen Satz wie: "Der Okzident ist ein Akzident (Unfall)." Dabei verwies er auf Verbrechen, die sehr real waren wie jene der Kolonialeroberung, leugnete aber zugleich jegliche Dialektik in der Geschichte des "Abendlands" wie der Welt insgesamt und bestritt die Brüche – Revolten und Revolutionen, emanzipatorische Bewegungen, Frauenbefreiung oder Laizismus und einige andere Errungenschaften gesellschaftlicher Kämpfe -, die es auch gegeben hatte. Garaudy zog eindeutige moralische Gut-Böse-Urteile einem Denken in Widersprüchen, wie es das Marxsche Denken ausmacht, vor. Nun war er noch auf der Suche nach dem "Anderen", das er mystisch verklären und dem als rein negativ Definierten entgegensetzen konnte.

Bei seiner Suche erinnert Garaudy an einen anderen, deutschsprachigen Ex-Sozialisten, der um 1980 als "DDR-Dissident" und durch sein Buch Die Alternative bekannt wurde - aber einige Jahre später durch Spintisierereien auffiel und vertrat, "10.000 Jahre abendländischer Zivilisation" seien in die Mülltonne zu treten und der "Ausstieg aus der Industriegesellschaft" sei zu vollziehen. Rudolf Bahro, der nach seiner Übersiedlung aus der DDR den frühen GRÜNEN beigetreten war, kam 1984 zu dem Schluss, man müsse auf dem Weg zu einer tieferen Alternative einen "grünen Adolf" aus der "Volkstiefe" suchen. Am Schluss endete Bahro allerdings vergleichsweise harmlos, nämlich beim Sektenführer Baghwan an der US-amerikanischen Pazifikküste. Prazan und Minard kennen den Deutschsprachigen Bahro allem Anschein nach nicht. Aber die Parallele in Teilen seiner Entwicklung zur Argumentation Garaudys zur selben Zeit belegt, welche abwegigen Pfade ehemalige Marxisten einschlagen, wenn sie – etwa infolge der Konfrontation mit autoritären realsozialistischen oder parteikommunistischen Strukturen – das Kind mit dem Bade ausschütten.

Garaudy wird seinerseits schließlich bei seiner Suche fündig, und zwar 1982. Im selben Jahr heiratet er eine muslimische, palästinensischstämmige Frau – Cherchez la femme? – und konvertiert selbst zum Islam. Zum Teil wohl zunächst schlicht, um den Eheschluß zu ermöglichen, zum Teil aber auch aus Faszination für eine muslimische Religion, die er als das gänzlich "Andere", als den groben positiven Gegenentwurf herbei fantasiert. Letztere Religion interpretiert Garaudy sich dabei so zurecht, wie es seinen persönlichen Bedürfnissen zupass kommt, so möchte Garaudy im Islam zunächst nur den Mystizismus der Sufi entdecken. Aber gleichzeitig adoptiert er ein Weltbild, das nunmehr globale Blöcke aufweist, die fein säuberlich in Gut (der Islam, die Moralsuche im "progressiven Katholizismus"...) und Böse (der glaubens- und ideallos gewordene "materialistische Westen", ...) eingeteilt werden können.

In diese Konstellation hinein platzen aktuelle (welt)politische Ereignisse, insbesondere die israelische Invasion im Libanon im Frühsommer 1982 und die Massaker von Sabra und Schatila im September ’82. Um jene Zeit ist die israelische Gesellschaft so tief gespalten wie noch nie, in Tel Aviv demonstrieren 400.000 Menschen gegen den Einfall im Libanon. Verglichen mit der Bevölkerungszahl, entspräche das in der damaligen BRD rund sieben Millionen Demonstranten. Garaudy, frisch konvertiert und auf seinem neusten Religionstrip unterwegs, "analysiert" die Ereignisse, indem er sie in sein moralisches Gut-Böse-Raster einfügt. Zugleich sucht er nach "absoluten" Antworten, die ihm die Frage klären sollen, was auf die Seite des Guten oder des Bösen gehört. Er findet eine Antwort: Israel ist nicht nur ein Staat, der 1982 eine militärische Aggression im Libanon beging, sondern zugleich – Garaudy zufolge – auf eine Religion gegründet, die auf blutrünstigen Mythen aufbaut. Als angeblichen Beleg zieht Garaudy Textpassagen aus dem Alten Testament heran, die die Eroberung des damaligen "Gelobten Landes" schildern, bei der den Erzählungen des Josua zufolge vorher dort wohnende Stämme – die Kanaanäer – massakriert wurden.

Da er nach "der Wahrheit" auf dem Grunde der unterschiedlichen Religionen sucht, zieht Garaudy eine direkte Verbindungslinie zu den aktuellen Ereignissen und kommt zum Schluss: Die jüdische Religion ist aggressiv, und der Staat Israel bzw. seine konkret verfolgte Politik ist mit den "grundlegenden Mythen" dieser Religion in Eins zu setzen. Es bleibt das Problem, dass die Gründungsgeschichte dieses Staates zwar tatsächlich eine religiöse Dimension aufweist, aber daneben und unabhängig davon auch einen eminent politischen Aspekt: die Entstehung des Zionismus als Reaktion auf den wachsenden europäischen Antisemitismus um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Im späteren Verlauf dieser politischen Geschichte spielte ein manifester Einfluss des Zeitgeists der Kolonialära – bei dem Versuch, die britische Kolonialmacht im Vorderen Orient als Verbündete zu gewinnen – eine Rolle. Aber ihre stärkste Durchschlagskraft erhielt die zionistische Bewegung, die zuvor unter den Juden weltweit minoritär gewesen war, nachdem der nationalsozialistische Staatsantisemitismus zum Vernichtungsprogramm der "Endlösung" für die europäischen Juden geführt hatte. Bei diesen widersprüchlichen politischen Aspekten möchte Garaudy sich aber nicht aufhalten. Für ihn ist alles ein und dasselbe: die biblische Erzählung einschließlich der eher historiographischen (die Realgeschichte jener Periode erzählenden) denn religiösen Facetten des Alten Testaments, die Existenz und Politik des Staates Israel, und seine Rechtfertigung durch den historischen Einschnitt des Genozids an den Juden im 20. Jahrhundert. Letztere stellt Garaudy aus diesem Grund auf eine Stufe mit den Legenden und Erzählungen des Alten Testaments, und qualifiziert alle zusammen als "Mythen". Eben, nach seiner Wortwahl, die "Gründungsmythen der israelischen Politik".

Das Gegenteil von falsch ist nicht unbedingt richtig (sondern kann noch fälscher sein)

Aus Reaktion auf dieses Abdriften des früheren marxistischen Intellektuellen ins Irrationale und Reaktionäre entscheiden sich andere, ehemals linke Intellektuelle für ein ebenso harsches Umschwenken auf eine diametral entgegen gesetzte Position – die von ihnen genauso undialektisch vertreten wird. 1983 publiziert Pascal Bruckner sein Pamphlet Le sanglot de l’homme blanc (deutsche 1984: "Das Schluchzen des weißen Mannes"), in dem er pauschal mit dem Antikolonialismus und dem "westlichen Selbsthass" abrechnet und eine militante Verteidigung der real existierenden Gesellschaften des Westens und ihrer "Werte" predigt. Auf ähnlichen Spuren wandelt wenig später der Ex-Maoist Alain Finkielkraut, der 2005 in einem umstrittenen Interview u.a. sagen wird, der Kolonialismus habe doch auch "den Wilden Bildung und Zivilisation" bringen wollen. Diese Positionierung ehemaliger Linker, die sich nun affirmativ statt kritisch auf die sie umgebende Gesellschaft beziehen, ist zum Teil auch eine Reaktion auf die Verirrungen eines Roger Garaudy, mit denen Bruckner und Finkielkraut sich heftig gefetzt hatten.

In der Sache ist sie genauso undialektisch, und sie leugnet tendenziell reale Verbrechen der Herrschenden im "Westen". Die beiden Buchautoren Prazan und Minard neigen selbst eher dieser Position zu. So fällt auf, dass sie in der Abgrenzung der Positionen Garaudys mitunter selbst problematisch argumentieren, und etwa tendenziell das Ausmaß der Massaker im Libanon 1982 oder im Iraq während der "Operation Wüstensturm" vom Januar/Februar 1991 verniedlichen und durch "völkerrechtliche" Argumente verharmlosen (wie zum Beispiel jenes, der Bombenkrieg der US-geführten Kriegsallianz gegen den Iraq von 1991 sei durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats gedeckt gewesen – was zwar zutrifft und besonders durch den damaligen Kurs der Gorbatschow-UdSSR möglich wurde, aber die Sache keinen Millimeter besser werden lässt). Trotz dieser bedenklichen politischen Tendenzen und der stellenweise anzutreffenden Einäugigkeit, die man kritisieren kann und sich zum Teil aus der "pro-israelischen" Grundposition der Autoren ableiten lässt, vermag man ihr Buch dennoch mit großem Gewinn zu lesen, da sie die ideologische Entwicklung eines Roger Garaudy dennoch in der Sache sehr sauber herausarbeiten.

Michel Lelong, ein überaus reaktionärer Pfaffe oder: Sag’ mir, wer Deine Verbündeten sind, und ich sage Dir, was Du bist

Die grundlegenden "Ideen" seines 1995 veröffentlichten Buches sind (damit) bei Garaudy schon ab 1982 deutlich vorhanden, und ändern sich ab diesem Zeitpunkt kaum noch. Bereits ab 1982 nähert Garaudy sich, auf der Grundlagen einer essenzialistischen und ethnisierenden sowie konfessionalisierenden Kritik am Judentum "an und für sich" – aus dem direkt die konkrete israelische Politik abgeleitet wird – an rechtsextreme Figuren an.

Sein wichtigster Alliierter seit jener Zeit ist der katholische Priester Michel Lelong. Letzterer galt bis dahin in weiten Kreisen als "Mann des Dialogs", da er einige Jahr lang für die französische katholische Kirche Beauftragter für den christlich-islamischen Dialog war. In Wirklichkeit, und Prazan/Minard arbeiten es sehr gut heraus, ist Lelong ein rechtsextremer Priester, der bemüht ist, durch den Kontakt und die philosophische Konfrontation mit einer anderen Religion – die noch eine stärkere gesellschaftliche Bindungskraft in vielen Ländern aufweist, als dies für das Christentum in der Mehrzahl der westlichen Länder gilt – dem "christlichen Abendland" wieder stärker zu einer "kulturellen Identität" zu verhelfen. Der Islam und seine soziale Bindungskraft sollen dem katholischen Europa dabei letztlich als Spiegel dienen, um sich selbst "wiederzufinden". Die scheinbare Faszination für das (mystifizierte) "Andere" dient dabei überwiegend als Mittel zur identitär-kulturalistisch inspirierten "Selbstfindung".

Lelong bekennt sich zwar nicht offen zur extremen Rechten, sondern behauptet in der Öffentlichkeit, Gaullist zu sein. Anhand seiner Auftritte bei rechtsextremen Radiostationen und anhand seiner Texte, in denen er etwa gegen die "Subversion" in der katholischen Kirche durch "linke und liberale Priester" wettert, weisen Prazan und Minard ihm jedoch seine wirklichen ideologischen Dispositionen nach. Lelong, der auch eine gewisse Faszination für Bewegungen wie die libanesische Hizbollah an den Tag legt, trat 1998 als Entlastungszeuge für Roger Garaudy in seinem Strafprozess auf. Aber im selben Jahr war er auch Zeuge der Verteidigung im Prozess gegen Maurice Papon, dem wegen seiner Rolle bei den Judendeportationen aus Südwestfrankreich im Zweiten Weltkrieg in Bordeaux der Prozess gemacht wurde. In seinen Schriften hat Lelong dies auch verarbeitet, dergestalt, dass der Prozess gegen den treuen Staatsdiener Papon – der seine Karriere nach 1944 fortsetzte und im französischen Kolonialkrieg in Algerien eine neue Blutspur zog – ein Anzeichen für die Dekadenz und den Niedergang des Abendlandes sei.

Die Abbé Pierre-Affäre, kurzer Rückblick

Um Roger Garaudy an die Seite offener Holocaustleugner und Rechtsextremer zu bringen, brauchte es nur noch ein weiteres Element: die richtigen Kontakte. Um sie wird sich in den neunziger Jahren Pierre Guillaume kümmern, der Herausgeber von La Vieille Taupe, den Garaudy getroffen hatte, "um sich zu dokumentieren". Er wird sich tunlichst darum bemühen, nach seinen Worten "eine Bombe zu zünden", um die Ideen der Negationisten weithin bekannt zu machen. Dies glückt ihm, als er das Buch des früheren KP-Philosophen der Öffentlichkeit präsentieren kann – und wenige Wochen später, im Frühjahr 1996, auf einer Pressekonferenz einen Unterstützungsbrief des prominenten Armenpriesters Abbé Pierre für Garaudy präsentieren kann.

Der Abbé Pierre, der durch seinen Einsatz für die Obdachlosen bekannt geworden war und im Januar 2007 verstarb, war in vielen seiner Ideen noch dem christlichen Antijudaismus der katholischen Kirche aus der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1963 bis 65) verbunden. Zugleich knüpfte ihn eine langjährige persönliche Freundschaft an Garaudy, aus der Zeit, als er Ende der vierziger Jahre als linkskatholischer Abgeordneter im französischen Parlament saß, wo Garaudy die KP vertrat. In seinem Brief plädierte der Abbé Pierre dafür, "endlich eine freie Diskussion" über das Ausmaß des Holocaust und seine Benutzung als Rechtfertigung für die israelische Politik zuzulassen. Die Negationisten - die sich gar zu gern hinter der Behauptung verschanzen, ein "Diskussionsverbot" und "Tabu" durchbrechen zu wollen - hatten durch ihn eine unverhoffte Unterstützung gefunden. Der Abbé Pierre war auch dafür bekannt, dass er im Zweiten Weltkrieg persönlich gefährdete Juden über die Grenze gerettet hatte.

Der Prozess des Geschichtsfälschers Garaudy

Sein Prozess im Januar 1998 ebenso wie der Berufungsprozess im Oktober desselben Jahres zog Neonazis, Verschwörungstheoretiker und prominente Geschichtsrevisionisten wie Robert Faurisson an. Sie blieben Garaudy als wichtigste Verbündete und waren in größerer Anzahl gekommen, um ihn vor dem Pariser Gericht zu unterstützen (auch wenn Faurisson aus diesem und anderen Anlässen bitterlich beklagte, Garaudy habe ihn plagiiert und seine Inhalte übernommen, ohne ihn zu zitieren).

Alles in allem lastete eine unglaublich drückende, üble Atmosphäre im Zuschauersaal des Prozesses, sofern die Schilderung bei Michaël Prazan und Adrien Minard zutrifft. Am zweiten Prozesstag (9. Januar 1998) lässt ein Journalist, der für rechtsextreme Presseorgane arbeitet, Judenkarikaturen über anwesende Persönlichkeiten im Saal zirkulieren. Ein Herr, der einen ungenehmen Journalisten fotographiert hatte und deswegen durch die Polizei auf dem Gerichtsflur vorsorglich mitgenommen wurde, entpuppte sich als Mitglied des Front National.

Am dritten Verhandlungstag, dem 15. Januar 1998, spielt sich den beiden Buchautoren zufolge folgende Szene ab: "(Der berüchtigte Anwalt Jacques Vergès, Verteidiger Roger Garaudys) trinkt einen Kaffee im ‚Deux Palais’ (Anm.: Café direkt gegenüber vom Justizpalast) in Begleitung von zwei jungen Schlägertypen aus der extremen Rechten, die eine Bomberjacke und Lederhandschuhe tragen. Gegen 13 Uhr verlassen sie den Tisch des Anwalts, der seinen Kaffee zu Ende trinkt, um sich diskret in den (Justiz-)Palast zu begeben. Irgend etwas braut sich zusammen. (...) Anwälte in ihren Roben diskutieren und versuchen, die Erregung rund um sie herum nicht wahrzunehmen. Man starrt sich an. Beleidigungen ertönen. Man hört einen Ruf: <Tod den Juden: Tod Israel!>, auf den ein Gegenruf <Tod den Palästinensern! Garaudy, Fascho – die Juden kriegen Deinen Kopf!> antwortet. Aus dem Irgendwo taucht eine Horde von Neofaschisten auf und stürzt sich mitten in die Menschenmenge hinein, die sich wie unter dem Effekt einer chemischen Reaktion zerteilt. Unter ihnen die beiden jungen Leute, die eben noch mit dem Anwalt Vergès Kaffee getrunken haben. Ebenfalls aus dem Irgendwo stellt sich eine Bande junger jüdischer Aktivisten des Betar-Taggar (Anm.: rechte bis rechtsextreme jüdische paramilitärisch-politische Gruppe, ethno-nationalistischer Provinienz) ihnen gegenüber auf. (...) Die beiden rivalisierenden Banden stürzen sich aufeinander, inmitten eines unglaublichen Durcheinanders. Einige von ihnen landen am Boden. Schaulustige bekommen Faustschläge, die ungezielt abgegeben worden war, ab und schreien auf. Polizisten versuchen die Situation zu beruhigen. Das Ganze dauerte nur eine Minute. Die beiden Banden lösen sich ebenso plötzlich auf, wie sie aufgetaucht waren. Fünf Mitglieder des Betar und fünf Angehörige des GUD (Anm.: rechtsextreme studentische Schlägertruppe) werden auf die Polizeiwache gebracht. Eine relative Ruhe herrscht wieder, als Faurisson und seine Anhänger auftauchen, die unter Polizeischutz den Zuschauersaal betreten..." (Vgl. S. 272/273)

Auch eine Handvoll von jeglicher Vernunft abgekommener und auf ähnlichen Pfaden wie Garaudy wandelnder, früherer Linker gab sich aus diesem Anlass dort ein Stelldichein. An erster Stelle sind dabei insbesondere die aus der grünen Partei ausgeschlossene Holocaustleugnerin Ginette Skandrani und die vermeintliche "Dritte Welt"-Freundin Maria Poumier zu zitieren.

Garaudy und Maria Poumier

Maria Poumier, die den weiblichen Fanclub Roger Garaudys anführte und noch immer anführt, ist eine frühere Spanisch-Dozentin und Lateinamerikaexpertin an der Universität Paris-8 (einer Hochschule mit ehemals starker linker Tradition, in der Vorstadt Saint-Denis), die einen Teil ihres Lebens in Kuba verbracht hat. Roger Garaudy befand sich im Januar 1996 just – auf Poumiers Einladung hin – zu einem Vortrag an "ihrer" Hochschule Paris-8, als die Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ am selben Nachmittag erstmals durch einen Artikel eine breitere Öffentlichkeit über das Abdriften des früheren KP-Philosophen in den Negationismus informierte. Daraufhin kam es zu heftigen Protesten von Studierenden gegen die Anwesenheit Garaudys an der Universität (vgl. S. 178-180 im Buch von Prazan/Minard).

Was motiviert Maria Poumier? Eine krude Mischung aus geistig unverdauten Versatzstücken des Antiimperialismus, einem subjektiven "Rebellen"tum und dem Eindruck, dass der arme Garaudy zu Unrecht verfolgt werde, wurde in ihrem Kopf offenbar zum Antrieb für Solidarisierungsaktivitäten zugunsten des Angeklagten. Roger Garaudy erschien der früheren Hochschullehrerin als jemand, "der endlich einmal etwas Tabuisiertes auszusprechen wagt und dem man deswegen den Mund zu stopfen versucht". Später würde Poumier, die sich auch weiterhin im Umfeld Garaudys bewegt, in Frankreich die Schriften des vermeintlichen "israelischen Dissidenten" (und, in Wirklichkeit, nichtjüdischen schwedisch-russischen Antisemiten) ‚Israel Shamir’ publizieren. Dieselbe Person publizierte zwischenzeitlich auch selbst wahnwitzige Schriften über "Den Zionismus in Lateinamerika", die blanke Verschwörungstheorien verbreiten ([1]).

Glatter Unfug ist es hingegen, aufgrund der vergangenen Betätigung der durchgeknallten Ex-Linken Poumier an der Hochschule Paris-8 zu behaupten, bei selbiger handele es sich um ein "Sammelbecken von Antisemiten und Globalisierungsgegnern" (sic), wie eine auf geradezu mystische Weise pro-israelische und mit stark rassistischen Untertönen gegen Araber agitierende Extremistin dies wiederholt tat (vgl. http://www.eussner.net/artikel_2005-08-07_02-05-28.html) Die Wahrheit liegt anderswo: Bereits der erste Auftritt Garaudys an der Seite Maria Poumiers in ihrer Hochschule, der just auf den Tag des Bekanntwerdens des Negationismus-Skandals rund um Roger Garaudy fiel, führte dort zu heftigen Protesten, siehe oben. Und in der Folgezeit wurde Maria Poumier in ihrer wissenschaftlichen Abteilung zum "Opfer" (doch mitnichten: unschuldigen Opfer!) stetigen Mobbings. Sämtliche wissenschaftlichen und universitären Funktionen wurden ihr entzogen, und Poumier wurde schlussendlich zum Rücktritt von ihrem Lehrposten an der Universität – den sie inzwischen längst aufgegeben hat - getrieben. Ihr Wirken gibt also Anlass zu heftiger Kritik, nicht aber dazu, Lügen über ihr gesamtes früheres akademisches und sonstiges Umfeld zu verbreiten.

Roger Garaudy im Nahen und Mittleren Osten

Zur selben Zeit wurde Garaudy aber auch in Teilen der arabischen Welt als eine Art Superstar gefeiert. Besonders in Ägypten und in Jordanien wurde ihm im Jahr seines Prozesses, 1998, ein triumphaler Empfang an Universitäten und in Großveranstaltungen bereitet – als Held und Märtyrer, der in der westlichen Welt und von "den Zionisten" wegen seiner störenden Meinungsäußerungen verfolgt werde. Seine damalige Tournee durch den Nahen und Mittleren Osten führte Garaudy, als letzte Station, auch in den Iran. In dessen Hauptstadt Teheran wurde er im April jenes Jahres durch höchste Autoritäten der Islamischen Republik, unter ihnen der als moderat geltende Präsident Mohammed Khatami und "Revolutionsführer" Ali Khamenei, empfangen.

Garaudys dortige Popularität hat sich bis heute in Restbeständen, so wird "Raja" Garaudy – sein Vornamen wurde in der Region arabisiert – in Teilen der Medien oft zitiert. Eines der Motive dafür liegt auf der Hand: Durch seine Argumentation über die "Gründungsmythen der israelischen Politik" bestreitet Garaudy dem Staat Israel so fundamental einen der historischen Gründe seiner Existenz – die mörderischen Konsequenzen des Antisemitismus im Europa des 20. Jahrhundert -, dass er scheinbar Munition im politischen Konflikt mit Israel liefert. Obwohl Prazan und Minard selbst eher pro-israelisch und Befürworter der Politik der westlichen Staaten sind, arbeiten sie gut heraus, dass Garaudy den Arabern dadurch in Wirklichkeit gar keinen Gefallen tut. Denn mit ihm wird die Kritik an Israel auf eine historisch, politisch und moralisch fragwürdige, ja absolut unhaltbare Grundlage gestellt.

Ein anderer Hauptgrund für die bereitwillige Aufnahme, die Garaudy in manchen Staaten der Region als vermeintlicher "großer Intellektueller" und "Dissident im Westen" gefunden hat, liegt in seiner Eigenschaft als Muslim. Garaudy konvertierte ja im Jahr 1982 zum Islam, nachdem er zuvor mehreren anderen religiösen Bekenntnissen angehangen hatte. In Kontrast zu einem als arrogant und dominanzsüchtig erlebten Westen, dessen politische und intellektuelle Repräsentanten oft mit Herablassung auf die Einwohner der "Dritten Welt" blicken, schien Garaudy somit "auf gleicher Stufe" zu stehen: Er schien den Menschen in Kairo als "einer der Ihren" entgegen zu treten, und ließ sich bereitwillig auf einen "Dialog" mit ihnen ein. Und sei es in Wirklichkeit auch vorwiegend, um sich von ihnen feiern und sich seine eigene Großartigkeit bestätigen zu lassen.

Garaudy bekehrte sich unter anderem wohl auch aus persönlichen, nicht völlig uneigennützigen Gründen zu seiner neuen Religion: Cherchez la femme?! 1982 heirate er eine palästinensischstämmige Muslimin, Salma, und der Eheschluss wurde durch seine Konversion möglich. Letztere entsprang aber auch seiner Suche nach einer ideologischen Heimat, nach etwas "Absolutem", das ihm – nach dem Verlust seiner früheren weltanschaulichen Bezugspunkte – als Welterklärung dienen könnte. Er schien ihn im Islam zu finden, den er sich freilich seinen Bedürfnissen entsprechend zurecht interpretierte – so wollte Garaudy, in seiner Begründung für die religiöse Konversion, zunächst im Islam nur den Mystizismus der Sufis wieder erkennen und ließ alle "härteren" historischen Erscheinungsformen dieser Religion bzw. ihrer politischen Anwendungen vorerst aus seinem Sichtfenster ausgeblendet. Längerfristig diente ihm "der Islam", so wie Garaudy ihn sich zurechtschneidert, als (von ihm mystifizierter) Gegenentwurf zum "Westen". Einem Westen, den Garaudy zu jener Zeit zunehmend als ideallos und verkommen, ja, (so eine Bezeichnung im Untertitel eines seiner Bücher, über die USA ([2])) als "dekadent" erschien. Die Zuneigung zum vermeintlichen "Anderen" in Gestalt des Islam, bei dem er Zuflucht nehmen konnte, hatte also keineswegs zuvörderst menschenfreundliche Gründe.

Roger oder "Raja" Garaudy hatte und hat aber keineswegs nur Freunde in den arabischen Ländern des Nahen Ostens. Auch dies arbeiten Prazan und Minard auf dankenswerte Weise und sauber heraus. So zitiert er den Streit um die Einladung Garaudys und andere prominente Auschwitzleugner zu einer großen Konferenz zum Thema "Revisionismus und Zionismus". Diese sollte Ende März und Anfang April 2001 in Beirut stattfinden, musste dann aber doch noch – in letzter Minute – unter innenpolitischem und internationalem Druck annulliert werden. Eine Reihe prominenter arabischer Intellektueller sprachen sich in einer Petition gegen diese Veranstaltung und gegen die Popularität Garaudys aus. Unter ihnen befanden sich etwa der libanesische Dichter Adonis und der Schriftsteller Elias Khoury, die palästinensischen Intellektuellen Ewdard Said und Elias Sanbar (von der in Paris erscheinenden ‚Revue d’études palestiniennes’) sowie der Poet Mahmud Darwisch, oder der algerisch-französische Historiker Mohammed Harbi.

Schon früher, bei der ersten "Welle" der Garaudy-Verehrung in den spätern neunziger Jahren, hatten Edward Said und der (2005, aus anderen Gründen, ermordete) libanesische Journalist und Historiker Samir Kassir sich heftig gegen Garaudy und seine These gewandt. Edward Said, der seine ganzes Leben hindurch politisch gegen die israelische Besatzung kämpfte, warf den Anhängern Garaudys ihr "totales Scheitern an der Aufgabe, einen würdigen Kampf" gegen diese Besatzungspolitik zu führen, vor. Das Streben nach einer Befreiung von ihr, so Said damals, könne nur mit einem positiven moralischen Anspruch einhergehen – oder diskreditiere sich von selbst. Ferner warf er den Garaudy'fans' vor, den alternden französischen Philosophen als angeblichen Märtyrer für die Meinungsfreiheit zu feiern: "Aber warum kämpft ihr nicht schärfer gegen die  Unterdrückung der Meinungsfreiheit in unseren eigenen Gesellschaften", also "in der arabischen Welt, wo sie viel mehr Besorgnis erregen müsste?" Klare Worte, auch wenn Edward Said in der Folgezeit – einerseits selbst unter Druck der arabischen öffentlichen Meinungen geratend, sich andererseits vor Beifall von der falschen Seite aus den westlichen Staaten retten mögend – eine Pirouette vollzog und herausstrich, er habe sich aber immer "für die Meinungsfreiheit" der Negationisten ausgesprochen. Ein falscher Kompromiss. Auch wenn Edward Said in der Sache selbst stets klar blieb und die Holocaustleugnung zurückwies.

Schlussbetrachtung/Ausblick

Garaudy ist heute zu alt, um noch in der Öffentlichkeit eine Rolle zu spielen. Die beiden Autoren haben den demnächst 95jährigen jedoch in seinem Wohnhaus, an der Marne in einem Pariser Vorort, treffen können. Dort textete der alternde Philosoph sie mit Verschwörungstheorien über den 11. September 01 und einer wirren Rechtfertigung seiner Veröffentlichungen zur Anzweifelung des Holocaust zu. "Als Denker ist er seit langem gestorben": Mit diesen harten Worten über den Mann, der sichtlich auf das Ende seines Lebens zugeht, schließen Prazan und Minard ihr Buch ab. Dem ist tatsächlich nichts hinzufügen.

Michaël PRAZAN und Adrien MINARD: Roger Garaudy. Itinéraire d’une négation. Calmann-Lévy, 2007, 430 Seiten, 20.90 Euros

Eine stark gekürzte Fassung des Ausgangsmansukripts erschien am 22. November 2007 in der Berliner Wochenzeitung Jungle World. Ein gesonderter Artikel zum Aspekt der Rezeption Roger Garaudys in der arabischen Welt, im Nahen und Mittleren Osten wurde am 3. Januar 2008 im Internetmagazin Qantara publiziert.

Anmerkungen:
[1] Unter anderem diese, zitiert nach Prazan/Minard, S. 372/273: "Maria Poumier behauptet (in einem Artikel), entscheidende Informationen gefunden zu haben, die es erlaubten, <die präzisen Verbindungslinien zwischen Kapitalbewegungen, dem Sitz der wirklichen Macht und den Mythenbildungen der zionistischen Propaganda> zu enthüllen. Im Weiteren übernimmt sie alle Elemente der Theorie von der Weltverschwörung, in Gestalt eines <Weltstaats, der durch das Medienimperium des Holocaust maskiert wird>. Sie beklagt auch <den wachsenden Einfluss der jüdischen Lobby in der Logik des nordamerikanischen Imperialismus sämtlicher Konfessionen> und <den wachsenden Einfluss der nämlichen Lobby auf die amerikanischen Führungsfiguren>. Die Beweise dafür? Sie liegen laut der Autorin auf der Hand: Alle Anführer der CIA seit der Gründung der Nachrichtenagentur waren Juden, berichtet sie, und Bill Clinton ist seit der Affäre um Monica Lewinsky – deren Zugehörigkeit zu einer <wichtigen konservativen jüdischen Familie> durch den Fernsehsender CNN verborgen worden sei – als Geisel in ihrer Hand. Das einzig Originelle an diesen antisemitischen Auslassungen liegt daran, dass sie (Marie Poumier) eine Verbindung zu den Kämpfen der sozialen Unterklassen in Lateinamerika (...) herstellt, indem sie vor <israelischen Interventionen überall dort, wo Phänomene der militärischen und polizeilichen Repression gegen die lateinamerikanische Bauernschaft auftauchen> warnt. Der Grund dafür ist einfach, obwohl verkannt, folgt man Maria Poumier, denn <es handelt sich um die rassistische Verachtung der Bauernschaften im Allgemeinen, die als zu vertreibende oder zu unterwerfende Bevölkerungen betrachtet werden, nach dem Vorbild dessen, was in Palästina seit 1948 systematisch praktiziert wird, und wofür sich der religionsgesetzliche (canonique) Ausdruck im Talmud findet.>" Dieser nackte Wahnsinn kann und muss in der Tat als antisemitisch in purer Form bezeichnet werden.
[2] Vgl. Roger Garaudys Buch ‘Les Etats-Unis, avant-garde de la décadence’ (Die USA, Avantgarde der Dekadenz), Editions Vent du Large, 1997.  Das Thema der – kulturell und religiös ebenso wie ökonomisch und oberflächlich sozialkritisch durchdeklinierten – "Dekadenz" ist bei Garaudy bereits spätestens in einem längeren Interview, das er im Dezember 1993 der Tageszeitung seiner früheren Partei gegeben hat, präsent. Dieses Gespräch mit Garaudy erschien in einer Periode des stärksten politischen Niedergangs und der größtmöglichen ideologischen Verwirrung in den Reihen der französischen KP, bevor die ehemals realsozialistische Partei sich ab 1994 wieder zu berappeln und als links-sozialdemokratische Reformpartei einen neuen Anlauf zu nehmen versuchte. Vor allem in jenem Jahr 1993 brachte die Periode der politisch-ideologischen Verirrung einige schräge bis "rot-braune" Missklänge hervor, welche die Parteileitung später abzustellen bemüht war. In dem fraglichen Interview führt Roger Garaudy über die ‚dekadenten’ USA u.a., in Anlehnung an den Niedergang des antiken Rom, aus: "Wir haben es mit einer Periode der Dekadenz zu tun. Ich habe versucht, Kriterien dafür zu definieren. (...) Das erste (Kriterium) gilt der wachsenden Ungleichheit, die ein Ungleichgewicht in der Welt hervorbringt. (...) 20 % der Weltbevölkerung kontrollieren und konsumieren 80 % der Ressourcen des Planeten. (...) Diese Betrachtung führt mich zum Nachdenken, nicht nur über dieses oder jene besondere Problem, sondern über die Grundziele unseres Handelns, unserer Politik, unseres Umgangs mit der Welt. Dies war traditionell immer die Angelegenheit der Religionen, welcher (Religion) auch immer. Ich habe dem die Überschrift ‚Brauchen wir Gott?’ verliehen, denn <Gott> zu sagen bedeutet zuerst, zu sagen, dass das Leben einen Sinn hat. Das zweite Kriterium der Dekadenz ist der absolute Vorrang für die Spekulation gegenüber der Arbeit. (...) Ich habe versucht, in der Geschichte analoge Situationen zu finden. Ich habe nur eine gefunden, jene der römischen Dekadenz. Sie zeichnete sich durch eine sehr starke Ungleichheit der Vermögen aus. (...) Die Ungleichheit der Vermögen erzeugt in den USA eine rekordhafte Kriminalitätsrate. (...) ..33 Millionen (Anm.: US-)Amerikaner leben unterhalb der Armutsgrenze, und 35 Millionen sind drogenberauscht (drogués). Wir müssen in den USA die Avantgarde dieser Dekadenz erblicken, auch wenn man mich des Antiamerikanismus zichtigen wird." (vgl. http://www.humanite.fr/1993-11-02_Articles_-Roger-Garaudy-une-derive-de-mort)
Alles in allem ein Musterbeispiel für reaktionäre, da moralisierende und an vielen Punkten an gesellschaftlichen Folgeerscheinungen (die als "Zerfallsprodukte" einer vormalig vorhandenen, korrekten moralischen Ordnung wahrgenommen werden) ansetzende, auf marxistische Kriterien verzichtende Kapitalismuskritik. Sei es mit oder Anführungszeichen um Kapitalismuskritik. Endgültig ins Reaktionäre kippt Garaudy in seinen Auslassungen, wenn er ein paar Absätze später ausführt: "Die größten Probleme in der Welt von heute sind der Hunger, die Arbeitslosigkeit ET L’IMMMIGRATION (und die Einwanderung)" (ebenda, Hervorhebung vom Autor dieser Zeilen). Auch wenn die Intention des Interviewten – Garaudy – mutmaßlich subjektiv nicht rassistisch war und Garaudy ansonsten eher als moralischer Antirassist auftreten würde, so ist doch dieses Herangehen an "das Problem der Einwanderung" in der Sache reaktionär.

hagalil.com 17-02-2008

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