Islam und Judentum:
Abraham – unser gemeinsamer Vater im GlaubenDas
Zentral-Institut Islam-Archiv-Deutschland engagiert sich für eine
muslimisch-jüdische Annäherung
M. Kusserow
"Es kann nicht darum gehen, dass sich die
Religionen der Welt über ihre Glaubenssätze verständigen. Es kann nur
darum gehen, dass die Religionen der Welt die Rettung der Menschen vor
dem Untergang entwerfen und in Angriff nehmen. Denn dies ist ihnen
vertraut."
(Martin Buber)
Titelblatt
aus dem Jahre 1924.
Foto: Archiv
Nicht vergessen wollen wir, dass in der Vergangenheit
Juden und Muslime Vertreibung, Folter und Tod - zum Beispiel während der
Kreuzzüge - gemeinsam auf sich nahmen.
Die bewaffneten Pilgerfahrten nach Jerusalem, die Reconquista in
Spanien, Portugal und auch Italien belegen das ebenso wie der
nationalsozialistische Rassenwahn im Dritten Reich und die Schoah, der
millionenfache Mord und die Vernichtung des europäischen Judentums.
Von den etwa 500.000 in den deutschen Vernichtungslagern ermordeten
Sinti und Roma waren 200.000 Muslime. Erst in der Gegenwart wurden Juden
und Muslime durch den ungelösten Nahostkonflikt zu Feinden.
Im Gegensatz zur jüdische Seite, die ihren theologischen Beitrag zum
jüdisch-islamischen Verhältnis aufgearbeitet hat - dafür stehen Namen
wie Pnina Nave Levinson, Max Friedländer, Hermann Levin Goldschmidt,
Schalom Ben Chorin, Pinchas Lapide, Ernst Ludwig Ehrlich, aber auch
Henry Brandt und Ignatz Bubis, bis zu seinem Tode am 13. August 1999
Mitglied im Kuratorium des ZI IAD - hat es bisher dazu von islamischer
Seite keine kritisch-wissenschaftliche Untersuchung gegeben.
Offensichtlich steht dem immer noch die irrationale antijüdische Haltung
der Masse der Muslime im Wege. Die Schuld liegt eindeutig auf der Seite
der islamischen Theologie, die jedes Bestreben, in der
jüdisch-muslimischen Frage Ansätze zu einem Dialog zu finden, als
islamfeindlichen Akt einstuft.
Angesicht der fortschreitenden Globalisierung und der Krisen in der
arabisch-islamischen Welt steht das Verhältnis der Muslime zu den Juden
ebenso wie die Aufarbeitung ihrer gemeinsamen Geschichte auf dem
Prüfstand, angefangen bei ihren Wurzeln, das heißt bei Jsaak und Ismael,
Sara und Hagar und schließlich Abraham, unserem gemeinsamen Vater im
Glauben.
In letzter Zeit zeigen islamische Organisationen Dialogbereitschaft mit
den Juden. Das geht auch aus der neusten Umfrage des ZI IAD hervor. Auf
die Frage: "Wie wichtig finden sie den Dialog mit den Juden?"
antworteten 38 Prozent "sehr wichtig", 7,6 Prozent "wichtig", 19 Prozent
"weniger wichtig" und 15 Prozent "nicht wichtig". Muhammad Salim
Abdullah, Leiter des ZI IAD in Soest/Westfalen, forderte in diesem
Zusammenhang bereits im Jahre 2000 in seinem Mitteilungsblatt
"Moslemische Revue" Mut zu mehr Ehrlichkeit: "Es ist pure Heuchelei,
wenn von einer Reihe islamischer Gemeinschaften ein Dialog mit dem
Judentum angestrebt wird, während intern die Feindschaft weiter gepflegt
und sogar noch kultiviert wird. Das ist kein Dialog, zu dem
anspruchsvolle Eigenschaften wie Wahrhaftigkeit, Treue, Intimität und
Freundschaft gehören, von dem sicher ist, dass die, die ihn führen,
hernach nicht mehr die sein können, die sie vorher waren."
Das ZI IAD wurde am 4. November 1927 von Hadj Mohamed
Abdul Nafi Tschelebi in Berlin als "Islam-Institut" mit dem Ziel
gegründet, nicht nur eine Brücke zwischen der islamischen Welt und
Deutschland zu bilden, sondern auch zwischen den Vertretern der
verschiedenen islamischen Länder in Deutschland. Von Anfang an war dabei
klar, dass diese islamische Einrichtung - im Gegensatz zu den
zahlreichen deutsch-orientalischen Verbänden - kein Institut über den
Islam, sondern des Islam und der Muslime selbst sein sollte. Das ZI IAD
beschränkte sich deshalb auf die Einrichtung einer Bibliothek, einer
Sammlung von islamischer Literatur und Koranausgaben. In seinen
Beständen befindet sich neben arabischer Handschriften und Übersetzungen
sowie einem Archiv mit Material für Forschung, Medien, Politik,
Wissenschaft und Wirtschaft auch ein Leipziger Koranexemplar in
hebräischer Sprache. In Heft 1/206 berichtete die "Moslemische Revue"
über diese hebräische Koranübersetzung von 1857. Die Widmung lautet: "In
liebvollem Andenken an meinen Herrn Vater, den gerechten, geachteten und
verehrten Toralehrer. Unserem verstorbenen Lehrer Schlomo Reckendorf,
seligen Andenkens. Jener, der die Söhne Judas das Spektrum der Tora und
der Wissenschaften in der heiligen Gemeinde Trebitsch im Lande Mähren
lehrte. Er wurde dort in der Nacht des 10.Av 5536 / 26.Juli 1776 geboren
und verstarb in seinem Geburtsort als wertgeschätzte Persönlichkeit am
Schabbatausgang, dem 13. Tischri / 14.Oktober 1845. Er wurde am nächsten
Tag, dem Sukkotabend 5606, begraben. Alle Gemeindemitglieder und
Bekannte erwiesen ihm die letzte Ehre.". Der Übersetzer Herrmann
Reckendorf war seinerzeit Student der Orientalistik Das ZI IAD hat
seinen "hebräischen Koran" dem Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten
übergebe.
Unter dem Hakenkreuz
Im Laufe seiner fast 80-jährigen Existenz erlebte das
ZI IAD, das in seiner Satzung von 1996 ausdrücklich festhält, dass "das
Gespräch mit den abrahamitischen Schwesterreligionen, und hier
insbesondere mit dem Judentum gefördert" werden soll, stürmische Zeiten.
Wichtig ist dabei der Blick auf die "Zeit unterm Hakenkreuz". Während
der Naziherrschaft sympathisierte die Mehrheit der in- und ausländischen
Muslime in Deutschland mehr oder weniger offen mit dem
Nationalsozialismus. Das "ZI IAD" (1942 in "Islamisches
Zentral-Institut" umgewandelt - zuvor, im Jahre 1939 wurde die Satzung
geändert: Deutschen Juden wurde die Mitgliedschaft verwehrt) diente ab
1942 der nationalsozialistischen Politik als willkommenes
Propagandainstrument. Anlässlich des 70. Jahrestages der
Institutsgründung am 4. November 1997 erklärte Muhammad Salim Abdullah
im Namen des ZI IAD: "Die Leitung des heutigen Zentralinstitut
Islam-Archiv Deutschland bedauert zutiefst, dass die Mitglieder des
Vorkriegsinstituts nicht den Mut und die Kraft gefunden haben, sich
gegen das Ansinnen des NS-Regimes zu wehren wie es die Imame in Bosnien,
im Kosovo, in Rumänien und Bulgarien getan haben, indem sie den
Abtransport jüdischer Mitbürger und der moslemischen Roma heftigen
Widerstand entgegensetzten [...]. Wir hoffen aufrichtig, dass unsere
jüdischen Mitbürger unsere Entschuldigung akzeptieren." Ignaz Bubis
antwortete umgehend: "Ihr Schreiben haben wir an alle Mitglieder des
Direktoriums des Zentralrates der Juden in Deutschland zur Kenntnis
übersandt. Die wichtige Arbeit des Instituts und Ihr persönliches
Eintreten für den Dialog zwischen den Religionen habe ich persönlich
immer mit großer Anerkennung verfolgt und hoffe, dass wir noch oft die
Möglichkeit zur Zusammenarbeit haben werden."
Moslemische Revue
Die "Moslemische Revue", Zentralorgan des ZI IAD,
erblickte am 1. April 1924 in Berlin das Licht der Welt. Ihr Begründer
war Maulana Sadr-ed-Din. Die muslimische Publikation, über deren
Existenz kein Erdölhahn entscheidet, ist die älteste deutschsprachige
Islamzeitschrift. Sie wirkte von Anfang an über Deutschland hinaus, denn
sie gab dem Islam auf dem Balkan und in Osteuropa eine Stimme. 1930
wurde sie von der "Deutsch-Muslimischen Gesellschaft" (Berlin)
übernommen. Ab 1932 diente sie auch dem "Islamischen Weltkongress" als
Mitteilungsblatt. Die "Moslemische Revue", die sich in den 83 Jahren
ihrer Existenz als unabhängige, meinungsfreudige, gesellschaftsoffene
und dialogorientierte Zeitschrift der muslimischen Intellektuellen einen
Namen gemacht hat, berichtet über den Islam in aller Welt mit seinen 1,4
Milliarden Anhängern und über die muslimischen Gesellschaften in
Deutschland, wobei sie in kritischer Distanz die Entwicklungen in der
islamischen Theologie und Gesellschaft beobachtet.
Im Jahre 1945 gingen große Teile des Archivs bei den
Kampfhandlungen mit der Roten Armee verloren, andere wurden als
Kriegsbeute in die USA verbracht. 1965 wurde das ZI IAD in Saarbrücken
zunächst als Privatsammlung im Auftrag des Islamischen Weltkongresses
wieder aufgebaut. Am 18. Februar 1982 erfolgte die Übersiedlung des ZI
IAD nach Soest in Westfalen.
Hauptanliegen der "Moslemischen Revue" ist jedoch nach
wie vor der interreligiöse Dialog. Bereits in der ersten Ausgabe der
"Moslemischen Revue" (1924) wurden bezeichnenderweise zwei Artikel
abgedruckt, die dem Gespräch mit Juden und Christen das Wort geden:
"Moses, Jesus und Mohamed sind Brüder" sowie "Juden, Christen und
Moslems in Palästina".
Ganz im Sinne dieser Tradition plant die "Moslemische
Revue", das Judentum in einer Artikelserie ihren Lesern vorzustellen,
wobei vor allem auf das Gemeinsame der abrahamitischen Bekenntnisse
hingewiesen werden soll. Tatsache ist, dass der Islam sich besser
verstehen lässt, wenn man die heiligen Schriften der anderen kennt. Zum
Abbau von Vorurteilen und Ängsten gehört nun einmal die Kenntnis der
jüdischen Glaubenslehren und Glaubenspraktiken: die tägliche
Lebensgestaltung nach den Weisungen der Tora. Das Gespräch mit dem
Judentum - und dem Christentum -, das uns Moslems verpflichtend
aufgegeben ist und uns selbst bereichert, dient letztlich dem
Weltfrieden, erklärtes Ziel aller Religionen. Der islamische
Reformtheologe Samil Balic hat das so formuliert: "Die Hebräer haben der
friedliebenden Natur ihrer Religion auch in ihrer Grußformel „Schalom"
Ausdruck verliehen. Dem Beispiel der Hebräer haben sich die Moslems
angeschlossen. Ihrem Gruß „es-salem aleykum" entsprach im christlichen
Mittelalter „Pax vobiscum"."
Unter den Muslime in Deutschland wird nach einer Antwort
auf die Frage gesucht: "Gibt es eine muslimisch-jüdische Erbfeindschaft?"
Die Gegner der muslimisch-jüdischen Annäherung und Aussöhnung bedienen sich
dabei in undifferenzierter Art und Weise des Korans, wobei jeder, der mit
dem heiligen Buch der Muslime vertraut ist, genau weiß, dass darin zwischen
toratreuen und -abspenstigen Juden unterschieden wird. Die negative Haltung
der heutigen Muslime gegenüber dem Judentum ist daher nicht nachvollziehbar.
Dabei ist bekannt, dass Juden und Muslime gemeinsam die islamisch-arabische
Hochkultur und Zivilisation geschaffen haben. Ebenso ist die Hochblüte
arabischer Wissenschaft auf gemeinsames Bemühen und Forschen zurückzuführen.
Das Kalifenreich wäre so, wie geschehen, ohne den gesellschaftspolitischen
Beitrag der Juden niemals möglich gewesen.
"Jüdische Zeitung", März 2007 |