Ausstellungsbesprechung:
"1937. Perfektion und Zerstörung"
Kunsthalle Bielefeld vom 30.
September 2007 bis 13. Januar 2008
Von Christian Saehrendt
Mit dem 50. Jahrestag wurde die nationalsozialistische Kampagne
"Entartete Kunst" durch eine Reihe von Ausstellungen und Publikationen ins
Bewußtsein der Öffentlichkeit gerufen. 1987 gab es wichtige Ausstellungen in
Düsseldorf und München, und daraus resultierend Stephanie Barrons
aufsehenerregende Wanderausstellung "Degenerate Art. The fate of avantgarde
in Nazi-Germany", die Anfang der 1990er Jahre in Los Angeles, Chicago,
Washington und Berlin zu sehen war. Bei diesen Ausstellungen stand noch die
Dokumentation der Kampagne "Entartete Kunst" im Mittelpunkt. Die moderne
Kunst wurde als Opfer, die Avantgardisten in einer passiven Rolle gesehen.
Nun jährte sich das Ereignis zum 70. Mal und die Kunsthalle Bielefeld wählte
eine ganz andere Perspektive auf die Ereignisse des Jahres 1937. Der
Bielefelder Kurator Thomas Kellein zeigte jetzt die vielfältigen aktiven
Optionen moderner Künstler in den totalitären Systemen und westlichen
Demokratien jener Zeit auf.
1937 war sowohl in politischer als auch in künstlerischer Hinsicht ein
bemerkenswertes Jahr, es komprimiert quasi das ganze "Zeitalter der
Extreme": In China war der Weltkrieg bereits im Gange, Spanien versank
Bürgerkrieg und die Sowjetunion wäre im Jahr des "Großen Terrors" fast
implodiert. Die faschistischen Systeme in Deutschland und Italien feierten
ihren Aufschwung, während die westlichen Demokratien tiefe ökonomische
Krisen durchlebten. In Paris kam es anläßlich der Weltausstellung zu einem
Wettrüsten der Künste: Josef Thoraks und Vera Muchinas imperialistische
Riesenskulpturen trafen auf Guernica, Picassos Anklage gegen den Krieg.
Gleichzeitig kulminierte der nationalsozialistischen Feldzug gegen die
moderne Kunst. Die künstlerische Synopse der Kunsthalle Bielefeld mit sehr
bekannten - z. B. Picasso, Dalí, Miro, Beckmann, Kirchner - und weniger
bekannten Namen umfaßt 200 Künstler, vornehmlich aus Spanien, Italien, der
Sowjetunion, Deutschland, Frankreich, England und den USA. 400 Leihgaben aus
über 120 Museen und Privatsammlungen kamen zusammen, um eine Momentaufnahme
der internationalen Kunstproduktion des Jahres 1937 zu liefern.
Die Künstler des Jahres 1937 waren keine Heiligen. Sie hatten
Geltungsbedürfnis und Karrierepläne wie andere Menschen auch. Einige andere
träumten von einer neuen Gesellschaft, von einer Revolution, in der sie eine
wichtige Rolle spielen würden. Künstlerischer Anspruch, persönliche Misere
und politischer Veränderungswunsch trafen zusammen. Sie verwechselten Kunst
und Politik, das "Ich" und das "Wir". Gleichzeitig waren die Künstler einer
extrem politisierten Gesellschaft ausgesetzt. Ständig gab es Kriege, Krisen,
Revolutionen. Wer wollte dies alles ignorieren und abseits stehen? Die
meisten der politisch aktiven Künstler engagierten sich auf Seiten des
Sozialismus in Europa, Mexiko oder in der Sowjetunion. Manche waren Anhänger
des Faschismus. Revolutionäre Bewegungen und ihre Diktaturen zogen aus
unterschiedlichen Gründen Künstler an: Manche verachteten aus
anarchistischer oder bohemistischer Position alles Bürgerliche und wollten
politisch so extrem wie möglich sein – egal ob links oder rechts. Andere
hofften auf Posten und Karrieren: So träumte der Futurist Thomaso Marinetti
davon, im Faschismus zu einem "Kunstdiktator" ernannt zu werden, sein
spanischer Künstlerkollege Salvador Dalí hingegen bewunderte den wirklichen
Diktator Franco. Wieder andere glaubten in naiver Weise zu einer neuen
Gesellschaftsordnung beizutragen, in der Kunst und Leben, Macht und
Menschlichkeit vereint wären. So ging es einigen Künstler aus der russischen
Avantgarde, die zu Repräsentanten der verbrecherischen sowjetischen Diktatur
wurden. Krieg, Diktatur und Krise führten aber auch zu viel Lied und Elend
unter avantgardistischen Künstlern. Nicht wenige wurden ins Exil vertrieben,
zum Schweigen gebracht, verhaftet oder gar ermordet.
Arno
Breker
Prometheus, 1937
Bronze, 300 x 100 cm,
Größe mit Sockel: 325 x 130 x 130 cm
Privatbesitz
© Breker-Archiv Düsseldorf/www.museum-arno-breker.org/Marco-VG
Am Anfang der Ausstellung stehen Arbeiten von Arno Breker, Leni Riefenstahl
und einigen Lieblingsmalern Hitlers. Ihr Körperbild ist
steril-perfektionistisch und idealistisch, Brekers gigantische
"Prometheus"-Plastik sogar schon ins unmenschlich-heroische
entwachsen. Man vergißt dabei leicht, daß Breker erst ab 1934 Staatskünstler
des Dritten Reiches war. Bis dahin hatte er in Paris gelebt und gemäßigt
modernistische Arbeiten angefertigt. Breker war ein unpolitischer
Karierrist, der die Diktatur für seinen Aufstieg nutzte.
Ähnliches erhofften sich die Futuristen. Sie hatten Mussolinis
Machtergreifung euphorisch begrüßt und den Faschismus als "Minimalprogramm
des Futurismus" bezeichnet, konnten sich jedoch innerhalb der faschistischen
Bewegung nicht durchsetzen. Anstatt Marinetti zum Kunstdiktator zu machen,
zog Mussolini eine monumentale Mischung zwischen moderner und traditioneller
Kunst vor, zu deren Exponenten Mario Sironi zählte. Den künstlerisch
radikaleren Futuristen bot sich aber seit Ende der 1920er Jahre ein neues
Betätigungsfeld. Mit dem Projekt einer "Flugmalerei" schlugen sie eine
Brücke zur Kriegsverherrlichung und Propagandakunst. Der italienische
Angriff auf Äthiopien war 1935 der erste Vernichtungskrieg aus der Luft:
Hunderttausende Afrikaner wurden durch Bomben und Giftgas getötet: Eine
große Gelegenheit für einen Maler wie Alfredo Ambrosi, die "Leistung" der
italienischen Luftwaffe zu bejubeln: Bombardement in Ostafrika
(1936).
Tato (Guglielmo Sansoni)
Propeller-Teufeleien, 1936
Öl auf Leinwand, 50 x 60 cm
Sammlung M. Carpi, Rom. Inv. 123
In
der Staatskunst der Sowjetunion herrscht das Dogma des "Sozialistischer
Realismus". Damit war keineswegs ein realistisches Bild der gegenwärtigen
Gesellschaft gemeint, sondern eine, mit den naturalistischen Mitteln des 19.
Jahrhunderts in Szene gesetzte, nahezu paradiesische Zukunftswelt. Diese
Malerei war vergleichbar der viel später entwickelten virtuellen
Fotographie, in der sich digitale Manipulation und fotografische
Dokumentation mischten. Die ausführenden Künstler waren quasi zum Optimismus
verpflichtet, malten die Zukunft des Sozialismus buchstäblich in rosigsten
Farben aus. In der Hochphase des Stalinismus gilt alles verdächtig, was
nicht 100%tig den Parteirichtlinien entspricht, die sich aber jederzeit
ändern konnten. Die Kunst wird nun völlig gleichgeschaltet. Abstrakte Kunst
ist ab 1936 quasi verboten – eine Parallele zum Dritten Reich. Künstler
werden denunziert, verschwinden in Lagern oder werden ermordet. es herrscht
die Hochphase des stalinistischen Terrors. Mit diesem Hintergrundwissen
wirken Gemälde wie Ivan Wladimirows Ausländische Touristen in Leningrad
(1937) besonders absurd und beklemmend: Es zeigt eine moderne, freundliche
Stadt, in der dekadente Amerikaner und Franzosen aus ihren Autos heraus
einen Zug kommunistischer Jungpioniere fotografieren. Ein Wunschbild
sowjetischen Selbstbewußtseins.
Im Gegensatz zu den Staatskünstlern der Diktaturen präsentiert die
Ausstellung die Werke von deutschen und internationalen Künstlern, die nach
1933 ins Ausland gehen mußten oder im sogenannten Inneren Exil arbeiteten.
Viele nehmen die totale Katastrophe in ihren Bildern vorweg. Der sicher
erwartete Luft- und Gaskrieg ist ein herausragendes Thema. Aber auch
Resignation und innere Leere, Entwurzelung und Depression sprechen aus
Arbeiten Beckmanns – Kleine italienische Landschaft (1938). Kirchners
letzte Gemälde vor seinem Suizid werden gezeigt, die sein Schwanken zwischen
Abstraktion und Gegenständlichkeit dokumentieren: Violettes Haus vor
Schneeberg (1938).
Bei den Arbeiten von zwanzig amerikanischen Malern zeigt sich Sozialkritik
und Resignation. Not und Einsamkeit scheinen in den Arbeiten auf, darunter
überraschende figürliche Gemälde von Jackson Pollock und Mark Rothko.
Pollocks düstere Landschaft mit Pferdegespann, Going West (1934/38),
spielt auf die Katastrophe in der amerikanischen Landwirtschaft an, die ab
1929 zwei Millionen Menschen heimatlos machte. Rothkos Kontemplation
(1937/38) erinnert an die einsamen Szenerien von Edward Hopper.
Mark Rothko
Contemplation , 1937/38
Öl auf Leinwand, 61,3 x 81,6 cm
National Gallery of Art, Washington, Gift of The Mark Rothko Foundation.
Inc. 1986.43.38
© Kate Rothko-Prizel & Christopher Rothko/VG Bild-Kunst, Bonn 2007
Der kämpferische Antifaschismus und Pazifismus bietet Künstlern die
Gelegenheit, aktiv politisch zu intervenieren, besonders im Spanischen
Bürgerkrieg: Picasso ist in Bielefeld mit der "Femme qui pleure"
sowie
"Guernica"-Studien und Werkfotos von Dora Maar vertreten. Auch
das Gemälde
Madrid 1937/Schwarze Flugzeuge (1937) von Horacio Ferrer Morgado wird
gezeigt, es hing 1937 ebenfalls im Spanischen Pavillon der Pariser
Weltausstellung.
Pablo Picasso
Die weinende Frau,1937
Öl auf Leinwand, 55 x 46 cm
Sammlung Beyeler, Basel. Inv. 98.3
© Succession Picasso/VG Bild-Kunst, Bonn 2007
Durch Monsterbilder und fragmentierte Traumgestalten sublimierten
surrealistische Künstler Schrecken und Agonie. Politisch blieben sie aber
diffus. Einen Höhepunkt der Bielefelder Ausstellung bildet der Raum mit
Werken von Salvador Dalí und Max Ernst, Man Ray und Joan Miró. Im letzten
Raum präsentiert man Abstraktion und Konstruktivismus in der herkömmlichen
und wenig originellen Interpretation als geistige Auswege und harmonische
Überwinder aller Gegensätze.
Der rote Faden der Ausstellung ist aber das Menschenbild in der Kunst. Nach
der Fragmentierung, Deformation und Abstrahierung der menschlichen Figur im
Expressionismus und Kubismus, kam in den 1920ern ein breiter internationaler
Trend auf zur neoklassizistischen Behandlung des menschlichen Körpers. In
den totalitären Systemen erstarrte dieser Neoklassizismus bald zur
gigantischen, hohlen Geste, während die westlichen Demokratien Raum für ein
realistischeres, manchmal auch recht pessimistisches Menschenbild boten.
Faschisten und Staatssozialisten propagierten den unzerstörbaren, gesunden,
hochgezüchteten Körper, während im antifaschistischen Untergrund und im
pluralistischen Westen ein kritischer Realismus vorherrschte. Summa summarum
dominierte im Jahr 1937 noch überall figürliche Kunst. Erst nach dem Krieg
ist sie im Westen diskreditiert: Die Realität der Konzentrationslager,
Völkermorde und Atombomben hatte die ehemals radikalen künstlerischen Mittel
in den Schatten gestellt: Den naiven Technik- und Kriegskult der Futuristen,
die geschönten Angstvisionen der Surrealisten, den verlogenen Arbeiter- und
Bauernkitsch der realsozialistischen Künstler – der allerdings im Ostblock
noch bis zum Fall der Mauer weiterbetrieben wurde.
Die Ausstellung zieht einen weiten Horizont, bleibt aber wohltuend
übersichtlich. Sie wirkt fast wie eine komprimierte Weltausstellung der
Kunst von 1937. Der konzentrierte, vergleichende Blick führt zu einem
beklemmenden Eindruck. Man verläßt diese Schau, die sicherlich zu den
interessantesten des Jahres 2007 gezählt werden kann, mit Nachdenklichkeit.
Thomas Kellein (Hg.):
Katalog "1937. Perfektion und Zerstörung", 528 Seiten , 500 Abb.
davon 380 vierfarbig, Euro 49,90, Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen, ISBN
978-3-8030-3319-2
Christian Saehrendt ist Lehrbeauftragter am Institut für Geschichte der
Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl Prof. Dr. Winkler, mit dem
Schwerpunkt: Kunstgeschichte im sozialen und politischen Kontext. Seit 2000
arbeitet er in Kooperation mit Universitäten und Forschungseinrichtungen an
Forschungsprojekten über politische Denkmäler, internationale
Kulturbeziehungen und die Künstlergruppe 'Brücke'. Aktuelles
Forschungsprojekt: Kunstausstellungen als Mittel auswärtiger Kulturpolitik
in der DDR und der Bundesrepublik. 1995-2000 Künstlerische Arbeit im Rahmen
der Gruppe "Neue
Anständigkeit" in Berlin. Und neu erschienen: Christian Saehrendt,
Steen T. Kittl:
Das kann ich auch! Die Gebrauchsanweisung für moderne Kunst, DuMont
Verlag 2007, 220 Seiten mit 50 Abb., Euro 14,95 |