15 Euro monatlich mehr:
Holocaust-Überlebende wütend über geringe Rente
Opferverbände werfen Regierungschef Olmert
"Zynismus" vor...
Von Thorsten Schmitz, Süddeutsche Zeitung v.
1.8.2007
Tel Aviv - Die Ankündigung von Israels Regierungschef
Ehud Olmert, in den kommenden vier Jahren etwa 111 Millionen Euro an
Überlebende des Holocaust auszuzahlen, hat eine Welle der Kritik in Israel
ausgelöst. Die Vorsitzende der "Vereinigung von KZ- und
Ghetto-Überlebenden", Gita Kaufman, sprach von einer "lächerlichen Summe".
Diejenigen, die entschieden hätten, dass 83 israelische Schekel eine Hilfe
für Holocaust-Überlebende sein könnten, "leben offenbar nicht in der
Realität", kritisierte sie.
Olmert hatte angekündigt, dass bis zum Jahr 2011 alle etwa 120 000 in Israel
lebenden Holocaust-Opfer über 70 Jahre zusätzliche Finanzhilfen erhalten
werden. Von 2008 an sollen die Holocaust-Überlebenden monatlich 83 Schekel
mehr vom Staat erhalten, was ungefähr 15 Euro entspricht. Im Jahr 2011 soll
die Summe monatlich rund 260 Schekel betragen, etwa 45 Euro.
Vereinigungen von Holocaust-Überlebenden hatten von der Regierung monatliche
Zahlungen von mindestens 1000 Schekel verlangt. Nach Angaben von Kaufman
seien die Holocaust-Opfer nicht "unbedingt alle hungrig, aber sie können
sich die teuren Medikamente nicht leisten". Noah Flug von Amcha, einem
Verein zur psychologischen Betreuung von Holocaust-Opfern, sagte: "Es ist
traurig mitanzusehen, dass die israelische Regierung offenbar auf eine
biologische Lösung setzt und darauf wartet, dass wir Holocaust-Opfer
aussterben."
Flug, der selbst Auschwitz überlebt hat, kritisierte auch, dass das Geld
erst von 2008 an und nicht sofort ausgezahlt werden soll. Gegenüber der
Tageszeitung Haaretz wies er darauf hin, dass jedes Jahr etwa zehn Prozent
der in Israel wohnenden Holocaust-Opfer stürben. Die Summe könne darüber
hinaus nicht die Ausgaben der Rentner decken, die den Holocaust zwar
überlebt, aber mit Krankheiten zu kämpfen hätten, kritisierte der Sprecher
eines Holocaust-Verbandes. Zudem sei die Summe von 15 Euro im Monat "fast
wertlos" angesichts der Kosten für Heizung im Winter und Klimaanlagen im
Sommer und für Medikamente.
Die israelische Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende des
Knesset-Ausschusses für Holocaust-Überlebende, Colette Avital, warf Olmert
vor, er mache sich lustig über die Überlebenden und täusche die
Öffentlichkeit. Der israelische Schriftsteller Tom Segev bezeichnete in
einem Zeitungsbeitrag die Ankündigung, dass Holocaust-Opfer in Israel vom
kommenden Jahr an monatlich 83 Schekel mehr von der Regierung erhielten, als
"zynisch". Segev schrieb: "Es wäre interessant zu erfahren, wann Olmert das
letzte Mal eine warme Mahlzeit für 83 Schekel gespeist hat."
Im April hatten zwei israelische Reporter auf das Schicksal hungernder und
verarmender Holocaust-Opfer aufmerksam gemacht. In einer erschütternden
Fernseh-Dokumentation hatten sie Holocaust-Überlebende interviewt, die zum
Teil mit weniger als 300 Euro im Monat auskommen müssen. Einer Studie des
israelischen Holocaust-Dachverbands zufolge, die zeitgleich mit der
Ausstrahlung des Films veröffentlicht worden war, erhalten von den 250 000
in Israel lebenden Schoah-Überlebenden nur 30 000 eine monatliche Rente von
umgerechnet gut 250 Euro. Insgesamt 80 000 von ihnen, so die Studie und der
Film, leben unterhalb der Armutsgrenze. Der Fernsehbericht hatte in Israel
Entsetzen ausgelöst und die Regierung Olmerts zu den jetzt bekannt
gewordenen Finanzhilfen bis 2011 veranlasst. |