Satire in Israel:
Lust auf was Süßes
Von Thorsten Schmitz, Süddeutsche Zeitung
Die TV-Show "Ein wunderbares Land" ist Israels
Straßenfeger und zieht die Zumutungen des Alltags ins Lächerliche
Tel
Aviv - Zwei Israelis in schwarzen Anzügen stolpern über eine apokalyptische
Landschaft, um sie herum liegt alles in Trümmern. Die Hochhäuser von Tel
Aviv sind Schutt, das Licht ist gelb, überall qualmt und brennt es. Mit
Atombomben hat Irans Staatschef Mahmud Ahmadinedschad Israel dem Erdboden
gleichgemacht. Die beiden einzigen Überlebenden des Angriffs aus Teheran
halten zwischen Rauchwolken und Geröllhaufen für einen Moment inne. Schauen
sich um, dann an, und stellen fest: "Was für eine wohltuende Ruhe, ein
Genuss!" Der eine schickt den anderen los, einen "Coffee to go" zu holen,
"und bring uns was zum Naschen mit, ich hab Lust auf was Süßes!"
Der aufwendig gedrehte Clip über das Ende Israels war vor wenigen Wochen zu
Beginn der erfolgreichsten Sendung im israelischen Fernsehen zu sehen, in "Erez
nehedereth", "Ein wunderbares Land". Die Satireshow ist ein
Straßenfeger, jeden Freitagabend schalten etwa eine Million Israelis (von
sieben Millionen) die Sendung ein, was einer Einschaltquote von 30 Prozent
entspricht. Ein stets besorgt dreinblickender Nachrichtensprecher lässt hier
Politiker, Unfallopfer, Holocaust-Überlebende und proletarische Israelis zu
Wort kommen. In der Show bleibt nur das Auge des Sprechers trocken. Die
Witze der Sendung, die Slangs, die von den Kabarettisten kreiert werden,
sind anderntags bereits Bestandteil des Umgangs-Hebräisch.
In der Sendung, wie überhaupt in Israel, wird niemand mit Respekt behandelt,
nur Witze über entführte oder tote Soldaten sind tabu. So joggte jüngst der
im Koma liegende frühere Premierminister Ariel Scharon in "Erez nehederet"
in einem blauen Jogginganzug und mit Stirnband zu den Klängen von "Stayin'
Alive" der Bee Gees. Sein Rivale Benjamin Netanjahu murmelte vor sich hin:
"Ich werde die Klagemauer verklagen!" Offenbar hatte sein Wunschzettel in
einer Ritze der Klagemauer kein Gehör gefunden, auf dem er um die Nachfolge
Scharons im Amt des Premiers gebeten hatte.
In
einer anderen Show waren Pseudo-Experten für Gehirnschläge zu Wort gekommen
und hatten Wadenwickel empfohlen, Kopfstand und Kamillentee. Auf die aus
Laien bestehende Expertenrunde war die Redaktion der Satiresendung gekommen,
nachdem im "echten" Fernsehprogramm wochenlang Dutzende Experten die Folgen
und Ursachen von Schlaganfällen diskutiert und mit Schaubildern illustriert
hatten. Gerne persifliert wird auch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. In
einer der jüngsten Sendungen wurde er live aus der israelischen Stadt Haifa
zugeschaltet, die im jüngsten Libanon-Krieg permanent von der Miliz
beschossen worden war, und gab dem israelischen Top-Model Bar Rafaeli, die
mit Leonardo DiCaprio liiert ist, Tipps, wie man sich vor Reportern und
Paparazzi schützen kann. Der wegen sexueller Belästigung zurückgetretene
Ex-Präsident Mosche Katzav beriet in einer Sendung eine Polizeitruppe, die
nach einem Vergewaltiger fahndete, der (tatsächlich) aus dem Gefängnis
ausgebüxt war. Und Regierungschef Ehud Olmert darf, an der Seite seiner als
esoterisch persiflierten, mit Urin malenden Gattin Alisa verkünden: "Ich
verspreche, in zwanzig Jahren wird es keinen einzigen Holocaust-Überlebenden
mehr geben." Olmerts Regierung war in jüngster Zeit mehrfach kritisiert
worden, dass ausgerechnet in Israel Holocaust-Überlebende in Armut leben und
der Staat ihnen Hilfe vorenthält.
Die Figuren der Politiker, die in der Sendung vorgeführt werden, haben
verblüffende Ähnlichkeit mit ihren lebenden Vorbildern. Stundenlange
Verkleidungen und Sitzungen in der Maske machen es möglich, dass sich selbst
politikmüde Israelis seit vier Jahren freitagabends auf Kosten ihrer
politischen Führer amüsieren. Manche reagieren beleidigt, wie etwa Amir
Peretz, der bis vor kurzem noch Verteidigungsminister und dessen Amtszeit
vom fehlgeschlagenen Libanon-Krieg gekennzeichnet war. In einer
Sondersendung mitten in der Sommerpause während des echten LibanonKriegs
wurde er als Studiogast geladen und erklärte ein ums andere Mal, bei den
Gefechten handele es sich lediglich um eine Übung. Kurz darauf sah man ihn
vor den Raketen aus dem Gaza-Streifen auf die israelische Stadt Sderot
flüchten, in der der frühere Gewerkschaftsführer tatsächlich in einem
Einfamilienhaus lebt, und wie er es sich unter Palmen im Badeort Eilat am
Roten Meer gutgehen lässt.
Sehr politisch, sehr schwarz
Der Produzent der Sendung, Muli Segev, verrät, Peretz persönlich habe
angerufen und sich über die Verunglimpfung beschwert. Er sei einer der
wenigen in Israel, die überhaupt an der Sendung etwas auszusetzen hätten:
"Israelis lieben es, sich über alles und jeden lustig zu machen. Wir leben
in einem so gefährlichen Land mit so vielen Problemen, da ist das
Witzereißen wie ein Ventil." Zu den Witze-Opfern gehört auch Bundeskanzlerin
Angela Merkel, die in einem kurzen Auftritt so leise sprach, dass man sie
kaum vernahm - und dann und wann so furchterregend ihre Stimme hob, dass es
die Studiogäste von den Stühlen riss. Segev, dessen Büro vollgestopft ist
mit Preistrophäen für die Satiresendung, sagt: "Bei so viel Tod und Gewalt
ist es eine Art von Stressabbau, sich über Politiker lustig zu machen und
über das Grauen zu lachen." Die frisierte Nachrichtensendung hat auch einen
kathartischen Effekt auf eine nachrichtenbesessene Nation, in der viele
stündlich Radionachrichten hören. Die Sendung ist so erfolgreich, dass ein
religiöser Parlamentsabgeordneter beim Sender anfragte, ob man nicht
wochentags eine Wiederholung ausstrahlen könne, denn gläubigen Juden ist an
Freitagabenden das Fernsehen verboten.
Die aus Israel stammende, zurzeit in Kalifornien lebende Familientherapeutin
Rachel Biale sieht im schwarzen Humor ihrer Landsleute einen "Mechanismus,
um sich von einer deprimierenden Situation" nicht die Laune verderben zu
lassen. Israelis hätten generell "den Hang, sehr direkt zu sein". Sie
widmeten "völlig frustrierende Momente" in etwas Lustiges um. In den USA sei
Humor politisch korrekt, in ihrer Heimat dagegen "sehr politisch und sehr
schwarz. Da bleibt sogar mir manchmal das Lachen im Hals stecken". Sie
erinnert sich an einen ihrer Besuche in Tel Aviv, bei denen sie sich mit
einem Freund in einem Café verabreden wollte - einen Tag, nachdem sich ein
palästinensischer Selbstmordattentäter in einem Lokal in die Luft gesprengt
hatte. "Mein Freund sagte: Lass' uns ein Café aussuchen, in dem wir nicht in
die Luft fliegen." |