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Westjordanland:
Fluchtgedanken und anderer Luxus

Gewalt und Armut vertreiben Zehntausende Palästinenser aus der Heimat - es sind oft genau die, deren Geld und Tatkraft dringend gebraucht würden.

Von Thorsten Schmitz

Ramallah, im Juni - Im neu errichteten Kulturzentrum von Ramallah kümmert man sich an diesem Montagvormittag um das Haar der palästinensischen Frau, nicht um den Machtkampf zwischen Fatah und Hamas, nicht um den internationalen Finanzboykott oder die Checkpoints der israelischen Armee. Vor dem Gebäude aus freundlichem sandfarbenen Stein stehen polierte Audi Quattros, BMWs und Mercedes-Sportwagen.

Ihnen entsteigen Frauen in luftigen Trägerkleidchen oder hautengen, tiefergelegten Jeans. An den Armen ihrer Ehemänner staksen sie auf hochhackigen Sommerschuhen in die Lobby des klimaanlagengekühlten Kulturzentrums. Man kennt sich. Küsse werden durch die Luft geworfen, Hände gereicht, die Männer steuern aufs Büffet zu und verdrücken gleich im Stehen kleine Kuchen. Ihren Frauen bringen sie stilles Mineralwasser mit.

Während in Jerusalem eine innenpolitische Krise die nächste jagt, treten die Menschen in Ramallah kleine Fluchten an. Man feiert im Kulturzentrum die Einführung eines biologischen Haarfärbemittels. Friseusen und Friseure aus dem ganzen Westjordanland sind gekommen, das Produkt zu bestaunen, das einer ihrer Landsmänner erfunden hat: Farouk Schami, ein Palästinenser, der dank seiner Haarpflegemittel inzwischen ein angenehmes Leben in Houston, Texas, führt.

Der frühere Friseur hat in den USA ein Bio-Haarfärbemittel erfunden, nachdem er von einer Allergie gegen chemische Substanzen heimgesucht worden war. Von seinem Vater war Schami noch verstoßen worden, weil der der Ansicht war, dass ein palästinensischer Mann kein Damenfriseur sein dürfe. Womöglich auch geblendet vom Reichtum des Sohnes, hat der Vater inzwischen sein Urteil revidiert und verträgt sich wieder mit seinem Sohn.

Farouk Schami ist mit seinen Haartinkturen und dem hautfreundlichen Färbemittel so reich geworden, dass er jährlich ungefähr so viel Umsatz macht wie die Autonomiebehörde vor dem internationalen Finanzboykott von der EU erhielt - rund 350 Millionen Dollar im Jahr.

Seine Erzeugnisse werden auch in Jordanien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten verkauft, nur eben in den Palästinensergebieten noch nicht. An diesem Montag soll nun auch die palästinensische Frau in den Genuss seines chemiefreien Haarfärbemittels kommen. Das heißt diejenigen, die sich Friseurbesuche leisten können.

Auf der Bühne des Kulturzentrums werden Models von einem palästinensischen Friseur die Haare geschnitten, geföhnt und gestuft, dazu dröhnen ohrenbetäubende orientalische Hip-Hop-Bässe. Im Akkord bearbeitet er die Köpfe dreier Models gleichzeitig, angefeuert vom Publikum.

Der Mann tänzelt in einem weißen Anzug und mit blond gefärbten Haaren um die Frauen auf Barhockern herum, er schwitzt, und die Frauen und Männer im Saal klatschen dazu begeistert im Takt der Musik. Auf eine Leinwand hinter der Bühne werden Sehnsuchtsbilder von einem Leben projiziert, das mit jenem der Menschen im Saal nichts zu tun hat. Man sieht Hochhäuser in Manhattan, Surfer auf Pazifikwellen, Palmenstrände und Businessfrauen, die zu wichtigen Terminen fliegen und dabei auf ihre Frisur achten müssen.

Die Kluft zwischen der Welt dort draußen und der Welt hier in Ramallah ist so groß, dass der Veranstalter des sorglosen Tags am Stadtrand von Ramallah sich besonders viel Zeit für den Reporter nimmt und wieder und wieder sagt: "Alle Welt denkt immer nur, Palästinenser hungern oder sprengen sich in die Luft. Aber überzeugen Sie sich doch selbst, wir interessieren uns für Frisuren und Make-up wie jede Frau in der Welt auch!"

Die Wohlhabenderen versuchen also, sich den tristen Alltag zu verschönern, doch vielen reicht das als Lebensperspektive längst nicht: Immer mehr Palästinenser interessieren sich in jüngster Zeit nicht nur fürs eigene Aussehen, sondern auch für einen neuen Pass.

Der kanadische steht ganz hoch im Kurs. Nach sieben Jahren Intifada, einem Jahr Hamas an der Spitze der Autonomiebehörde und einer israelischen Trennwalls, die das Westjordanland kantonisiert, packen Palästinenser ihre Koffer. Wohlhabende und studierte Palästinenser, jene, die gehofft hatten, an der Bildung eines Palästinenserstaates mitzuwirken - und die jetzt ihrer Heimat den Rücken kehren wollen, weil dieser Staat in weite Ferne gerückt ist.

Sireen und Mustafa Aziz etwa, ein junges vergleichsweise vermögendes Paar, das zwei Töchter hat und sich den Luxus gönnt, mitten an einem Montag die Veranstaltung im Kulturzentrum aufzusuchen. Sireen führt einen Friseurladen in der Neubausiedlung von Ramallah.

Dort, wo die Reichen leben, nahe des Hauptquartiers von Palästinenserpräsident Machmud Abbas, der "Mukata", auf deren Gelände die bankrotte Autonomiebehörde für den toten Jassir Arafat ein millionenteures Mausoleum errichten lässt, das aussieht wie ein japanischer Zen-Garten.

Sireen fährt sich mit den lackierten Fingern durchs bordeauxrot gefärbte Haar und sagt: "Wir wollen nur noch weg. Nach Kanada, da wohnt mein Bruder. Was ist das für ein Leben hier? Die Israelis sperren uns hinter der Mauer weg, Hamas und Fatah beschießen sich."

Ihr Mann Mustafa, der mehrere Taxis besitzt und sich an diesem Tag frei genommen hat, setzt das Klagelied fort: "Es gibt nichts zu tun. Unsere Töchter kommen von der Schule und langweilen sich. Draußen ist es zu gefährlich. Hier ist keine Zukunft." Und Taxifahrten könnten sich auch immer weniger Palästinenser leisten. Mustafa Aziz freut sich auf Kanada und fürchtet sich vor Kanada: "Die Winter sollen lang und kalt sein. Und bestimmt werden wir unsere Familien vermissen. Aber die können uns dann ja besuchen kommen."

Ein frustrierter Zahnarzt

Nach Angaben des palästinensischen Außenministeriums haben bereits 10 000 Palästinenser seit Jahresbeginn das Westjordanland verlassen, mehr als 50 000 beabsichtigten, den Exodus aus der unsicheren Heimat fortzusetzen.

Manche schaffen es, von Kanada aufgenommen zu werden, viele wollen in die USA, aber seit dem 11. September ist es für Palästinenser fast unmöglich geworden, Visa für die Vereinigten Staaten zu erhalten. So ziehen viele nach Jordanien oder in die reichen arabischen Staaten am Persischen Golf, wo es Arbeitsplätze gibt - und keine Gewalt auf den Straßen oder an den Checkpoints.

Im Stadtzentrum von Ramallah betreibt Malik Schawer ein Büro für ausreisewillige Palästinenser. Er hilft, Anträge auszufüllen, Dokumente zusammenzusuchen, Gebühren ans kanadische Konsulat zu überweisen. Schawer sitzt hinter einem Schreibtisch, der überladen ist mit Papierstapeln, zieht an seiner Zigarette und sagt: "Früher kamen ein paar Menschen jede Woche. Heute habe ich bis zu 30 Anfragen am Tag."

Vor ihm sitzt Wadaf Rantissi, ein Zahnarzt aus Dschenin, einer Stadt im nördlichen Westjordanland. Er sagt, seine Patienten könnten ihn nicht mehr bezahlen, er arbeite fast ausschließlich umsonst. "Früher hatten wir ein gutes Leben. Wir konnten auch reisen, die Patienten haben bezahlt. Heute ist mein Portemonnaie leer."

Er sagt, er wolle in einem "Land ohne Soldaten" leben, wo es Geld gibt und keine bewaffneten Männer auf den Straßen. Er schwärmt von der Schweiz, die kennt er. Dort war er vor Jahren einmal auf einem Fortbildungskurs. Er erinnert sich an die Bäume, die Stille, "den Frieden auf den Straßen". Wie er sich das Leben in Kanada vorstellt? "Wie in der Schweiz, nur dass die Menschen dort Englisch sprechen."

Schawer legt dem Zahnarzt Rantissi mehrere Dokumente zur Unterschrift vor. Und beginnt eine in gewisser Hinsicht geschäftsschädigende Diskussion, denn schließlich verdient er ja an den potentiellen Emigranten: "Wenn du wegziehst, ziehen auch andere weg. Wir verlieren unsere besten Leute."

"Du hast Recht."

"Unsere Kinder sind unsere Hoffnung. Wenn wir gehen, überlassen wir das Land unqualifizierten Menschen, die nichts vom Regieren verstehen."

"Aber das ist doch schon jetzt so. Die Hamas zahlt keine Gehälter, auf den Straßen wird geschossen."

Die beiden Männer geben sich die Hand, lächeln, und Rantissi macht sich auf den Weg heim nach Dschenin. Am Abend erzählt er am Telefon, dass er für den Rückweg vier Stunden gebraucht habe. Er sei von Soldaten der israelischen Armee an einem Kontrollpunkt festgehalten worden. "Was ist das für ein Leben, in dem mir junge Soldaten, die meine Söhne sein könnten, sagen, wann ich wohin gehen darf", sagt er. Rantissi träumt davon, eine Zahnarztpraxis in Toronto aufzumachen.

Träume vom Meer

Der Traum von Rula Issa fällt im Moment noch bescheidener aus. Sie wünscht sich Gäste. Rula Issa ist 40 Jahre alt und Aerobic-Lehrerin in "Tri Fitness", einem nagelneuen Fitnessstudio am Stadtrand von Ramallah. Auf drei Etagen stehen Trainingsgeräte zur Verfügung und Squash-Plätze, im Erdgeschoss gibt es zwei Swimmingpools, einen für beide Geschlechter und einen nur für Frauen.

Fernsehmonitore über den Laufbändern zeigen Nachrichten auf Al Dschasira, man kann frische Fruchtsäfte kaufen, Cola auch, Yoga machen und Tennis spielen. Das Problem ist nur: Die Räume sind fast verwaist. Lediglich vier Männer und eine Frau schwitzen auf den Laufbändern. Rula Issa langweilt sich. Ihr Handy klingelt mit einem Lied von Robbie Williams, ihr zwölfjähriger Sohn ruft an, der wissen möchte, was er zum Mittag essen soll.

Am Abend wird Rula Issa eine Aerobic-Stunde geben, für Männer und Frauen, es gibt auch Stunden nur für Frauen. Bis dahin wird sie in der neuen Cosmopolitan blättern, die am Vortag eine Kundin aus London vergessen hat, sie wird sich in Gedanken auf ihre Stunde vorbereiten und, wie sie sagt, "vom Meer träumen".

Issa arbeitet seit fünf Jahren in Ramallah als Fitnesstrainerin, die Besitzer des neuen Clubs wollten sie unbedingt und konnten sie überreden, von Amman, wo sie im Gym eines Fünf-Sterne-Hotels angestellt war, nach Ramallah zu ziehen, wo es weder Fünf-Sterne-Hotels gibt noch die Freiheit zu reisen. "Ich vermisse das manchmal schon, dass ich mich einfach ins Auto setzen und ans Meer fahren kann.

In Jordanien bin ich oft an den Strand des Roten Meers gefahren. Hier kann man ja manchmal noch nicht mal von einer Stadt in die andere wegen der israelischen Armee."

Weil sie mit einem Palästinenser aus den USA verheiratet war, besitzt die inzwischen geschiedene Rula Issa eine Greencard, die Arbeitserlaubnis für die USA. Das ist ihr Pass und ihr Garant für die große weite Welt: "Mindestens einmal im Jahr muss ich hier raus und fliege nach Kalifornien.

Wenn der Flug nicht 18 Stunden dauern würde, würde ich noch öfter fliegen", sagt sie. Wenn es nach ihrem Sohn ginge, würden sie sowieso ganz nach Kalifornien umziehen. Der spielt Basketball und träumt von einer Karriere. Außerhalb der Mauern von Ramallah.

Mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung und der DIZ München GmbH

Ansichten aus Israel

hagalil.com 16-06-2007

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