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Angst, nach Jerusalem zu kommen


Yael Shafir wachte mit einem euphorischen Gefühl auf. Durch das Fenster ihres Schlafzimmers sah sie draußen in der judäischen Wüste goldenes und rosafarbenes Licht flirren. Aus der Ferne grüßten die Hebräische Universität und das Hadassah-Krankenhaus auf dem Scopus-Berg.

An der Schranktür hing ihr Designer-Hochzeitskleid aus weißer Seide. Gleich am Abend ihrer ersten Begegnung in einer Jerusalemer Diskothek hatte sie gewusst, dass er derjenige war. Obwohl sie schon seit drei Jahren zusammenlebten, hatte sich Yael entschlossen, die Nacht vor der Hochzeit in ihrem alten Schlafzimmer im Haus ihrer Eltern in dem vornehmen Jerusalemer Wohnviertel French Hill zu verbringen.

Verschlafen schlurfte sie in die Küche, wo Nescafé bereitstand, doch dann war sie mit einem Schlag hellwach. Ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder Yair lauschten gebannt einer Eilmeldung im Radio: Selbstmordattentäter in einem Bus der Linie 32A. «Mein erster Gedanke war: ‹Wen kenne ich, der mit diesem Bus fährt? Wer wohnt in der Gegend? Irgendeines meiner Kinder?›», erinnert sich Yael, die als Spieltherapeutin und Reflexologin mit schwer behinderten Kindern arbeitet. «Ich hörte die Einzelheiten, dann hielt ich es nicht mehr aus. Nicht an meinem Hochzeitstag. Ich hatte nur noch den einen Gedanken: ‹Ein paar Tage hatten wir Ruhe. Warum nicht noch eine Weile?›» Ihre Mutter Dorit suchte einen anderen Sender. Überall wurde schwermütige hebräische Musik gespielt. Dieselben melancholischen Melodien nach jedem Terroranschlag.

In Jerusalem herrschte Alarmstufe Eins. Mindestens vier Selbstmordattentäter waren unterwegs. Wie viele der 300 Hochzeitsgäste werden absagen? Viele, fürchtete Yael. Schon vor Monaten hatte eine Tante aus Tel Aviv angerufen und gesagt, sie habe Angst, nach Jerusalem zu kommen. Eine Cousine aus Safed hatte mitgeteilt, sie sei mit den Nerven ziemlich fertig und habe Angst davor, auch nur in die Nähe eines Busses zu kommen. Die Worte «besondere Sicherheitsvorkehrungen »auf Yaels Hochzeitseinladung waren nicht prophetisch gemeint, sie gehören in Israel zur Normalität. In den Gelben Seiten bieten zahlreiche Firmen Sicherheitspersonal an, bewaffnet mit Maschinenpistolen oder Handfeuerwaffen. «Alle ordern für jede Art von Feier bewaffnete Sicherheitsleute», sagte Dorit feierlich.
«Wir haben acht angefordert.»

In der Jerusalemer Innenstadt herrschte eine trostlose Stimmung. Als Dorit, die als Kuratorin im Israelischen Museum arbeitet, ihre Tochter zum Frisör chauffierte, registrierte sie die zum Gedenken an die getöteten Busfahrgäste auf Halbmast gesetzten Flaggen. Während die Haarstylistin weiße Jasminblüten in Yaels hüftlanges brünettes Haar flocht, erbot sich Dorit, etwas zum Mittagessen zu besorgen. «Als ich wegging, sagte sie: ‹Mama, bitte sei vorsichtig. Schau dich um. Und bleibe nicht zu lang aus. Ich liebe dich.› So weit ist es gekommen. Bevor man ein Sandwich kaufen geht, bekommt man von seinem Kind noch eine Liebeserklärung mit auf den Weg, für den Fall, dass man nicht zurückkommt.» Als Dorit einen Autoaufkleber mit der Aufschrift «Lebe den Augenblick» sah, erinnerte sie sich daran, dass Yael und ihr Verlobter in dem Jerusalemer In-Lokal «Café Augenblick» gesessen hatten, einen Abend bevor ein Selbstmordattentäter dort siebzehn junge Leben ausgelöscht hatte. Unter den Opfern war ein anderes verlobtes Paar gewesen. Die Fernsehnachrichten hatten die Mutter am Grab ihrer Tochter gezeigt. Anstelle eines Kranzes hatte sie einen roten Brautstrauß niedergelegt.

Yaels Hochzeitsfeier fand in Ein Hemed statt, einem schönen Nationalpark am Stadtrand von Jerusalem, dem die Kreuzfahrer wegen seiner sprudelnden Bäche den Namen Aqua Bella gegeben hatten. Die ankommenden Gäste wurden von den Sicherheitsleuten durchsucht: Jeder Kofferraum wurde geöffnet, jeder Behälter, jede Handtasche. Die Wachen inspizierten Brieftaschen, Lippenstifte, Parfümfläschchen. Als Israeli fügt man sich diesem vertrauten Ritual beim Betreten öffentlicher Orte; man empfindet Sicherheitsleute nicht mehr als notwendiges Übel, sondern ist ihnen aufrichtig dankbar. Im Schatten von Mauerruinen aus Kreuzzugszeiten gingen die Gäste über eine Brücke, die einen Bach querte, und landeten nach kurzer Wegstrecke in einem natürlichen Amphitheater. Von ihren Plätzen aus blickten sie auf eine aus Stein gemauerte Bühne hinab. Als Yael hereinkam, ertönte aus den Lautsprechern «You’ve Made Me So Very Happy» von Blood, Sweat and Tears. Als sie die letzten Schritte aus ihrer Vergangenheit in ihre Zukunft tat und sich der Huppa näherte, dem Hochzeitsbaldachin, warf sie nervöse Blicke ins weite Rund, in der bangen Hoffnung, dass die meisten der geladenen Gäste gekommen waren. Und ob: Verwandte und Freunde waren aus Galiläa, von den Golan-Höhen, aus dem Negev herbeigeströmt, über 350 Gäste, mehr sogar, als sie eingeladen hatten. Sie trotzten der Alarmstufe Eins und demonstrierten ihre Entschlossenheit, sich nicht von Terroristen einschüchtern zu lassen. Diese Trotzhaltung hat den Israelis geholfen, in der gefährlichsten Umgebung der Welt ein normales Leben zu führen.

Die Familie war hocherfreut und ließ zusätzliche Tische für die überzähligen Gäste aufstellen. Yaels Bräutigam war Schlagzeuglehrer und spielte Bass in einer Band; deshalb waren unter den Gästen viele Musiker. Dennoch hatte das Brautpaar einen Diskjockey engagiert, denn die Gäste sollten nicht Musik machen, sondern feiern. Der DJ legte israelischen Ethnorock auf, aber auch amerikanischen und britischen Funk und Punk sowie Platten aus Kuba und Brasilien mit Salsa-Groove. «Alles tanzte, sogar mein 81-jähriger Großvater. Wir feierten und tranken fast bis zum Morgengrauen. Israelis können Feste feiern, sie wissen das Leben beim Schopf zu packen.» Nachdenklich werdend fügte Yael hinzu: «Wir alle wissen, was hier los ist, aber manchmal tun wir unser Möglichstes, um uns von der Wirklichkeit abzumelden.»

«Es ist eine Mitzwa [ein Gebot], mit Braut und Bräutigam am glücklichsten Tag ihres Lebens ausgelassen zu feiern, aber um mich herum war eine sehr dunkle Wolke», räumt Eli Ben-Eliezar ein, Abteilungsleiter bei der Jewish Agency, die Einwanderern und solchen, die es werden wollen, Hilfe leistet. Drei Stunden vor Beginn dieser Hochzeitsfeier hatte Eli noch bei einem Begräbnis Tränen vergossen. Sein Vetter hatte in dem Bus der Linie 32A gesessen. Die jüdische Tradition will es, dass Tote so schnell wir möglich begraben werden, damit ihre Seele in den Himmel aufsteigen kann – die Seele Rahamins hatte ihren Aufstieg zum Himmel nur neun Stunden nach seiner letzten Busfahrt begonnen. Eine riesige Menschenmenge machte seiner schreckgelähmten Witwe und seinen vier Kindern ihre Aufwartung. Sie gehören einer alteingesessenen, angesehenen Jerusalemer Familie an, kurdische Juden ursprünglich, aus dem Irak zugewandert, Inhaber eines Verkaufsstands für Oliven und Eingelegtes auf dem belebten Mahane-Yehuda-Markt, einem beliebten Terroristenziel. Unter den Trauernden waren etliche seiner langjährigen Fahrgäste und Busfahrerkollegen in blauen Hemden, die darauf geschult werden, Selbstmordattentäter zu erkennen. «Warum Rahamin? Der liebevollste, besorgteste Vater?», fragt Eli untröstlich. «Er machte Pläne für die Bar Mitzwa seines Sohnes an der Kotel [der Westmauer, der heiligsten Stätte des Judentums]. Als Geschenk besorgte er Eintrittskarten für EuroDisney bei Paris.» Noch einige weitere Bestattungen fanden an diesem Nachmittag auf dem felsigen Hügelfriedhof statt, alles Fahrgäste des Busses 32A.

Es war nicht das erste Mal, dass Eli an ein und demselben Tag ein Begräbnis und eine Hochzeit besuchte. «Wenigstens blieben mir bis zu Yaels Hochzeit fast drei Stunden. Das letzte Mal hatte ich weniger als eine Stunde. Ich wünschte meinem besten Freund mit einem Kuss Massel tov, konnte aber nur eine Viertelstunde auf seiner Hochzeit bleiben, dann musste ich mit Vollgas zu einer für 13 Uhr angesetzten Beerdigung eilen. Der Junge war erst achtzehn, ein paar Monate jünger als sein Mörder.»

Bevor Muhammad Farhat zu seiner mörderischen Mission aufgebrochen war, hatte seine Mutter ihm einen Kebab und seinen Lieblings-Gurkensalat gemacht. Er hatte ihr erzählt, dass er von seiner Belohnung geträumt hatte: von den Jungfrauen, die ihn im Paradies erwarteten.
Mariam Farhat hatte ihren Sohn in seinem Vorhaben bestärkt. Wenig später hatte sie erfahren, dass er fünf Teenager mit in den Tod gerissen und weitere 23 jüdische Fahrgäste verwundet hatte. «Erst wenn ich weiß, dass alle Juden in Palästina tot sind, werde ich zufrieden sein», sagte sie in die Kameras des TV-Senders «Al-Jazeera»: «Wir lieben das Märtyrerwesen genau so, wie Israel das surreale Leben liebt, das es führt.»
Die Hamas brachte das Abschiedsvideo massenweise unter die Leute, das zeigt, wie Frau Farhat ihren Sohn küsst und sagt, sie wünsche, sie hätte «hundert Söhne wie ihn». Ihr Mann, Polizist in Diensten der Palästinensischen Autonomiebehörde in Gaza, wird dafür bezahlt, Terroristen und solche, die es werden wollen, zu stoppen.

«Es ist unter Umständen schwieriger, mit Terrorismus klar zu kommen, als mit Krieg. Krieg unterliegt geografischen und zeitlichen Begrenzungen. Der Terrorismus kennt keine Grenzen.»
Solly Dreman, klinischer Psychologe der Abteilung für Verhaltenswissenschaften der Ben-Gurion-Universität im Negev


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Aus Donna Rosenthal: "Die Israelis", Kapitel 1, S.14 - 22; Copyright Verlag C.H.Beck oHG, aus dem Englischen von Karl Heinz Siber

Leben in einem außergewöhnlichen Land:
Die Israelis

Israel ist ein Land mit vielen Gesichtern. CNN zeichnet ein anderes Bild als al-Jazeera. Die BBC hat ihre Version, die F.A.Z. eine andere. Donna Rosenthal lässt die Menschen mit ihren Hoffnungen und Wünschen zu Wort kommen und zeichnet dabei ein sensibles Portrait dieses Landes zwischen Tradition und Moderne...

hagalil.com 14-03-2007

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