antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

Jugendrichterin Herz erzählt:
Recht persönlich


Ruth Herz, bekannt aus der TV-Serie „Das Jugendgericht“, tauschte die gewohnte Atmosphäre des Gerichtssaales vier Jahre lang mit den Kameras der Fernsehstudios aus. In einem Buch schildert sie ihre Erfahrungen in beiden Welten entlang ihrer außergewöhnlichen deutsch-israelischen Biographie, die ihre Einstellung zum Beruf entscheidend beeinflusst hat.

Ruth Herz schildert ihre Zeit bei der Fernsehgerichtsserie „Das Jugendgericht“ und erlaubt so einen Blick hinter die Kulissen des Massenmediums. Sie bringt dem Leser jedoch auch den realen Gerichtssaal nahe.

Anhand der von ihr verhandelten Fälle stellt sie ihr Bemühen um einen fairen und respektvollen Umgang mit den Jugendlichen dar. Ausführlich kommen dabei auch wichtige Stationen ihrer eigenen Biographie zur Sprache. Als Tochter eines assimilierten jüdischen Rechtsanwalts, der 1933 von Breslau nach Palästina emigrieren musste, und einer israelischen Mutter, die einer Gründerfamilie der Stadt Tel Aviv entstammt, beschreibt die Autorin ihre Kindheit in Jerusalem. Sie berichtet von ihren Erfahrungen, als sie mit ihren Eltern aus Israel in das Deutschland der Nachkriegszeit kam, und schildert den mitunter steinigen Weg in ihren Beruf sowie ihr Engagement in Lehre und Forschung.

In ihrem Buch erzählt sie auf Seite 9 - 14 vom Tag ihrer Vereidigung:

1. Anpassen der Robe

Am 2. Januar 1974 wurde ich zur Richterin vereidigt. Ich war sehr aufgeregt, denn zum ersten Mal in meinem Leben trug ich eine Richterrobe, schwarz und mit einem Kragen aus Samt. Allerdings war sie geborgt, meine eigene hing noch beim Schneider. Die Minimode war zu dieser Zeit auf ihrem Höhepunkt, und ich hatte darauf bestanden, dass meine Robe der Mode entsprach. Der Kammervorsitzende, der mir seine Robe, die mir bis zu den Füssen reichte, geliehen hatte, sagte mit ernstem Ton: «Sie werden noch hineinwachsen müssen» und meinte dies unmissverständlich im übertragenen Sinn.

Ich bezweifele, dass er mir damit Mut machen wollte. Seine Äußerung schien mir eher ein Ausdruck seiner Skepsis darüber, ob eine sehr junge Frau dieses Amtes würdig sei. Meine Freude darüber, dass ich meinen Traum verwirklichen konnte, Richterin zu werden, konnte er indessen nicht dämpfen.

Mit meiner Berufswahl setzte ich unsere Familientradition fort. So erzählte mein Vater, Rudolf Pick, Rechtsanwalt in Düsseldorf, mit sichtbarem Stolz einem Kollegen im Anwaltszimmer des Gerichts: «Meine Tochter ist gestern zur Richterin ernannt worden.» Nicht nur mein Vater, sondern auch mein Großvater war Rechtsanwalt gewesen. Juristen waren seit Generationen in meiner Familie stark vertreten. An Feiertagen, wenn die Familie zu den festlichen Mahlzeiten zusammenkam, saßen nicht weniger als 17 Juristen am Tisch – sie alle mussten im Jahr 1933, dem Jahr der Machtergreifung Hitlers, ihren Beruf aufgeben und aus Deutschland auswandern, weil sie Juden waren.

Viele Richterinnen gab es Mitte der 70er Jahre nicht. Die Justiz war immer noch eine Männerwelt, nur 10 Prozent aller Richter waren damals weiblich. Die Frauenemanzipationsbewegung hatte viele Frauen ermutigt, gegen die Übermacht der Männer zu kämpfen, und ich wollte nicht abseits stehen. Als junge Ehefrau und Mutter zweier kleiner Kinder bestand ich auf einer gleichberechtigten Position im Berufsleben. Meine Mutter Eva (Chawa) Berkus war mein Vorbild, nicht nur in dieser Hinsicht. Sie, die Tochter einer der Gründerfamilien der Stadt Tel Aviv, hatte im Jahr 1930 die große Schiffsreise vom fernen Palästina nach Europa alleine angetreten und an der Universität in Brüssel Bakteriologie studiert. Zu jener Zeit war dies für eine junge Frau doch recht unüblich.

Im Gegensatz zur allgemeinen gesellschaftlichen Situation in Deutschland war die Gleichberechtigung in unserer Familie selbstverständlich. Es war mir wichtig, nicht nur für meine Tochter Daniela, sondern auch für meinen Sohn Manuel neben ihrem Vater, meinem Mann Thomas, der Soziologieprofessor war, Vorbild für ein mögliches Rollenmodell zu sein. Als meine damals achtjährige Tochter gefragt wurde, was sie später einmal werden wolle, antwortete sie: «Am Abend werde ich Balletttänzerin und am Tage Richterin!» Auch mein damals fünfjähriger Sohn schien meine Berufstätigkeit zu schätzen. Als ich eines Tages angestrengt von der Arbeit nach Hause kam und überlegte, ob ich mich nicht beurlauben lassen sollte, sagte er: «Aber Mami, Du willst doch nicht zu Hause bleiben mit der Schürze wie Frau Dambach!» Frau Dambach war unsere Nachbarin.

Während meiner Referendarzeit beim Amtsgericht wurde ich von einer Richterin ausgebildet, die aufgrund ihrer Strenge von den Referendaren gefürchtet wurde. Ich bewunderte ihre Geduld mit den Referendaren, aber auch die Autorität, die sie ausstrahlte. Sie beeindruckte mich nicht nur durch ihr souveränes Auftreten, sondern besonders auch durch ihr analytisches Denken und ihre Hartnäckigkeit, mit der sie nach gerechten Lösungen suchte. Sie hatte dabei stets einen Sinn für Ironie und verlor auch in schwierigen Situationen niemals ihren Humor. Ich habe viel von ihr gelernt, sie wurde mein berufliches Vorbild.

An meinem ersten Tag als Richterin setzte ich mich in meinem eigenen Zimmer im Gericht an meinen Schreibtisch. Die Atmosphäre, die Kollegen, die Akten, sie waren mir vertraut. Dennoch schlug ich mit leichtem Herzklopfen die oberste Akte auf. Nachdem ich sie von vorne bis hinten studiert hatte, musste eine Entscheidung gefällt werden, für die ich nun erstmals voll und ganz selbst verantwortlich war. Das fiel mir nicht leicht, würde mein Urteil doch den Lebensweg eines Menschen bestimmen.

Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, mit der besonderen Verantwortung des Richters zu leben. Die richterliche Tätigkeit beruht nicht auf Willkür und Intuition, sondern auf Gesetzen. Das ist das Handwerkszeug, mit denen Richter systematisch arbeiten. Dennoch verspürte ich immer wieder eine gewisse Ambivalenz zu meinem Beruf. Der Idee nach versucht der Richter, in jedem Verfahren Objektivität, Fairness und Unbestechlichkeit zu wahren und durchzusetzen. Aber Richter sind wie die Angeklagten Teil der Gesellschaft. Jeder von ihnen bringt seine eigene Persönlichkeit, seine Vergangenheit, seine persönlichen Erfahrungen und Einstellungen mit, was zweifellos ihre Sicht der Dinge prägt und auch die vermeintliche Objektivität des Richters beeinflusst. Das wurde mir im Laufe der Jahre immer bewusster.

Der Richterberuf ist für eine Frau nicht immer einfach. Als Frau wird man immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert. «Sie sind Richterin? Sie sehen gar nicht so aus. Richter habe ich mir ganz anders vorgestellt», solche Bemerkungen hörte ich häufig. Richter sind als Berufsgruppe oder als einzelne Personen in der Gesellschaft namentlich oder persönlich kaum bekannt, sie sind nicht sichtbar, sie geben selten Interviews und sind in den Massenmedien nicht präsent. Umfragen haben ergeben, dass in der Vorstellung vieler Menschen der Richter männlich ist und Würde sowie Ernsthaftigkeit verkörpert. Diesem Klischee begegnete ich zu Beginn meiner Laufbahn häufig. Immer wieder klopfte jemand an meine Tür, schaute herein und sagte: «Entschuldigen Sie, Frolleinchen, ich möchte den Richter sprechen.» Dabei war an der Tür ein Schild mit meinem Namen und dem Zusatz «Richterin am Amtsgericht» angebracht.

Die Vorstellung, dass Richter männlichen Geschlechts sind, existiert nach wie vor und schien zuweilen auch unter meinen Kollegen zu herrschen. Vor wenigen Jahren fuhr ich zusammen mit meinen sieben männlichen Jugendrichterkollegen anlässlich eines gemeinsamen Besuches der Jugendarrestanstalt unseres Gerichtsbezirks nach Remscheid. Wir wollten mit eigenen Augen sehen, wohin wir die Verurteilten schickten. Nach unserer Ankunft wurden wir zum Anstaltsleiter, einem in Jeans und Tweedjackett jugendlich gekleideten, knapp fünfzigjährigen Amtsrichter geführt. Er begrüßte uns, freute sich über unser Interesse und bemerkte dann in einem Nebensatz, dass er es besonders nett fände, dass die Kölner Kollegen ihre Geschäftsstellenbeamtin mitgebracht hätten. Damit meinte er mich – die einzige weibliche, dafür aber promovierte Richterin der Gruppe. Wie konnte ihm entgangen sein, dass zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 20 Prozent aller Kollegen weiblich waren und im Übrigen mit Jutta Limbach eine Frau an der Spitze des Bundesverfassungsgerichts stand?

In der Tat sollte ich noch mehrfach erfahren, dass es subtile Mechanismen gibt, die es Frauen im Richterberuf nicht leicht machen. So werden beispielsweise gerichtsorganisatorische Fragen zu «Frauenfragen» stilisiert, um die Eignung von Frauen für den Richterberuf anzuzweifeln. Es wird behauptet, Frauen seien aufgrund ihrer «Doppelbelastung» von Beruf und Kindererziehung nicht so belastbar wie ihre männlichen Kollegen. Ihnen werden auf diese Weise Mängel zugeschrieben, die jedoch nur aus der Sicht derjenigen, die die Regeln und damit die Norm formulieren, als solche wahrgenommen werden. Man könnte jedoch die «Doppelbelastung», die Fähigkeit also, unterschiedliche Aufgaben gleichzeitig zu meistern, ebenso gut als eine besondere persönliche Stärke definieren. In der Kritik an den Frauen spiegeln sich auch Missachtung und Ignoranz gegenüber der in der Gesellschaft so wichtigen Aufgaben wie der Kindererziehung oder der Pflege kranker und alter Familienmitglieder, die meistens von Frauen erfüllt werden. Auch ich machte diese Erfahrung. Wegen der Kinder arbeitete ich viel zu Hause. Als ich eines Tages deshalb erst am späten Vormittag im Gericht erschien, empfing mich ein Kollege mit den Worten: «Ach, Sie sind mal wieder im Hause, Frau Kollegin?» Dabei spielt es im Richterberuf keine Rolle, an welchem Ort die Arbeit verrichtet wird. Und ich hatte nicht das geringste Problem, mein Arbeitspensum zu erfüllen, was der Kollege auch wusste. Auch dass ich zum Mittagessen oft nach Hause ging, um bei meiner Familie zu sein, wurde nicht gern gesehen.

Viele männliche Kollegen hielten mich für eine «milde» Richterin und meinten dies durchaus herabsetzend. Vielleicht waren sich die Kollegen dessen nicht bewusst, gleichwohl: Ein Kollege, der ähnlich urteilte wie ich, wurde nicht als «milde», sondern als «väterlich und verständnisvoll» bezeichnet. Erst nach und nach habe ich verstanden, dass diese Erfahrungen nur Teile eines Puzzles darstellen. Ein Puzzle, das nach der Vervollständigung des Bildes die Situation der weiblichen Richterin wiedergibt. Richterinnen wird häufig Milde bei ihren Entscheidungen zu gesprochen; belegt ist dies freilich nicht. Vielmehr konnten bei einer wissenschaftlichen Untersuchung keine Unterschiede zwischen den Entscheidungen von männlichen und weiblichen Richter festgestellt werden. Offenbar passen sich Frauen aus Schwäche oder sogar unbewusst den herrschenden (männlichen) Maßstäben an, um in der Männerwelt nicht anzuecken.

Die männerdominierte Richterschaft bestimmt auch den Inhalt des Amtes. Strenge scheint als Gütesiegel der Justiz zu gelten, dennoch werden strenge Richterinnen häufig kritisiert. Frauen stehen in dem Ruf, ein ausgeprägtes soziales Verständnis zu haben; Strenge passt da offenbar nicht hinein. Es stimmt vermutlich, dass Frauen ein besonderes soziales Verständnis haben, doch soll das bedeuten, dass sie mit sachfremden Argumenten arbeiten, dass sie keine ernsthaften Juristen sind? Das ist selbstverständlich nicht der Fall. Wie sie es im Studium gelernt haben denken Richterinnen zuerst systematisch an Rechte und Ansprüche der Betroffenen – wie ihre männlichen Kollegen.

Eigentlich spricht das den Richterinnen nachgesagte, besondere soziale Verständnis dafür, sie bevorzugt in Jugenddezernaten einzusetzen, doch das ist nicht der Fall. Obwohl Frauen ein Fünftel aller Richter ausmachen, ist nur gut ein Zehntel der Jugendrichter weiblich. Das liegt vermutlich an der gängigen Auffassung, dass männliche Richter Autorität besser als Frauen vermitteln können. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Jugendliche sogar enttäuscht waren, wenn sie feststellten, dass eine Frau über ihr Verhalten entscheiden sollte – also eine Mutter- und nicht eine Vaterfigur. Als mein Gerichtspräsident mir seinerzeit mitteilte, ich würde Jugendrichterin, war ich selbst zunächst enttäuscht, weil ich diese eher mütterliche Aufgabenstellung bekam, obwohl ich doch einen Männerberuf gewählt hatte. Dabei war es eine Art Auszeichnung, was ich jedoch noch nicht wusste. Jugendrichter werden in der Tat als besondere Richter angesehen, und in der jugendstrafrechtlichen wissenschaftlichen Literatur wird ihnen besondere Beachtung geschenkt.

[BESTELLEN?]

Ruth Herz, Dr. jur., studierte nach einer Ausbildung zur Dolmetscherin Rechtswissenschaften in Genf, München und Köln. Zahlreiche Publikationen zum Jugendstrafrecht und zur Kriminologie. Sie vertrat die Bundesrepublik im Europarat als Expertin für Jugendstrafrecht und erhielt für die Einführung des Täter-Opfer-Ausgleichs das Bundesverdienstkreuz. Ruth Herz lebt und forscht in Köln und Tel Aviv.

[BESTELLEN?]

Copyright Verlag C.H.Beck oHG

hagalil.com 14-02-2007

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved