Leugnen, (Spuren) verwischen und (Völkermord) vertuschen:
Frankreich und Ruanda
Frankreich
versucht seine Rolle beim Völkermord in Ruanda 1994 offensiv unter den Tisch
zu wischen. Eskalation des diplomatischen Konflikts zwischen Paris und
Kigali.
Von Bernard Schmid,
Paris
Frankreich
und der ostafrikanische Staat Ruanda haben sämtliche diplomatischen
Beziehungen abgebrochen, auf Initiative der ruandischen Regierung hin.
Ursächlich dafür ist die seit nun über einer Woche anhaltende,
äußerst
heftige Polemik um die Rolle Frankreichs, aber auch der damaligen
Rebellenbewegung und jetzigen Regierungspartei RPF (Rwandan Patriotic Front)
während des Völkermords im Frühjahr 1994. Frankreich wolle seine
Mitwisserschaft und Mitschuld leugnen, indem es die Verantwortung auf die
seinerzeitigen Rebellen abwälzt, so lautet der Vorwurf aus Ruanda. Nicht
grundlos.
Von April
bis Juni 1994 in Ruanda ereignete sich der vierte und letzte Genozid im 20.
Jahrhundert,
der in wissenschaftlichen Debatten als solcher anerkannt wird (nach jenen an
den Herero in Namibia, an den Armeniern in der Türkei und an den Juden und
Jüdinnen sowie Sinti und Roma im NS-beherrschten Europa).
Damals
fielen, innerhalb von nur einhundert Tagen, in dem relativ kleinen
ostafrikanischen Land über 800.000 (nach anderen Angaben bis zu eine
Million) Menschen den systematischen Tötungen durch Milizen der
extremistischen "Hutu Power"-Bewegung zum Opfer. Die Ermordeten gehörten größtenteils
der Tutsi-Minderheit an, unter ihnen waren aber auch politische
Oppositionelle oder schlicht Gegner des Völkermords innerhalb der
Mehrheitsbevölkerung der Hutu. Die Rebellenbewegung RPF wiederum kämpfte,
zunächst als Vertreterin der Tutsi, gegen das damalige Regime in der
ruandischen Hauptstadt Kigali, bevor sie die politische Macht dort
übernehmen konnte.
Das
offizielle Frankreich wiederum führte damals Krieg: gegen die RPF und an der
Seite der regimetreuen ruandischen Streitkräfte in Gestalt der FAR (Forces
armées rouandaises). Ihm wird deshalb seit längerem aus Kigali, aber auch
aus einem wachsenden Teil der französischen kritischen Öffentlichkeit eine
Mitschuld und Mitwisserschaft am Völkermord vorgeworfen. Paris konterte nun
vorige Woche, indem es insgesamt neun internationale Haftbefehle gegen
führende Persönlichkeiten der aktuellen ruandischen Spitze erließ,
die aus der damaligen RPF kommen. Vorwurf: Diese hätten den Völkermord
ausgelöst. Eine Ungeheuerlichkeit, antwortete man in Ruanda, wo heute eine
gemischte Regierung aus Tutsi und Hutu amtiert, deren harter Kern jedoch aus
der damaligen Tutsi-Rebellenbewegung (RPF) hervor ging. Hier würden Opfer zu
Tätern gemacht, und Paris wolle von seiner Mitverantwortung offensiv
ablenken. Ein Vorwurf, der auch innerhalb Frankreichs bei kritischen
Geistern Unterstützung findet.
Auch eine
Erinnerung, und auch ein Geschichtsrevisionismus
Am
vergangenen
Mittwoch
(29. November) publizierte die Pariser linksliberale Wochenzeitung
'Charlie
Hebdo'
ein Interview mit dem Historiker Marcel Kabanda, in welchem die
Argumentation, mit der die Haftbefehle begründet werden, als
"geschichtsrevisionistisch und negationistisch" bezeichnet werden. Der
Begriff des "Negationismus" bezeichnet in Frankreich bisher die bewusste
Leugnung des Holocaust. Derselbe Marcel Kabanda hatte 14 Tage vorher bei
einer Konferenz über Geschichtsrevisionismus und Negationismus, die das
Mémorial de la Shoah (das Pariser Holocaust-Erinnerungszentrum) organisiert
hatte, gesprochen. Eine daneben stehende Karikatur der Wochenzeitung
'Charlie
Hebdo'
zeichnet den Untersuchungsbericht des Richters Bruguière, der den
Haftbefehlen zugrunde liegt, als Wischpapier, an dem die Völkermörder sich
das Blut von ihren Händen wischen.
Am folgenden
Tag (30. November) erschien die jüdische Wochenzeitung
'Actualité
juive'
mit einer beigelegten DVD, die eine Bildreportage von der Reise der Jüdische
Studentenunion Frankreichs (UEJF) nach Ruanda im Februar dieses Jahres
enthält. Die UEJF schreibt dazu auf dem beiliegenden Papier, man müsse der
"Opfer- und Erinnerungskonkurrenz" entgegen trete, derzufolge es bedeute,
"den Kolonialismus, die Sklaverei, Ruanda verschweigen zu wollen, wenn man
von der Shoah spricht" (der durchgeknallte
schwarze
Antisemit Dieudonné lässt grüßen...).
Eine Delegation
der UEJF hielt sich deswegen zehn Tage in Ruanda auf, und sie veranstaltet
nunmehr jährlich am 7. April eine Gedenkfeier zum Beginn des Genozids in
Ruanda am siebten April 1994. Umgekehrt, so berichtet die Jüdische
Studentenunion Frankreichs, werden auch die ruandischen Studenten, die den
Genozid überlebt haben, in Kigali und Butaré am kommenden 27. Januar eine
Gedenkfeier anlässlich des Jahrestags der Befreiung der überlebenden
Insassen von Auschwitz veranstalten.
Aber worum dreht sich der aktuelle politische Streit genau ?
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