Iran:
Holocaust-Leugnung und Atomprogramm
Von Matthias Küntzel
So
wie Hitler mit dem Mord an den Juden die Menschheit in seinem Sinne zu
"befreien" suchte, so glaubt Ahmadinejad die Menschheit durch die
gewaltsame Auslöschung Israels "befreien" zu können. Untrennbar ist die
Leugner-Konferenz als Instrument der Propaganda mit dem Atomprogramm als
Instrument der Ausführung verknüpft. Vor fünf Jahren, im Dezember 2001,
hatte der ehemalige iranische Präsident Hashemi Rafsanjani erstmals damit
geprahlte, dass "eine einzige Atombombe innerhalb Israels alles zerstören"
würde, während der Schaden eines potentiellen nuklearen Gegenschlags für die
islamische Welt begrenzbar sei. "Solch eine Möglichkeit in Betracht zu
ziehen, ist nicht irrational."[5]
Während die islamische Welt beim israelischen Gegenschlag Hunderttausende
"Märtyrer" opfern könnte, ohne unterzugehen, so die Logik Rafsanjanis, wäre
Israel schon nach der ersten Bombe Vergangenheit.
Es ist eben diese Suizid-Mentalität, die das iranische Atomwaffenprogramm
von den Programmen aller anderen Länder unterscheidet und so gefährlich
macht. 1980 brachte Khomeini diese Mentalität auf den Punkt: "Wir verehren
Gott, nicht den Iran. Patriotismus ist nur ein anderer Name für Heidentum.
Ich sage: Lasst dieses Land [den Iran] ruhig in Rauch und Flammen aufgehen,
sofern nur der Islam in der übrigen Welt triumphiert."[6]
Denen, die dazu neigen, derartige Aussagen für bedeutungslos zu halten,
möchte ich die Ankündigung von Mohammad Hassan Rahimian, dem Vertreter des
iranischen Revolutionsführers Ali Khamenei, der in der iranischen Hierarchie
noch höher als Ahmadinejad steht, nicht vorenthalten: Rahimian erklärte vor
einem Monat, am 16. November 2006: "Der Jude" – nicht der Zionist,
sondern: der Jude! – "ist der hartnäckigste Feind des Frommen. Und der
Hauptkrieg wird über das Schicksal der Menschheit bestimmen. ... Das
Wiedererscheinen des 12. Imam wird einen Krieg zwischen Israel und der Schia
mit sich bringen."[7]
Niemand kann bestreiten, dass das Land, dass als erstes die
Holocaust-Leugnung zum Gegenstand seiner Außenpolitik macht identisch ist
mit dem Land, dass als erstes einem anderen UN-Mitgliedstaat unverblümt mit
der Vernichtung droht.
Warum wird dann aber der Holocaust in Abrede gestellt, statt ihn zu feiern?
Den meisten Zuspruch fand Ahmadinejads Holocaust-Leugung in der arabischen
Welt, wo ihn besonders die Hisbollah, die ägyptische Muslimbruderschaft und
die Hamas hierfür lobten. Doch gerade hier wird Hitler nicht wegen der
Autobahn bewundert und auch nicht wegen des Einmarschs in Paris, sondern
wegen des Judenmords. Warum also wird der Holocaust ausgerechnet dort am
meisten geleugnet, wo die Bewunderung für Hitler bis heute die höchsten
Blüten schlägt? Wie gehen Holocaust-Leugnung und Hitler-Bewunderung
zusammen? Den Schlüssel zur Auflösung dieses Paradox liefert ein Blick auf
die antisemitische Mentalität.
"Bruder Hitler", "Märtyrer Eichmann"
Jede Holocaust-Leugnung ist ein auf die Spitze getriebener Antisemitismus.
Wer Auschwitz zum "Mythos" erklärt, zeichnet die Juden als einen
universellen Feind, der die Menschheit um des schnöden Mammons willen seit
60 Jahren fortlaufend betrügt. Wer vom "sogenannten" Holocaust spricht,
unterstellt, dass über 90 Prozent der Lehrstühle und Medien der Welt von
Juden kontrolliert und hermetisch gegen die "eigentliche" Wahrheit
abgeschottet werden. Wer Juden derartiger Untaten bezichtigt, kann Hitlers
Endlösung schlecht kritisieren. Schon deshalb ist in jeder Leugnung des
Holocaust die Aufforderung, ihn zu wiederholen, implizit enthalten.
Im April 2002 schrieb ein ägyptischer Kolumnist in der zweitgrößten,
staatlich kontrollierten ägyptischen Tageszeitung, Al Akhbar: "Hinsichtlich
des Schwindels mit dem Holocaust haben viele französische Studien bewiesen,
dass dies nichts als Fabrikation, Lüge und Betrug ist. Ich aber beschwere
mich bei Hitler und erkläre ihm vom tiefsten Grund meines Herzens: ,Wenn du
es nur getan hättest, mein Bruder, wenn es doch nur wirklich geschehen wäre,
sodass die Welt ohne ihr [der Juden] Übel und ihre Sünde erleichtert
aufseufzen könnte."[8]
Hier wird vorgeführt, wie man den Holocaust in einem Atemzug leugnen und
feiern kann.
Oft wird jedoch die Begeisterung für die Schoa auch ohne Einschränkung
formuliert. Sie wurde erstmals 1961, als der Prozess gegen Adolf Eichmann
hohe Wellen schlug, evident. Damals publizierte die jordanische Jerusalem
Times einen "Offen Brief an Eichmann", in dem es hieß: "Mit der Liquidierung
von 6 Millionen (Juden) haben Sie der Menschheit einen wahren Dienst
erwiesen. ... Es wird Sie trösten, dass dieser Prozess eines Tages in der
Liquidierung der verbliebenen sechs Millionen gipfeln wird, um Ihr Blut zu
rächen." Arabische Autoren wie Abdallah al-Tall rühmten "den Märtyrer
Eichmann", der "im Heiligen Krieg gefallen" sei.
[9] In ihrem Buch "Eichmann in
Jerusalem" fasste Hannah Arendt diese Stimmung wie folgt zusammen: "Die
Zeitungen in Damaskus und Beirut, in Kairo und Jordanien verhehlten weder
ihre Sympathie für Eichmann noch ihr Bedauern, dass er ,sein Geschäft nicht
zu Ende geführt’ habe; eine Rundfunksendung aus Kairo am Tag des
Prozessbeginns enthielt sogar einen kleinen Seitenhieb auf die Deutschen,
denen jetzt noch vorgeworfen wurde, dass ,im letzten Krieg nicht ein
deutsches Flugzeug je eine jüdische Siedlung überflogen und bombardiert’
hätte."[10]
Dieser Herzenswunsch, alle Juden vernichtet zu sehen, wurde im April 2001 in
der ägyptischen Tageszeitung Al-Akhbar wiederholt. "Lasst uns bei
Hitler bedanken", schlug hier der Kolumnist Achmad Ragab vor. "Er hatte sich
an den Israelis im Voraus gerächt. Wir machen ihm nur den einen Vorwurf,
dass seine Rache nicht vollständig genug gewesen ist."[11]
Es liegt auf der Hand, dass diese Begeisterung über den Holocaust, logisch
betrachtet, mit dessen Leugnung unvereinbar ist. Diese Erkenntnis verfehlt
jedoch den Punkt. Antisemitismus basiert auf einer emotionalen
Infrastruktur. Diese setzt an die Stelle von Logik und Vernunft eine
irrlichterne Kombination von sich ausschließenden Zuschreibungen, deren
einziger gemeinsamer Nenner der eliminatorische Hass auf alles Jüdische ist.
Aus diesem Grund werden alle Versionen einer antijüdischen Interpretation
des Holocaust gleichzeitig und quer durcheinander benutzt:
Erstens das Hurra über die millionenfache Vernichtung, zweitens der empörte
"Nachweis", dass diese millionenfache Vernichtung eine Erfindung der
Zionisten sei; drittens die Behauptung einer jüdischen Verschwörung gegen
Deutschland, die Hitler konsequent vereitelt und bestraft habe; viertens die
Gewissheit, dass der Holocaust vom Zionismus und den Nazis in
Gemeinschaftsarbeit eingefädelt worden sei; fünftens der Vorwurf, dass eben
jene Zionisten den Judenmord mit ihrer "Holocaust-Industrie" aus
durchsichtigen Motiven aufbauschten, sechstens, dass der wahre Holocaust das
Vorgehen der Israelis gegen die Palästinenser sei - und so weiter und
so fort.
Wir haben es mit einem fantastischen Parallel-Universum zu tun, in dem das
Realitätsprinzip ständig verletzt wird und in dem lauter sich eklatant
widersprechende Phantasievorstellungen über Juden ihren Platz haben, solange
sie nur die antisemitische Paranoia und den antisemitischen Hass bestätigen
– ein Universum, in dem die Gesetze der Vernunft eliminiert und alle
seelischen Energien in den Dienst des Antisemitismus eingespannt sind.
Dieses Universum zeichnet sich bei all dem Durcheinander durch zwei
Konstanten aus: Erstens durch die Weigerung, den tatsächlich stattgefundenen
Judenmord zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn zu verurteilen. Zweitens
durch die Bereitschaft, im Holocaust, wie gebrochen auch immer, eine Quelle
der Ermutigung und der Inspiration zu sehen, eine Art Präzedenzfall, der
beweist, dass es geht, dass man Juden millionenfach ermorden kann. Deshalb
kommt es bei Ahmadinejad auf den genauen Wortlaut seiner Holocaust-Tiraden
nicht an. Er ist von diesem Thema besessen, weil ihn die Möglichkeit eines
zweiten Holocaust fasziniert. Warum aber umarmte dann Ahmadinejad die
ultraorthodoxen Juden mehrfach, öffentlich und somit demonstrativ? Warum
begrüßte er jeden auf der Konferenz anwesenden Juden einzeln und erklärt:
"Der Zionismus sollte vom jüdischen Glauben strikt getrennt werden"? Werfen
wir zunächst einen Blick auf den modernen Antisemitismus im Iran.
>> Weiter:
Ahmadinejad und die Juden
Anmerkungen:
Zit. nach: MEMRI, Special Dispatch Series, No. 324, 3 January
2002.
Aus: "A Selection of the Imam’s Speeches, Tehran, 1981, vol.
III, p.109, zit. nach Amir Taheri, Nest of Spies.
America’s Journey to Disaster in Iran, London
et.al. (Hutchinson) 1988, S. 269.
ISNA, 16.11.2006,
http://isna.ir/Main/NewsViews.aspx?ID=News-825902 , zit. nach:
Honestly Concerned Iran-Forschung. Übersetzung aus Iranischen Medien,
Berlin, 17. November 2006.
Zit. nach MEMRI, Bericht Nr. 375, May, 3, 2002.
Zit. nach Yehoshafat Harkabi, Arab Attitudes to Israel, Jerusalem (Keter
Pubs.) 1972, S. 279.
Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem, München 1986, S. 81.
So Ragab in der Ausgabe vom 20. April 2001. Er wiederholte diesen
Standpunkt an Al-Akhbar am 25.4.2001 und am 27.
5. 2001. Vgl. Anti-Defamation League,
Holocaust Denial in the Middle East: The Latest Anti-Israel Propaganda
Theme, New York, 2001, S. 2. (www.adl.org)
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