Antisemitismus am Spielfeldrand:
"Ick hab's nich jehört"
Das Sportgericht hat die
Wiederholung des Spiels TuS Makkabi Berlin gegen VSG Altglienicke
angeordnet, bei dem es im September zu schweren antisemitischen Pöbeleien
kam.
Von Alex Feuerherdt
Jungle World 42 v.
18.10.2006
Normalerweise interessieren sich nur die ganz
Hartgesottenen für Spiele in der Kreisliga B. Als am Sonntag die Reserve des
TuS Makkabi Berlin gegen Rotation Prenzlauer Berg antrat, war das jedoch
anders: Ein Kamerateam des WDR begleitete das Spiel, Radio
Berlin-Brandenburg hatte einen Mitarbeiter entsandt und auch der Münchner
Zündfunk war vor Ort.
Grund dafür war der Abbruch der Partie von Makkabis
Zweitvertretung bei der VSG Altglienicke II Ende September: "Synagogen
müssen brennen", "Führer, Führer, Führer", "Auschwitz ist wieder da", "Dies
ist kein Judenstaat, dies ist keine deutsche Judenrepublik", "Vergast die
Juden", "Hier regiert nicht der DFB, hier regiert die NPD" und andere
antisemitische Parolen hatte eine Gruppe von etwa 15 Neonazis während des
Spiels unablässig gegrölt.
Der Schiedsrichter unternahm nichts, obwohl ihn die Makkabi-Kicker mehrere
Male auf die Hassgesänge aufmerksam machten, und auch der gastgebende Verein
blieb untätig. Eine Viertelstunde vor Spielende reichte es Rafael Tepmann
schließlich: Der Makkabi-Spieler ging auf die Neonazis zu und forderte sie
auf, endlich den Mund zu halten. Dafür zeigte ihm der Referee die gelbe
Karte. Mitspieler Vernen Liebermann, der zum Unparteiischen gesagt hatte:
"Wenn Sie einen Funken Anstand haben für die Geschichte in diesem Land, dann
müssen Sie uns jetzt helfen", flog mit der gelb-roten Karte vom Platz.
Daraufhin weigerte Makkabi sich weiterzuspielen; die Partie wurde
abgebrochen. Als die Spieler zu ihren Autos gingen, wurden sie von den auf
dem Parkplatz wartenden Neonazis beschimpft und bedroht.
Schiedsrichter Klaus Brüning gab in seinem Sonderbericht an, die Parolen
nicht gehört zu haben, und auch Kerstin Forchert, die Altglienicker
Trainerin, konnte sich "an nichts erinnern". Die Einträge von Altglienicker
Vereinsmitgliedern, die sich auf der Homepage der VSG Altglienicke bei
Makkabi entschuldigt hatten, wurden wieder gelöscht. Der Berliner
Fußballverband (BFV) schwieg sich zunächst aus; erst nachdem
Makkabi-Präsident Tuvia Schlesinger ihm Untätigkeit vorwarf, rang der BFV
sich zu einer Pressemitteilung durch, in der er versprach, die Vorschriften
des Weltfußballverbands Fifa umzusetzen, nach denen bei rassistischen oder
antisemitischen Schmähungen und Handlungen empfindliche Strafen gegen die
betreffenden Vereine ausgesprochen werden können. Schlesinger schrieb
daraufhin einen offenen Brief an den Verband, in dem er klarstellte: "Weder
der Schiedsrichter noch die Funktionäre des Heimvereins machten nur den
geringsten Versuch, dieses skandalöse und menschenverachtende Verhalten zu
unterbinden. Hier wurden schwere verfassungsfeindliche Straftaten begangen,
die durch Vertreter des Vereins und des BFV durch ihre Passivität geduldet
wurden."
Bei der Sportgerichtsverhandlung am Dienstag vergangener Woche blieben
jedoch sowohl der Schiedsrichter als auch die Altglienicker Spieler und
Funktionäre bei ihrer Darstellung, keine antisemitischen Schmähungen
vernommen zu haben – und das, obwohl die Neonazis direkt neben der Bank der
Gastgeber gestanden hatten. Auf Worte des Bedauerns oder der Selbstkritik
warteten die Verantwortlichen und die Spieler von Makkabi vergeblich. Rafael
Tepmann sagte am Rande des Spiels seiner Mannschaft am vergangenen Sonntag
zur Jungle World: "Ich habe den Schiedsrichter mindestens fünf Mal auf die
Sprüche aufmerksam gemacht, aber er sagte immer nur: ›Ick hab’s nich
jehört.‹ Für mich war es offensichtlich, dass der die gleiche Einstellung
hat wie die Schreihälse im Publikum. Wenn der kein Antisemit ist, bin ich
kein Jude mehr. Der sollte nie wieder ein Spiel pfeifen dürfen."
Informationen des ZDF zufolge wird Referee Klaus Brüning tatsächlich
"dauerhaft aus dem Verkehr gezogen". Ansonsten fiel das Urteil der
Spruchkammer jedoch erstaunlich milde aus: Die Begegnung zwischen
Altglienicke II und Makkabi II wird auf neutralem Platz wiederholt; darüber
hinaus müssen die Altglienicker die nächsten zwei Spiele unter Ausschluss
der Öffentlichkeit austragen und bis zum Ende der kommenden Saison mit
Armbinden gekennzeichnete Platzordner stellen, die gegen antisemitische und
rassistische Parolen einschreiten sollen. Die auf dem Spielberichtsformular
aufgeführten 14 Spieler, die Trainer und Betreuer des Klubs müssen zudem an
einem Seminar des BFV gegen Rassismus teilnehmen, widrigenfalls werden sie
gesperrt.
Während BFV-Präsident Bernd Schultz von einem "ausgewogenen Urteil" sprach,
das "eher helfenden als strafenden Charakter" habe, kritisierte Rafael
Tepmann: "Es hätte einen Punktabzug und Geldstrafen geben müssen. Und zwei
Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit sind lächerlich – in der
Kreisliga schaut doch ohnehin kaum jemand zu." Auch Mitspieler Alexander Zoi
schüttelte den Kopf: "Altglienicke ist nicht hart genug bestraft worden. Und
über dieses Seminar lachen die doch nur." Tuvia Schlesinger sagte der Jungle
World: "Wir wollen vor einer abschließenden Einschätzung erst die
schriftliche Urteilsbegründung abwarten, denn die Entscheidung weist doch
einige Widersprüche auf: Warum müssen wir uns an den Kosten des Verfahrens
beteiligen? Und weshalb wird das Spiel wiederholt, wenn doch deutlich
geworden ist, dass es irregulär war?" Außerdem reiche der Schiedsspruch
"nicht aus, um ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus zu setzen". Es
könne nicht sein, dass man "mit Weghören ungestraft davonkommt".
Schlesinger hatte dem BFV bereits vor der Sportgerichtsverhandlung den
Vorschlag unterbreitet, ein Seminar zum Thema Rechtsextremismus für Spieler,
Trainer und Verantwortliche der VSG Altglienicke im Centrum Judaicum
durchzuführen, wo zurzeit die Ausstellung "Kicker, Kämpfer, Legenden" über
jüdischen Fußball in Deutschland gezeigt wird. Eine Antwort des Verbandes
stehe noch aus. Erfreulich sei, so Schlesinger, dass einige Berliner Vereine
ihre Solidarität mit dem jüdischen Klub geäußert hätten: "Wir haben viele
E-Mails bekommen, und der Vorstand von Türkiyemspor Berlin hat das heutige
Spiel unserer ersten Mannschaft sogar demonstrativ besucht. Wir überlegen
gemeinsam, mit einem Freundschaftsspiel unserer beiden Klubs ein Zeichen
gegen Antisemitismus und Rassismus zu setzen." Was bei der Partie in
Altglienicke geschah, ist für Schlesinger "einmalig seit dem Ende der
Hitlerdiktatur – das waren pogromartige Zustände".
Völlig überraschend seien die Ausschreitungen jedoch nicht gekommen: "Seit
Monaten schon häufen sich die Feindseligkeiten bei Spielen unserer
Mannschaften, vor allem seit unsere erste ihren Siegeszug bis in die
Verbandsliga angetreten hat. Da hört man schon öfter mal Sprüche wie: ›Die
Juden haben mit ihrem vielen Geld Spieler gekauft.‹" Für Spieler Rafael
Tepmann war es daher höchste Zeit, "diese Vorfälle endlich öffentlich zu
machen, weil Antisemitismus und Rassismus in Deutschland immer schlimmer
werden und niemand etwas dagegen tut". Er selbst habe während der
Fußball-Weltmeisterschaft die deutsche Mannschaft unterstützt, "mit einer
Fahne und allem drum und dran". Doch das würde er inzwischen nicht mehr tun:
"Mein Großvater hat mich schon gefragt, ob ich noch alle Tassen im Schrank
habe. Und inzwischen verstehe ich ihn."
Tepmann ist einer der wenigen jüdischen Spieler bei Makkabi, einem Verein,
der 1898 unter dem Namen Bar Kochba ins Leben gerufen wurde und den die
Nationalsozialisten 1938 auflösten. 1970 gründete sich der Klub neu und
schaffte es in den achtziger Jahren bis in die Oberliga. Fehlende
finanzielle Mittel bescherten dem Verein einen Absturz bis in die
Niederungen des Freizeitfußballs. Nun spielt er in der Verbandsliga, hat
rund 500 Mitglieder und ist einer von 30 Makkabi-Klubs in Deutschland. In
seinen Teams spielen Türken und Armenier, Polen und Russen, Chinesen und
Inder, Iraner und Deutsche. Vor Beginn dieser Saison wechselten sechs
Spieler des FC Hellas nach Streitigkeiten in ihrem Verein zur Reserve des
jüdischen Klubs, berichtete der Spieler Vadim Baron, der die Partie gegen
Rotation Prenzlauer Berg wegen einer Verletzung nur vom Spielfeldrand aus
verfolgen konnte. "Wir sind ein interkultureller Verein, zu dem viele
Spieler gerne kommen. Wir haben mit niemandem ein Problem, aber manche
scheinen eins mit uns zu haben. Leider werden es immer mehr", sagte Rafael
Tepmann.
Das Spiel gegen Rotation verlief ohne Zwischenfälle. Makkabi II gewann das
Spitzenduell verdient mit 2:0 nach Toren des aus der Türkei stammenden Taner
Besli und des Chinesen Cheung Ging. Schiedsrichter Dieter Löbert hatte keine
Mühe mit der fairen Begegnung und brauchte noch nicht einmal eine gelbe
Karte. "Na klar habe ich mir nach den Vorfällen Gedanken gemacht, wie es
wohl laufen würde, aber ich kenne beide Mannschaften gut und hatte noch nie
Schwierigkeiten mit ihnen", sagte er nach dem Spiel. Die eigenartige
Hörschwäche seines Kollegen Klaus Brüning mochte Löbert nicht kommentieren:
"Ich war nicht dabei und weiß deshalb nicht genau, was passiert ist. Daher
halte ich mich zurück." Dass Brüning offenbar kein Spiel mehr pfeifen darf,
wusste er da noch nicht.
hagalil.com
17-07-2006 |