Kein Platz für Israel?
Hamas im Bundestag
Nach den antiisraelischen Stellungnahmen
während des Libanon-Kriegs und einer Einladung an die Hamas regt sich
Widerspruch in der Linkspartei.
Von Ivo Bozic
Jungle World 43 v.
25.10.2006
Den Antizionismus verwerfen und eine grundsätzliche Kritik
am Antiimperialismus formulieren! Mit solchen Forderungen sorgt Katja
Kipping, die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, derzeit für etwas
Verwirrung in ihrer Partei. Kipping reagierte mit einem Positionspapier auf
die zuweilen unverhohlen antiisraelischen Stellungnahmen von Parteikollegen
und deren Sympathiebekundungen mit der islamistischen Terrormiliz Hizbollah
während des Krieges im Libanon.
Am 12. August marschierten in Berlin über 2000 Menschen gegen Israel auf.
"Friedensdemonstration" nannte sich das, aus dem Lautersprecherwagen
ertönten Parolen wie: "Wir sind alle Hizbollah!", "Hizbollah bis zum Sieg!"
und "Kein Platz für Israel!" In der ersten Reihe schritt selig lächelnd
Wolfgang Gehrcke, Bundestagsabgeordneter und Vorstandsmitglied der
Linkspartei. Der Bundesvorstand hatte zur Teilnahme an der Demonstration
aufgerufen. Angemeldet hatte sie Nabil Rachid, ein palästinensischer
Aktivist, der auf seiner Homepage Reden des Londoner
Islamismus-Sympathisanten George Galloway veröffentlicht und sich akribisch
darum bemüht nachzuweisen, dass Israel ein "Apartheidstaat" sei. Bei der
letzten Bundestagswahl kandidierte er – erfolglos – in Berlin-Neukölln für
die Linkspartei.
Auch die Partner von der Wasg hatten zu der Demonstration aufgerufen. Ihr
Vorstandsmitglied Christine Buchholz erklärte: "Die Dämonisierung der
Hizbollah ist Teil der ideologischen Kriegsführung. Die Linke sollte dabei
nicht mitmachen."
Doch die Beteiligung der Linkspartei an jener Demonstration war nicht
unumstritten. Während der Bundesvorstand zur Teilnahme aufrief, verweigerten
sich der Berliner Landesverband und die Abgeordnetenhausfraktion einem
solchen Ansinnen. Axel Hildebrandt, der Sprecher des Landesverbands,
erklärte im Vorfeld, an einer "Lobhudelei der Hizbollah" werde man sich
nicht beteiligen. Und die Berliner Abgeordnete Marion Seelig kritisierte:
"Den Pro-Hizbollah-Demos der letzten Wochen haben wir uns nicht
angeschlossen. Auf einer Friedensdemonstration, an der wir teilnehmen, darf
nicht die Vernichtung Israels gefordert werden." Kritik hatte es
parteiintern vor allem am Auftritt der Tübinger Bundestagsabgeordneten Heike
Hänsel gegeben, die bei einer anderen Kundgebung von einem
"Vernichtungskrieg" Israels gesprochen haben soll, was sie allerdings
bestreitet.
Dass im Berliner Landesverband der Linkspartei die Sensibilität beim Thema
Naher Osten größer ist als in anderen Parteigliederungen, zeigt auch die
Ablehnung der antiisraelischen Al-Quds-Demo am Samstag. Neben Marion Seelig
hatten auch die Berliner Abgeordneten Evrim Baba, Udo Wolf und Steffen
Zillich sowie die Vizepräsidentin des Bundestags, Petra Pau, den Aufruf zur
Gegenkundgebung unterzeichnet.
Noch deutlicher wurde der Lichtenberger Bezirksverordnete Michael Grunst,
der in mehreren Briefen an Gehrcke, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, die
"antiisraelischen Positionen" in der Linkspartei kritisierte und Gehrcke
vorhielt: "Für eure antiisraelischen Stellungnahmen habe ich kein
Verständnis!" Gehrcke hatte zuvor zusammen mit den Bundestagsabgeordneten
Monika Knoche und Norman Peach – der unter anderem die Meinung vertritt, der
Boykott der Hamas sei "ein Verbrechen" – ein Papier verfasst, das die
Schlussfolgerung enthält: "Der Schlüssel für die Befriedung der Region liegt
in der Lösung der Palästina-Fragen, also in den Händen der israelischen
Regierung." Diese Sätze hatten bei Grunst "große Besorgnis ausgelöst".
Auch in Sachsen widersetzt sich eine kleine kritische Minderheit der
antizionistischen Parteilinie. Drei junge Parteimitglieder aus Leipzig
schrieben im August einen Offenen Brief an die Bundestagsfraktion, in dem
sie diese aufforderten, sich "nicht mit terroristischen Vereinigungen wie
Hamas und Hizbollah zu treffen". Sie verlangten eine "Solidarisierung mit
Israel einerseits, und die Entsolidarisierung von religiösen,
fundamentalistischen (Volks-) Befreiungsbewegungen andererseits".
Aus der Bundestagsfraktion schloss sich der sächsische Abgeordnete Michael
Leutert der Kritik an. Die Linksfraktion erwecke den Eindruck, "wir seien
solidarisch mit Hamas und Hizbollah, anstatt ganz klar unsere Solidarität
mit Israel in den Mittelpunkt zu stellen". Jan Korte, der Mitglied des
Parteivorstands ist, sagte der Jungle World, so langsam entwickle sich eine
Debatte in der Linkspartei, wenngleich die Kritik am Antiimperialismus
"alles andere als mehrheitsfähig" sei. Schnell werde man als "Antideutscher"
abgestempelt. Es komme jetzt darauf an, die angefangene Diskussion zu
organisieren.
Leutert ist da pessimistischer: "Es gibt eine Diskussion, das ist schon mal
schön, aber unter einer Debatte verstehe ich etwas anderes." Eine offene
Aussprache über die Beteiligung von PDS-Politikern an antiisraelischen
Demonstrationen etwa habe nie stattgefunden. Er sei überrascht, dass das
Papier von Katja Kipping, in dem sie mit dem Antizionismus abrechnet, für so
wenig Furore gesorgt habe. "Ich werbe in der Fraktion und überhaupt in der
Linken um ein Verständnis für das Sicherheitsinteresse Israels und der
israelischen Bevölkerung. Aber für diese Position finden sich nicht viele
Unterstützer", sagt Leutert. Stattdessen pflegten viele in der Partei immer
noch eine antiimperialistisch motivierte "undifferenzierte Solidarität mit
jedem, der eine Knarre in der Hand hält und nach Solidarität ruft".
Die ehemalige ARD-Journalistin Luc Jochimsen, die für die Linkspartei ein
Bundestagsmandat ausübt, sagte, sie habe Kippings Papier mit "größter
Bewunderung" gelesen. Kipping sei mit diesem Beitrag "etwas Fantastisches
gelungen", die Debatte sei "überfällig". Sie gehe davon aus, dass das
Papier, das in der vergangenen Woche den Fraktionsunterlagen aller
Abgeordneten beigelegen habe, demnächst auf einer Fraktionssitzung
besprochen werde.
Kippings Papier mit dem Titel "Für einen linken Zugang zum Nahost-Konflikt
jenseits von Antizionismus und antideutscher Zuspitzung" beschreibt
Antizionismus und Antiimperialismus auch als historisches Problem der Linken
und versucht eine positive Bezugnahme auf "linken Zionismus". Das ist in der
Partei offenbar nicht zu machen ohne eine penetrante Abgrenzung gegenüber
"Antideutschen" und eine jedem einzelnen Absatz aufgepfropfte Relativierung
der eigenen Kritik. Dennoch ein bemerkenswerter Schritt. Denn Katja Kipping
gilt als Politikerin mit Zukunft in der Partei. Sogar als künftige
Parteivorsitzende wird sie gehandelt.
Die 28jährige Dresdnerin gehört auch zu den Initiatoren der
"Emanzipatorischen Linken" (Jungle World, 42/06), eines Kreises, der neben
der vom Berliner Landesverband geprägten "Reformlinken", nach Ansicht Jan
Kortes, die Strömung ist, in der es am ehesten Raum für Debatten über linken
Antiamerikanismus und Antizionismus gebe.
Kipping erklärte, dass sie auf ihr Papier bisher keine negativen Reaktionen
und aus der Basis sogar einigen Zuspruch erfahren habe. Jedoch spiele die
Debatte derzeit eine untergeordnete Rolle. Bei der Formulierung der
programmatischen Grundsätze im Vereinigungsprozess von Linkspartei und Wasg
sei dies kein Thema.
Vermutlich sind sich Akteure beider Seiten des Zündstoffs bewusst, den diese
Kontroverse beinhaltet, und dass ihre Meinungen so unvereinbar sind, dass es
mit einer Aussprache auf dem nächsten Bundesparteitag nicht getan wäre.
Anlass für einen ordentlichen Streit gäbe es hingegen genug: Zu einer
"Nahost-Konferenz" am 3. November hat die Linkspartei völlig unbeeindruckt
von der parteiinternen Kritik u.a. den Regierungssprecher der Hamas, Ghazi
Hamad, nach Berlin und in den Bundestag eingeladen.
hagalil.com 26-10-2006 |