Sex-Skandal:
Katsav vor dem Fall
Gegen Israels Staatspräsidenten soll
Anklage u.a. wegen Vergewaltigung erhoben werden. Krisen, Krieg und eine
sensationslüsterne Berichterstattung haben das Vertrauen in die Politiker
erschüttert.
Von Andrea Livnat
Jungle World
43 v. 25.10.2006
Von Höschen und Geschlechtsteilen, von Vergewaltigung und
sexueller Nötigung ist die Rede in den Empfehlungen, gegen den israelischen
Staatspräsidenten Anklage zu erheben, die die Polizei vergangene Woche an
die Staatsanwaltschaft übergab. Damit ist der größte Sex-Skandal in der
Geschichte des Landes offiziell. Staatspräsident Moshe Katsav werden
Vergewaltigung, sexuelle Belästigung, aber auch Vorteilsnahme, geheime
Abhörmaßnahmen und Belästigung von Zeugen vorgeworfen.
Viele sehen in der Katsav-Affäre einen nie da gewesenen Tiefpunkt, der für
den Zustand von Politik und Gesellschaft symptomatisch ist. Die israelische
Öffentlichkeit hat seit langem das Gefühl, dass sich das Land in einer
tiefen Krise befindet, die Regierung, Knesset, Rechtssystem, Armee und deren
Führung umfasst. Man beklagt den Verfall von Werten, Korruption, Bestechung,
Verwicklungen in kriminelle Machenschaften und dazu die Gleichgültigkeit der
Politiker hinsichtlich der drängenden gesellschaftlichen Probleme, allen
voran der Armut.
Katsav ist dabei nicht der einzige Vertreter der politischen Führungsriege,
gegen den ermittelt wird. Tatsächlich laufen derzeit gegen jeden zehnten
Abgeordneten des Parlaments Ermittlungen. In den vergangenen Jahren ist
zudem die Kluft zwischen Reich und Arm weiter gewachsen. Während ein Drittel
aller Kinder heute unter der Armutsgrenze lebt, beziehen Manager und
Politiker immens hohe Gehälter. Die Medien verbreiten immer wieder, wobei
sie sich hoher Verkaufszahlen sicher sein können, Listen mit
Spitzengehältern. Die meisten Israelis empfinden es als schamlos, diese
Zahlen zu vernehmen und gleichzeitig um diejenigen zu wissen, die sich zum
Neujahrsfest noch nicht einmal ein Butterbrot leisten können.
Bedauerlicherweise hat sich Sheli Jachimowits, eine der besten
Journalistinnen, die für das zweite israelische Fernsehen arbeitete,
mittlerweile in die Politik begeben. Sie kommentierte besonders scharf und
pointiert eben jene Missstände, bevor sie sich vor den letzten Wahlen der
Arbeitspartei anschloss und nun in der Knesset sitzt, wo es sehr still um
sie wurde. Sie hätte beispielsweise thematisieren könnten, wie es sein kann,
dass Staatspräsident Katsav auch im Falle einer Verurteilung wegen
Vergewaltigung eine Pension von 8000 Euro monatlich genießen wird, dazu ein
Appartement in Jerusalem mit Telefon, Haushaltshilfe und Fahrer auf
Staatskosten.
Der eigentliche Skandal um Katsav begann bereits wesentlich früher, nämlich
mit seiner Wahl zum Staatspräsidenten. Bis dahin waren Israels Präsidenten
stets Persönlichkeiten, die sich auch außerhalb der Politik verdient gemacht
hatten, allen voran der erste Präsident Chaim Weizmann, der zuvor mehr als
20 Jahre Präsident des Zionistischen Weltkongresses und zudem ein
bedeutender Chemiker war. Später reihten sich andere Wissenschaftler, wie
der Biophysiker Ephraim Katzir, und Intellektuelle wie Salman Shasar oder
Jitzhak Navon in die Liste der israelischen Präsidenten ein. Mit Katsav
wurde im Jahr 2000 erstmals ein Politiker gewählt, der ganz einfach nur ein
Politiker war, noch nicht einmal ein besonders bekannter, aber eben Kandidat
der konservativen Likud-Partei.
Er konnte sich gegen Shimon Peres, den ewigen Verlierer, durchsetzen, wobei
die religiöse Shas-Partei das Zünglein an der Waage spielte – und sich
ironischerweise unter anderem für Katsav aussprach, weil sie in ihm einen
traditionell religiösen Juden mit hohen ethischen Grundsätzen sah. Trotz
seiner beeindruckenden Biografie – er wurde im Iran geboren, kam mit seiner
Familie im Alter von sechs Jahren nach Israel, wo er sich nach oben
arbeitete, und mit 24 zum jüngsten Bürgermeister des Staates und acht Jahre
später in die Knesset gewählt wurde – hat Katsav lediglich die Politik des
Likud vertreten. Diese Tatsache kann als symptomatisch für die Veränderungen
in der israelischen Gesellschaft gesehen werden.
Verändert haben sich auch die Presselandschaft und die Medien. In den
vergangenen Jahren ist eine zunehmende Sensationslüsternheit zu beobachten.
Wenn es auch der hartnäckigen Recherche von Journalisten zu verdanken ist,
dass viele Korruptionsfälle überhaupt aufgedeckt werden, gewinnt zugleich
eine Berichterstattung im Stil der Yellow Press an Boden.
Katsav ist daher für die Medien das gefundene Fressen. Um den Skandal und
die Frage, ob er zurücktreten sollte, ist geradezu eine Medienschlacht
entbrannt. Besonders geschmacklos agierte vergangene Woche die Zeitung
Jedioth Achronoth in einer Sondernummer, in der die Mutter des Präsidenten
zu Wort kam. "Es kann nicht sein, dass er seine Frau Gila betrogen hat", so
Gohar Katsav, er habe doch schon Enkelkinder, wie könne man ihm so etwas
vorwerfen. "Wenn mir etwas zustößt, dann hat mich das umgebracht", drohte
sie und begab sich kurz darauf zum wiederholten Male in ein Krankenhaus.
Auch in Israel gilt der Grundsatz, dass man so lange unschuldig ist, bis die
Schuld bewiesen ist. Doch die Medien haben das Urteil über Katsav bereits
gesprochen, sein Ruf ist auf jeden Fall ruiniert. 52 Prozent der Israelis
glauben nach einer Umfrage der Zeitung Maariv, dass Katsav Mitarbeiterinnen
vergewaltigt hat.
Die aggressive Rolle der Medien wurde auch im Lauf des Libanon-Kriegs
deutlich. Die Berichterstattung war so intensiv, dass sie teilweise die
militärischen Operationen störte. Wie im Nachhinein bekannt wurde, musste
eine Operation sogar abgebrochen werden, weil über sie bereits im Fernsehen
berichtet worden war. Alle hohen Offiziere waren mit den Rufnummern der
wichtigen Journalisten ausgestattet und pflegten diese Kontakte. Die
Untersuchungen über den Krieg werden sich auch mit diesem Aspekt befassen
müssen.
Diese Untersuchungen zum Krieg zeigen bisher, dass es Verfehlungen in den
oberen Führungsriegen der Armee gegeben hat. Auch hier kriselt es gewaltig.
Bezeichnend dafür waren die Äußerungen von Generalmajor Ron Tal Anfang
Oktober in einem Interview mit der Wochenzeitung der orthodoxen
Chabad-Bewegung. Darin griff er den Generalstab an und behauptete, dass der
Krieg wegen des Rückzugs aus Gaza gescheitert sei. Ron Tal, der kurz vor dem
Ende seiner Dienstzeit steht und offensichtlich eine politische Karriere
anstrebt, wandte sich bewusst an die rechte Leserschaft von Chabad. Er
forderte nichts weniger als den Rücktritt von Generalstabschef Dan Chalutz,
der ihn entlassen hat, nachdem der Major ein Treffen zur Einigung platzen
ließ.
Die Vertrauenskrise, die durch den Libanon-Krieg entstanden ist, hat auch
für das erneute Aufleben einer Diskussion um eine Reform des
Regierungssystems gesorgt. In den 58 Jahren des Staates gab es 31
Regierungen, was nicht nur an den politischen Auseinandersetzungen liegt.
Eine solche Reform könnte etwa Misstrauensvoten erschweren, die Sperrklausel
erhöhen und die Zahl der Minister begrenzen.
Für die Zukunft des Landes ist auch die Wahl des nächsten Präsidenten von
besonderer Bedeutung, denn der hat die schwere Aufgabe, das Vertrauen der
Bürger in den Staat und seine Institutionen zu erneuern oder zumindest die
Weichen in diese Richtung zu stellen. Bisher sind als Nachfolger von Katsav
wiederum ausschließlich Politiker im Gespräch, darunter der ehemalige
Knesset-Sprecher Rubi Rivlin, Shimon Peres, der allerdings eine erneute
Niederlage scheuen dürfte, sowie der ehemalige Minister Nathan Sharansky.
Ministerpräsident Ehud Olmert ist angeblich auf der Suche nach einem
"unpolitischen" Kandidaten, Gerüchte um eine mögliche Kandidatur von Elie
Wiesel wurden jedoch dementiert.
hagalil.com 25-10-2006 |