Interne Kämpfe und Spannungen:
Abbas am Scheideweg
Auszüge aus einer Analyse von Danny Rubinstein, Ha'aretz,
18.10.2006
Übersetzung Daniela Marcus
Der Vorsitzende der palästinensischen Autonomiebehörde,
Mahmoud Abbas, hat einen der wichtigsten Scheidewege in seinem Leben
erreicht. Am Montag geriet er während der Vorbereitungen für ein Treffen des
Zentralkomitees der Fatah im jordanischen Amman in einen bitteren Kampf mit
dem Oppositionsführer innerhalb der Fatah, Farouk Kaddoumi, und zwei
Unterstützern von Kaddoumi. Abbas bekam von seinen Kollegen innerhalb des
Komitees nicht den erwarteten Beistand. Die Situation war so schlecht, dass
das Treffen abgesagt wurde. (…)
Mitarbeiter von Abbas vermuten, dass Kaddoumi mit Khaled Meshal, dem Leiter
des politischen Büros der Hamas in Damaskus, zusammenarbeitet und dass die
beiden versuchen, die palästinensische Befreiungsorganisation zu übernehmen
und die palästinensische Führung aus den palästinensischen Gebieten
zurückzuziehen. Somit findet sich Abbas nun nicht nur in interne Kämpfe und
Spannungen mit der Hamas, sondern auch mit seiner eigenen Organisation
verwickelt. Und diejenigen, von denen man annimmt, dass sie ihn unterstützen
–die USA, das Quartett, die arabischen Staaten und Israel- betrachten ihn
als einen schwachen Führer, der eine Menge Fehler macht.
Unter anderen Umständen wäre Abbas längst von seinem Posten zurückgetreten.
Doch gegenwärtig existiert diese Möglichkeit nicht, sagen seine Mitarbeiter.
Denn dies würde bedeuten, alle Macht in der palästinensischen
Autonomiebehörde der Hamas zu überlassen. Seine Vertrauten sind der Meinung,
dass er als Führer mit einem Sinn für nationale Verantwortung, nicht einfach
gehen könne.
Die gegenwärtige Krise begann wegen der simplen Frage, wer die Sitzung des
Zentralkomitees der Fatah anführen solle. Nach Yassir Arafats Tod war
entschieden worden, dass Kaddoumi Fatahs Generalsekretär sein solle und
während der letzten Sitzung in Amman vor drei Monaten stimmte Abbas zu, dass
Kaddoumi die Treffen leiten solle. Doch dies ärgerte Leute, die Abbas nahe
stehen. Sie forderten, dass er dieses Mal nicht nachgeben solle.
Hier geht es um wesentlich mehr als ums Protokoll. Es geht um einen
erbitterten Machtkampf: Kaddoumi und zwei andere Mitglieder des
Zentralkomitees, Ahmed Ghnayem und Mohammed Jihad, sind alt eingesessene
Gegner des Friedensprozesses und des Oslo-Abkommens und weigern sich
deshalb, in die palästinensischen Gebiete zu kommen. (…)
Abbas wurde darüber informiert, dass Kaddoumi Damaskus besucht und sich dort
mit Meshal getroffen habe. Die beiden diskutierten darüber, wie die Hamas in
die PLO aufgenommen werden könne und welche Positionen Hamasführer in der
palästinensischen nationalen Führung bekommen würden. (…)
Ein ernsthaftes Problem besteht für Abbas darin, dass alt eingesessene
Mitglieder des Zentralkomitees der Fatah ihn nicht vollständig unterstützen.
Einige gerieten mit ihm aneinander während der Zeit, als es Spannungen
zwischen ihm und Arafat gab, andere haben persönlich etwas gegen ihn. In der
Bemühung, sich diesem Problem zu stellen, hat Abbas Beziehungen zu jüngeren
Fatah-Mitgliedern wie z. B. Mohammed Dahlan und Jibril Rajoub aufgebaut. Und
er drängt darauf, 21 jüngere Mitglieder in das Zentralkomitee aufzunehmen.
Dessen 15 gegenwärtige Mitglieder sind alle in den Siebzigern und weigern
sich, irgendwelche Änderungen vorzunehmen.
Dieses Chaos hat eine negative Auswirkung auf Abbas’ Fähigkeit, sowohl mit
der Hamasregierung im Gazastreifen als mit der Hamasführung in Damaskus zu
verhandeln. Trotz Rückhalt aus Jordanien und Ägypten war Abbas unfähig, die
Hamas zu überzeugen, die arabische Friedensinitiative zu akzeptieren. Diese
hatte zu einer Anerkennung Israels in Erwiderung zum Rückzug Israels zur
1967er Linie aufgerufen.
Die Frage ist nun, ob Abbas die Stärke besitzt, die Auflösung der
Hamas-Regierung zu verkünden und dabei die Möglichkeit eines Bürgerkrieges
zu riskieren.
hagalil.com 18-10-2006 |