Berlin:
Sommeruniversität gegen den Antisemitismus
Von Karl Pfeifer
Wieso haben so viele Deutsche (und Österreicher) die von Antisemiten
verbreiteten widerspruchsvollen Lügen über Juden geglaubt? Eine Frage, die
junge Leute immer wieder stellen. Aber warum wird diese Frage so gestellt,
als ob das Problem Antisemitismus in der Gesellschaft heute nicht mehr
existiert?
Weshalb glauben heute so viele jede Lüge, und sei sie noch so
widerspruchsvoll, wenn diese "antizionistisch" formuliert gegen den Staat
Israel vorgebracht wird?
Um es gleich vorwegzunehmen, Antisemitismus ist nicht auf die
Nachfolgestaaten des Dritten Reichs beschränkt. Nehmen wir ein Land wie
Dänemark, wo die Zeitung "Information" am 8. September die iranischen
Holocaust-Karikaturen veröffentlicht hat, um damit den iranischen
Antisemiten zu zeigen, dass das nördliche Land, in dem die Nazi fast
ungehindert agieren können, einer antisemitischen Provokation nachgibt. Das
linksliberale Blatt begründete die Publikation dieser Karikaturen damit,
dass der zu Grunde liegende Karikaturen-Wettbewerb in Iran eine Reaktion auf
die umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen gewesen sei
Freilich ist die Publikation von gehässigen antisemitischen Karikaturen für
die Zeitung und für Dänemark vollkommen gefahrlos. Denn Juden werden keine
dänische Botschaften abfackeln und schon erklärte Bent Lexner, Oberrabbiner
in Dänemark, gelassen, er sehe kein Problem darin. Den satirischen
Zeichnungen sei keine weitere Bedeutung beizumessen.
Hätte die
linksliberale Zeitung Karikaturen über das Christentum oder die königliche
Familie veröffentlicht, dann hätte sie wirklich Meinungsfreiheit bewiesen.
Wegen dem Abdruck holocaustleugnender Karikaturen wird es nicht zur
Kündigung durch die Abonnenten kommen. Mit der Publikation antisemitischer
Karikaturen und seien sie noch so ekelerregend, kann das Blatt den Eindruck
erwecken, es ginge den Herausgebern lediglich um Meinungsfreiheit.
Anscheinend teilen diese Linksliberalen die Meinung der iranischen
Antisemiten, dass ein Zusammenhang besteht, zwischen der Veröffentlichung
von Mohammed-Karikaturen und dem Holocaust.
Diese Fragen und diese Karikaturen zeigen, wie aktuell die Berliner
"Sommeruniversität gegen Antisemitismus" war, die in der Technischen
Universität (TU) vom 4. bis 6. September 2006 stattfand.
Bereits am 3. September konnten die Teilnehmer an einer Stadtrundfahrt zu
Orten jüdischer Kultur und Stätten der Verfolgung in der Gedenkkultur der
Bundeshauptstadt teilnehmen und auch das imposante Denkmal für die
ermordeten Juden Europas besichtigen
Der Historiker Prof. Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für
Antisemitismusforschung der TU Berlin, welche diese Sommeruniversität
veranstaltete, sprach über "Definition und Formen, Verbreitung und Motive
von Judenfeindschaft". Er bemerkte, dass diese Sommeruniversität die erste
ist und sich mehr als 200 Teilnehmer gemeldet haben. Das erfreuliche, die
meisten Teilnehmer waren Studenten.
Der Theologe Johannes Heil, der an der Heidelberger Hochschule für Judaistik
lehrt, sprach über Religion und Judenfeindschaft und zeigte eine
Linie, die von Augustinus über diverse Päpste zu Martin Luther führte.
Der Soziologe Werner Bergmann befasste sich mit der Geschichte des
Antisemitismus seit dem 18. Jahrhundert. Der Historiker Ulrich Wyrwa
verglich den Antisemitismus um 1900 in Europa.
Die Literaturwissenschaftlerin Mona Körte sprach über "Figurationen des
Jüdischen in der Literatur" und konzentrierte sich auf William Shakespeares
"Shylock", auf "Jud Süss" und den "Ewigen Juden".
Einen gründlichen und spannenden Vortrag hielt der Politologe Peter Widmann
über "Israelkritik und Antisemitismus". Auch hier waren die Reaktionen der
Zuhörer interessant, so schilderte eine junge Wiener Jüdin ihre
Identitätsprobleme, dass sie sich doch mehr als Österreicherin denn als
Jüdin fühle und sie sogar mit dem Generalsekretär der IKG eine Diskussion
führte, weil ihrer Meinung nach die jüdische Gemeinde in Wien sich allzu
sehr mit Israel identifiziere. Einen wertvollen Beitrag zur Diskussion
leistete die österreichische Wissenschaftlerin Margit Reiter, die sich ein
Jahr in Berlin aufhält.
Die Historikerin Juliane Wetzel schilderte den aktuellen Antisemitismus im
europäischen Vergleich und zeigte auch antisemitische Karikaturen linker und
liberaler Zeitungen. Abgeschlossen wurde die dreitägige Veranstaltung durch
eine von Prof. Benz geistreich moderierte Podiumsdiskussion mit folgenden
Teilnehmern:
Dr. Kathrin Mayer von ODIR Warschau, die für die OCSE dem Antisemitismus in
Europa ihr Augenmerk widmet; Hauptkommissar Klaus Gäth von der Berliner
Polizei, Oberstaatsanwalt Jörg Raupach und Richter Peter Faust, der auch
Vorsitzender des deutschen Richterbundes ist. Klar wurde, dass die deutschen
Behörden nicht gleichgültig sind, wenn es zu antisemitischen Vorfällen
kommt. Für die Bekämpfung des Antisemitismus ist aber in erster Linie die
Gesellschaft verantwortlich.
Eine besondere Beachtung fanden die Arbeitskreise
NS-Ideologie und Antisemitismus - Prof. Dr. Wolfgang Benz
Nach dem Holocaust. Schuldabwehr-Antisemitismus in Deutschland - Prof. Dr.
Werner Bergmann
Judenbilder: Stereotype Vorstellungen von Juden - Birgit Schulze, M.A.
Der Nahost-Konflikt als Motor der Judenfeindschaft - Dr. Beate Kosmala
Antisemitismus als Unterrichtsthema. Didaktische Ansätze und Probleme -
Isabel Enzenbach, M.A.
Islamistischer Judenhass im Internet - Dr. Juliane Wetzel
Philosemitismus: Ausgrenzung durch Vereinnahmung - Dr. Claudia Curio
Diese von der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung unterstützte
Sommeruniversität, die von Dr. Curio mustergültig organisiert war, könnte
auch für die entsprechenden österreichischen Institutionen ein Ansporn sein,
eine ähnliche Veranstaltung in Wien zu veranstalten, denn das Phänomen
Antisemitismus ist auch in Österreich zu beobachten. |