Nicht allein plakative NPD-Abgeordnete:
"Ihr macht das Kreuz, wir den Rest"
Von Olaf Meyer,
Telepolis, 22.09.2006
Es mag am Wahlabend des 17. September fast zur selben
Tageszeit gewesen sein, zufällig erscheint nachträglich lediglich die
zeitliche Nähe der Ereignisse. Während einer NPD-Wahlparty – im Ausschank
offensichtlich böhmisches Bier der Marke Krusovice - wurden in Schwerin
Journalisten von Rechtsextremisten massiv bei ihrer Arbeit behindert und
körperlich attackiert. Dabei kam es auf Seiten der Medienschaffenden zu
Verletzungen und Sachbeschädigungen. Kurz nach 23 Uhr sendete SPIEGEL TV an
jenem Abend den Teil
des Videos, auf dem in Wismar der militante Einsatz rechtsextremistischer
Kameraden im mecklenburg-vorpommerischen Wahlkampf dokumentiert wurde.
Nazi-Aktion am 12. August in Wismar.
Screenshot: indymedia.de
Die mit 7,3 Prozent der Zweitstimmen in den Landtag von
Schwerin eingezogene NPD dürfte zukünftig allerdings beabsichtigen, sich
offiziell nicht unbedingt mit dem Hauch von Militanz zu umgeben. Schließlich
gelten nicht wenige rechtsextremistische Protagonisten in der Region als
"nette Jungs von nebenan". Die im östlichen Norden über Jahre hinweg
erfolgte Assimilierung der bürgerlichen Mitte soll schließlich nicht nur
stabilisiert, sondern weiter ausgedehnt werden. Inwieweit sich dabei die so
genannten Freien Kameradschaften mehr oder weniger widerspruchslos als
lediglich parlamentarischer Hilfsarm der Landtagsfraktion rekrutieren
lassen, bleibt abzuwarten. Vermutlich wird aber schon bald wieder ein
Vor-Wahlversprechen von NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs - "Ihr macht das
Kreuz, wir machen den Rest" – als gewandt formulierter
außerparlamentarischer Kampfauftrag entsprechend interpretiert werden.
Pastörs bestätigte bereits kurz nach der Wahl, dass er als vormalig
lernwilliger Praktikant im Sächsischen Landtag (Die braune Achse
Dresden-Schwerin) und zukünftiger Fraktionsvorsitzender in Schwerin gewillt
ist, die verbal-provozierende Strategie der sächsischen NPD-Fraktion nun
auch im Nordosten zur Anwendung zu bringen. Nach Pastörs' Gusto ist Adolf
Hitler - "wertfrei" und "nur gemessen an den objektiv messbaren Ergebnissen
auf vielen Gebieten" - grundsätzlich "ein Phänomen gewesen ... militärisch,
sozial, ökonomisch - er hat ja wahnsinnige Pflöcke eingerammt auf fast allen
Gebieten". Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß wiederum ist für Pastörs als
"absoluter Idealist ... vergleichbar mit Gandhi". Und der Holocaust-Leugner
Ernst Zündel hat nach der Ansicht von Pastörs "in der Vergangenheit
Unglaubliches geleistet".
Der als Kaufmann und Juwelier firmierende Pastörs gilt als eng mit der
rechtsextremistischen Szene verbunden. So unterzeichnete er 1998 das
einschlägig verortete Pamphlet "Aufruf an alle Deutschen zur Notwehr gegen
die Überfremdung - Der Völkermord am Deutschen Volk". Berichten vom
September 2006 zufolge hat Pastörs mehrmals die Sektenkolonie Colonia
Dignidad in Chile aufgesucht. Er habe "dort viel gelernt, sehr viel. Wie man
mit wenig Geld sofort Zivilisation schaffen kann, wenn alle arbeiten",
zitierte der Stern den NPD-Politiker. Im mecklenburg-vorpommerischen
Lübtheen engagiert sich Pastörs, der seit 2000 Parteimitglied ist, in der
Bürgerinitiative "Braunkohle Nein!". Zudem agiert er noch als
stellvertretender Landesvorsitzender und als Mitglied im Kreisvorstand
Ludwigslust und ist als Schulungsreferent der NPD tätig. Schulungsmäßig
versuchte Pastörs in einem Interview mit der National-Zeitung vom 8.
September 2006 dann auch, etwaigen Traumata infolge der personellen Verluste
innerhalb der sächsischen Parlamentsvorreiter bereits vorab entgegen zu
wirken:
"... unsere Mitglieder in den Kreisverbänden sind dahingehend unterrichtet,
dass sie jeden Annäherungsversuch von Seiten der Geheimdienste dem
Landesvorsitzenden melden. Und es ist durch höchste Aufmerksamkeit auf allen
Führungsebenen dafür Sorge getragen, dass Straftaten durch Agenten mit
NPD-Mitgliedsausweis nur schwer vorstellbar sind."
Die Aufgabe als Bindeglied der Fraktion zu den so genannten Freien
Kameradschaften fällt wahrscheinlich an Tino Müller, auf den zweiten
NPD-Listenplatz in den Schweriner Landtag gewählt. Der gelernte Maurer gilt
als einer der führenden Köpfe der regionalen Kameradschaftsszene – so in der
Nationalgermanischen Bruderschaft (NGB) und der Heimattreuen deutschen
Jugend (HdJ). Wie vielen rechtsextremistischen Kadern eigen, ist auch Müller
in einer örtlichen Bürgerinitiative ("Schöner und sicher wohnen in
Ueckermünde") äußerst aktiv tätig. Erst seit Ende 2005 NPD-Mitglied fungiert
Müller mittlerweile als Vorsitzender des Kreisverbandes Uecker-Randow und
ist dem Sozialen Nationalen Bündnis Pommern zugehörig.
Aufmerksame Beobachter der rechtsextremen Szene in Mecklenburg-Vorpommern
sehen gleichfalls in Michael Andrejewski einen Garanten für örtliche
NPD-Wahlergebnisse jenseits der 30-Prozent-Marke. Nach Einschätzung des
Mobilen Beratungsteams für demokratische Kultur (MBT) aus Schwerin hat
Andrejewski "das Netzwerk zwischen Partei und Kameradschaften
vorangetrieben". Der über Listenplatz 3 gewählte ausgebildete Volljurist,
der nach eigener Aussage das "herrschende politische System" ablehnt, ist
Mitglied des NPD-Landesvorstandes sowie Abgeordneter im Kreistag
Ostvorpommern und in der Stadtvertretung Anklam. Den wie auch immer
gearteten Wählerauftrag Kommunalpolitik stuft Andrejewski lediglich als
Mittel zum Zweck ein - um das "System zu kippen". Die politischen Wurzeln
Andrejewskis reichen bis zur Hamburger "Liste für Ausländerstopp" (HLA)
zurück.
Wie Müller dürfte auch der über Listenplatz 4 gewählte Stefan Köster seine
Dienste für Klientelbegehrlichkeiten der militanten Kameradschaften leisten.
Im Kreistag von Ludwigslust fiel Köster allerdings bisher nicht durch
übermäßige Aktivitäten jenseits rechtsextremistischer Propaganda auf. Im Mai
2006 wurde das frühere Mitglied der Wiking-Jugend und derzeit als
NPD-Bundesgeschäftsführer sowie mecklenburg-vorpommerischer
Landesvorsitzender amtierend in erster Instanz wegen gemeinschaftlicher
Körperverletzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung, 60 Stunden
gemeinnütziger Arbeit sowie 500 Euro Schmerzensgeld verurteilt. Köster hat
in dem aus seiner Sicht "politischen Prozess" Berufung gegen das Urteil
eingelegt.
"In Mitteldeutschland findet eine geräuschlose völkische
Graswurzelrevolution statt. Mit einem moderaten Ton, zivilem Auftreten und
alltagsnahen Themen gelingt es Nationalisten vielerorts zum integralen
Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens zu werden, während sich die
Systemkräfte dem Volk immer mehr entfremden und in der Lebenswelt der von
ihnen tief enttäuschten Durchschnittsbürger immer weniger vorkommen. Mit
Plakatlosungen wie "Arbeit, Familie, Heimat" und dem politischen Kampf gegen
Zuwanderung, EU-Fremdbestimmung und Globalisierung als den
Zerstörungsmächten der Zeit treffen Nationalisten zunehmend den Nerv der
Menschen und werden oftmals als einzige noch wählbare idealistische Kraft
angesehen."
Jürgen Gansel/NPD
Über NPD-Listenplatz 5 führte der Weg von Birger Lüssow
direkt aus der Kameradschaftsszene in den Landtag von
Mecklenburg-Vorpommern. Als 2002 das rechtsextremistische Aktionsbündnis
"Festungsstadt Rostock" ins Leben gerufen wurde, war Lüssow einer der
führenden Mitiinitiatoren – damals auch mutmaßlicher Blood&Honour-Kader und
nach wie vor Aktivist des Kameradschaftsbundes Mecklenburg (KBM). Nunmehr
agiert Lüssow, seit 2005 NPD-Mitglied, ebenfalls als Vorsitzender des
Kreisverbandes Mecklenburg-Mitte.
Welche Funktion dem bisher eher unbekannten Raimund Borrmann in der
Landtagsfraktion zukommt, ist ob der relativen Blässe des stellvertretenden
NPD-Kreisvorsitzenden von Mecklenburg-Mitte derzeit noch nicht deutlich
absehbar. Der über Landeslistenplatz 6 gewählte Borrmann soll angeblich ein
Philosophiestudium mit Schwerpunkt Marxismus absolviert haben.
Die nach dem Wahlabend umgehend postulierte "enge Zusammenarbeit" der "Achse
Schwerin-Dresden" (O-Ton NPD) hat zur Folge, dass der bisherige sächsische
Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx seinen Aufgabenbereich von Dresden nach
Schwerin verlagert. Ein so genannter "Arbeitskreis volkstreuer Abgeordneter"
soll als "regelmäßige gemeinsame Beratungen beider Fraktionen" möglichst
bald zum "Alltag gehören".
Mittlerweile wurden auf der konstituierenden ersten Fraktionssitzung Udo
Pastörs zum Fraktionsvorsitzenden, Tino Müller und Stefan Köster zu
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sowie Köster gleichfalls zum
Parlamentarischen Geschäftsführer gewählt. Wie Michael Andrejewski
verlautbaren ließ, würde die Fraktion "auf jeden Fall" Mitarbeiter aus der
Kameradschaftsszene einstellen. Am 20. September hat die Fraktion "ihre
Arbeit aufgenommen, um zum Wohle unseres Volkes in Mecklenburg und Pommern
zu wirken".
Die NPD – und damit unweigerlich auch die regionale Kameradschaftsszene –
wird dabei in ihrer weiteren Aufbauarbeit in Mecklenburg-Vorpommern direkt
von der öffentlichen Hand gefördert. Für jede Wählerstimme stehen der NPD
laut Parteiengesetz jährlich 85 Cent zu. Die monatliche Grundentschädigung
pro Abgeordneten beträgt etwa 4.400 Euro, zudem werden Mittel für
zusätzliche Mitarbeiter im Wahlkreis bereitgestellt. Jeder gewählte
NPD-Abgeordnete beabsichtigt nach bisherigen Verlautbarungen, ein eigenes
Wahlkreisbüro einzurichten – ähnlich wie in Sachsen ein
rechtsextremistischer Struktur- und Personenausbau finanziert mit
staatlichen Geldern. Berechnungen gehen davon aus, dass allein der
NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern für die nächsten fünf Jahre
zirka 2,5 Millionen Euro Steuergelder zur Verfügung stehen.
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