Landtagswahlen (II):
Die braune Achse Dresden-Schwerin
Zwei Jahre nach Sachsen ist mit
dem Einzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern zu rechnen
Von Olaf Meyer,
Telepolis vom 11.09.2006
Kurz nach dem wieder eine rechtsextremistische Partei
den Einzug in ein bundesdeutsches Länderparlament schaffte ( Rechter Aufbau
Ost - NPD im Sächsischen Landtag (1)), attestierten Verfassungsschützer der
sächsischen NPD bezüglich deren "Strategie und Taktik ... für andere
Landesverbände Modellcharakter".
So bilanzierte der Präsident des sächsischen Landesamtes
für Verfassungsschutz, Rainer Stock, in einem DPA-Gespräch Mitte Februar
2005, dass "NPD-Funktionäre die Präsenz der Partei im sächsischen Landtag
auch dazu" nutzen würden, um "Erfahrungen im Umgang mit den Medien zu
sammeln". Darüber hinaus zeichneten sich schon wenige Wochen nach der
sächsischen Landtagswahl "eine strategische Zusammenarbeit mit so genannten
freien Kräften der Kameradschafts- und Neonazi-Szene" sowie "die
Konzentration der bundesweiten vorzeigbaren Führungsfiguren der Partei" im
Dresdner Landtag ab. Ein Ziel dieser personellen Kräftebündelung wurde
bereits damals mit einem angestrebten "Re-Import" der in Sachsen gesammelten
Erfahrungen in andere NPD-Landesverbände eingeschätzt.
Gut neunzehn Monate später zeichnet sich in Mecklenburg-Vorpommern der
Einzug der NPD in den Landtag von Schwerin ab. Das ZDF-Politikbarometer
beispielsweise sieht - eine Woche vor der Wahl am 17. September - die
rechtsextremistische Partei bei 7 Prozent und damit gleichauf mit der FDP
sowie deutlich vor Bündnis 90/Die Grünen. Die NPD selbst hatte zu Beginn des
Wahlkampfes "7 Prozent plus X" als Marge für sich postuliert.
Holger Apfel war es in diesem Zusammenhang dann auch stets wichtig zu
betonen, dass die NPD in Mecklenburg-Vorpommern (2) erstmals flächendeckend
in allen Wahlkreisen angetreten ist. Bei der Landtagswahl in Sachsen waren
NPD-Kandidaten noch lediglich in 32 von 60 Wahlkreisen gelistet. Die NPD zog
am 19. September 2004 mit 9,2 Prozent der Zweitstimmen in den Sächsischen
Landtag ein. Der sächsische Fraktionsvorsitzende Apfel - als Wahlkampfleiter
eigens aus Sachsen in den Nordosten geeilt - hat übrigens mit einem durchaus
als Alibi dienenden Hauptwohnungswechsel sein Mandat beim Nationalen Bündnis
im Dresdner Stadtrat abgegeben. Nur rein zufällig fand dieser
Mandatsverzicht in der Zeit des mecklenburgisch-vorpommerischen Wahlkampfes
statt. Andererseits wiederum weilten bereits im April des Jahres Stefan
Köster und Udo Pastörs für zwei Wochen in Dresden. Der NPD-Landesvorsitzende
aus Mecklenburg-Vorpommern und der Landeslisten-Spitzenkandidat sollten als
"Praktikanten" - nach offizieller NPD-Darstellung - "den Landtagsbetrieb von
innen kennen lernen", um sich "auf den Parlamentsalltag einzustellen". Nach
eigenen Angaben investiert die NPD 400.000 Euro in ihren Kampf um den Einzug
in den Schweriner Landtag. Schätzungen zufolge liegt die Summe allerdings
bedeutend höher bei rund zwei Millionen Euro.
Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2005 für
Mecklenburg-Vorpommern wurde konstatiert, dass sich die Anhängerschaft der
NPD zu einem "verfestigten ideologischen Körper" entwickelt habe. In
konkreten Zahlen auf relativ niedrigem Niveau wird die aktuelle
NPD-Mitgliederzahl mit 230 angegeben. Das rechtsextreme Spektrum im Land
"stagniere aber bei rund 1.200 Personen". Zugleich hat die Zahl von
Straftaten mit einem rechtsextremistischen Hintergrund zugenommen und belief
sich im Berichtszeitraum auf 322, insbesondere Propagandadelikte.
Innenminister Gottfried Timm (SPD) betonte, dass Rechtsextremisten ihr
öffentliches Agieren in Mecklenburg-Vorpommern zunehmend verändert hätten.
Neben "freundlichem Auftreten" seien Gründungen von zunächst unverfänglichen
scheinenden Bürgerinitiativen - wie beispielsweise "Schöner wohnen auf
Usedom" - zu beobachten, um dann auf diesem Weg neue Mitglieder zu werben.
Zudem wurde in Mecklenburg-Vorpommern zunehmend die bereits auch in Sachsen
praktizierte (3) Wortergreifungsstrategie (4) mehr und mehr Mittel zum
Zweck. Dabei suchten Mitglieder der rechtsextremistischen Szene
Veranstaltungen anderer Parteien und Institutionen auf "und nutzten diese,
um sich so Öffentlichkeit zu verschaffen". Dem bundeslandweiten
Beratungsverein für Opfer rechter Gewalt, LOBBI e.V., sind im ersten
Halbjahr 2006 indes doppelt so viele rechte Übergriffe als im
Vorjahreszeitraum bekannt (5) geworden.
Die Liste der NPD-Kandidaten für Mecklenburg-Vorpommern liest sich fast wie
eine nachträgliche Erfüllung des propagierten Schulterschlusses zwischen
Partei und so genannten Freien Kräften, diese teilweise nunmehr als
Parteimitglieder. So sind zum nationalen Sturm auf das Schweriner Schloss -
neben dem eher farblosen Spitzenkandidaten Pastörs - zahlreiche einschlägig
bekannte "Kameraden" angetreten, davon nicht wenige gerichtsnotorisch
bekannt. Der Blick nach Rechts (6) zieht in seiner aktuellen Ausgabe
folgende Bilanz:
--Auf den ersten 13 Plätzen der Landesliste der NPD kandidieren bereits
sieben einflussreiche militante Kameradschaftsaktivisten, darunter Tino
Müller und Michael Gielnik vom 'Sozialen und Nationalen Bündnis Pommern'
(SNBP) sowie David Petereit von der 'Märkischen Aktionsfront' (MAF).--
Nicht gerade unbekannt tritt zudem Thomas Wulff als Direktkandidat im
Wahlkreis Schwerin I an.
In der "Wahlkampfzeitung zur Landtagswahl" fand sich freilich nur Platz für
Spitzenkandidat Udo Pastörs, Tino Müller (Listenplatz 2) und Michael
Andrejewski (Listenplatz 3). Allerdings bietet die Postille dafür
beispielsweise arteigene politische Schlagsätze: "Statt gute Umgangsformen,
Allgemeinbildung und fundierten Grundkenntnissen in Lesen, Schreiben,
Rechnen steht in vielen Schulen auf dem Lehrplan 'Drittes Reich statt
Dreisatz'. Dadurch werden deutschen Jugendlichen überflüssige Schuldgefühle
für die eigene Herkunft eingetrichtert."
Im rechtsextremistischen Störtebeker-Netz wurde ob der verspäteten
Auslieferung dieser "Sonderveröffentlichung der NPD" zwischenzeitlich
vermutet, "dass möglicherweise ein Zerwürfnis zwischen der
Landesparteiführung und dem seinerzeit zeitweise als Landtagskandidaten in
Aussicht genommenen Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger und der damit
verbundene Stopp bestimmter finanzieller Zuwendungen ausschlaggebend gewesen
sein könnte". Der am 4. September bekannt gegebene Eintritt Riegers in die
NPD wird solcherart Vermutungen in rechtsextremistischen Kreisen relativ
schnell vergessen lassen. Rieger soll schon beim Bundesparteitag im November
als stellvertretender NPD-Bundesvorsitzender zur Wahl vorgeschlagen werden.
Mit der Person Riegers dürfte der militante Flügel der mehr oder weniger
NPD-anhängigen Kameradschaftsszene eine Stärkung erfahren. Gleiches
befürchten aufmerksame Beobachter derzeit auch für den Raum Sächsische
Schweiz, nach dem sich kürzlich der dort in der militanten
Kameradschaftsszene vormals wohl auch ordnend agierende Mäzen der Skinheads
Sächsische Schweiz auf einer Landstraße tot gefahren hat ( Ian Stuart
Leichsenring (7)).
Den wachsenden und sich stabilisierenden Zuspruch für - teilweise
verklausulierte - rechtsextreme Parolen im östlichen Norden erklären
Beobachter der Szene mit einer "Verbürgerlichungsstrategie" der NPD nach
außen. Karl-Georg Ohse vom Mobilen Beratungsteam für demokratische Kultur in
Mecklenburg-Vorpommern (8) stellte diese Vorgehensweise der
Rechtsextremisten in der Berliner Zeitung vom 6. September so dar: "Es ist
ihnen in den letzten zwei Jahren gelungen, ihr Haudrauf-Skinhead-Image
besser zu verbergen ... Nach außen gibt man sich jetzt bürgerlich ... Sie
bieten sich an, Räume zu streichen, oder stellen sich bei der Wahl zum
Elternsprecher auf ... Man soll denken, die sind ja gar nicht so extrem".
In den letzten Wochen des Wahlkampfes verrutschte den Rechtsextremisten
allerdings zuweilen ihre sich mühsam übergestülpte bürgerliche Maske. So
gibt es zunehmend überregionale Berichte von Bedrohungen und
Einschüchterungsversuchen durch NPD-Wahlkämpfer. Die Biedermänner werden
rüde (9), konstatierte Spiegel-Online am 7. September. Drei Tage zuvor
informierte Die Welt: NPD schüchtert im Wahlkampf Konkurrenten mit Gewalt
ein (10). Und von "mit Knüppeln bewaffneten Plakatiertrupps" war bereits in
der ersten September-Ausgabe des Blick nach Rechts zu lesen. Bei
indymedia.de publizierten (11) Augenzeugen den Nazi-Angriff am 12. August
auf eine Antifa-Demo in Wismar. Die Ankündigung Apfels auf dem diesjährigen
Deutsche-Stimme-Pressefest (12), man wolle im Wahlkampf "wenig interne
Saalveranstaltungen", sondern stattdessen "den Dialog mit Bürgern", lässt
sich nachträglich so auch ganz eigen interpretieren.
Wohl regt sich Widerstand gegen den nicht erst seit gestern drohenden Einzug
der NPD in den Schweriner Landtag. Exemplarisch genannt dafür sei das
Aktionsbündnis Keine Stimme den Nazis (13). Initiiert wurde die Kampagne von
40 Vereinen, Jugendzentren, Bands und Antifa-Gruppen aus ganz
Mecklenburg-Vorpommern. Allerdings zeichnet sich der durchaus mannigfaltige
und kreative Widerstand - auch gegen rechtsextremistische Umtriebe im
Bundesland generell - eher in regionalen Schwerpunkten aus. Wirksame
mittelfristige Strategien von bürgerlichen Parteien und Gewerkschaften gegen
rechtsextremistische Aktivitäten sind nicht deutlich auszumachen. Darüber
hinaus ist auch in Mecklenburg-Vorpommern die Zukunft der Mobilen
Beratungsteams sowie der Opferberatungs- und Netzwerkstellen fraglich (14).
Zu Jahresbeginn 2007 soll die bisherige Verantwortung des Bundes für die
Beratungsstellen gegen Rechts von den Ländern und Kommunen übernommen
werden. Die seit 2001 aufgebauten "Strukturprojekte gegen Rechts" werden im
neuen Etat des Bundesfamilienministeriums nicht mehr weitergeführt.
Noch zwei Tage vor der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern findet in Schwerin ein
Benefiz-Konzert Laut gegen rechts - wählen gehen! (15) statt. Damit soll, so
die Veranstalter, "ein deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt
werden - und gegen den Einzug antidemokratischer Parteien wie der NPD in den
Landtag". Unterstützt und organisiert wird das Event u.a. von der Amadeu
Antonio Stiftung (16), der Aktion Mut gegen rechte Gewalt (17), dem Verein
Gesicht zeigen! (18) und der Zeitschrift Blick nach Rechts (19).
Wenn nach dem Urnengang in Mecklenburg-Vorpommern am 17. September - wie zu
erwarten - dann vordergründig allein eine zu geringe Wahlbeteiligung für den
Einzug der NPD in den Landtag verantwortlich gemacht werden sollte, greift
das politisch nicht nur zu kurz, sondern ist dies auch falsch. Dagegen
bedarf die resümierende Feststellung von DGB-Nord-Chef Peter Deutschland
"Die anderen Parteien haben geschlafen" leider keiner weiteren Erklärung.
Andere wiederum werden am Wahlabend sagen, dass Demokratie in der Lage sein
müsse, so etwas auszuhalten. ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn machte (20)
vorab allerdings deutlich: "Viele NPD-Wähler sind für andere Parteien
verloren."
LINKS:
(1)
http://www.telepolis.de/r4/artikel/18/18367/1.html
(2) http://www.npd-mv.de/
(3)
http://www.telepolis.de/r4/artikel/20/20467/1.html
(4)
http://www.kulturbuero-sachsen.de/dokumente/8Wortergreifung.pdf
(5)
http://www.lobbi-mv.de/chrono/index.php
(6) http://www.bnr.de/
(7)
http://www.telepolis.de/r4/artikel/23/23461/1.html
(8) http://www.mbt-mv.de/
(9)
http://www.spiegel.de/politik/0,1518,k-6974,00.html
(10)
http://www.welt.de/data/2006/09/04/1022177.html
(11)
http://germany.indymedia.org/2006/08/155737.shtml
(12)
http://www.telepolis.de/r4/artikel/23/23290/1.html
(13)
http://www.keine-stimme-den-nazis.info/
(14)
http://www.welt.de/data/2006/05/29/894780.html
(15)
http://www.rechtsweg-ausgeschlossen.de/laut_gegen_rechts/
(16)
http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/
(17)
http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/
(18) http://www.gesichtzeigen.de/
(19) http://www.bnr.de
(20)
http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/
0,1185,OID5887442_TYP6_THE_NAV_REF1_BAB,00.html
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