Dispute zwischen den Religionen:
Der Papst, der Islam und das Mittelalter
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Die reflexartigen gewalttätigen Reaktionen in der Welt des Islam auf
christliche "Beleidigungen" des Propheten Mohammad sind ein bemerkenswertes
Phänomen. Die dänischen Karikaturen haben nur ganz Vereinzelte von 1,5
Milliarden "wütenden" Moslems gesehen. Denn als sie schon im September vor
einem Jahr in einer ägyptischen Zeitung veröffentlicht wurden, hat sie
niemand zur Kenntnis genommen. Als sie auf dem Höhepunkt der blutigen
Proteste in Jordanien veröffentlicht wurden, hat die Regierung die Zeitung
konfisziert und den Chefredakteur ins Gefängnis gesteckt. Dennoch mussten
etwa 200 Menschen mit dem Leben bezahlen zwischen Indonesien, Gaza, Nigeria
und Marokko.
Genauso wenig hat jemand in der Welt des Islam die "Vorlesung" des
Professors Josef Ratzinger an der Universität Regensburg ernsthaft studiert.
Der Herr Professor hat eine wissenschaftlich zweifellos hieb und stichfeste
Analyse mittelalterlicher Dispute zwischen Christentum und Islam
abgeliefert. Aber er hat außer acht gelassen, dass vor ihm nicht nur
Theologiestunden eines Fachseminars saßen, sondern Kameras aller Nationen
auf ihn schauten. Ebenso hat er nicht bedacht, dass er heute kein
Privatseminar mehr halten kann. Er ist Papst, Oberhaupt der katholischen
Kirche, prominentester Vertreter des Christentums weltweit, Politiker und
Staatschef. Die Bürde dieses Amtes bedeutet, dass er keine "private Meinung"
mehr äußern kann und darf.
Hinzu kommt, dass die mittelalterlichen Dispute zwischen den Religionen ein
besonders tragisches und folgenreiches Kapitel der menschlichen
Religionsgeschichte darstellen. Kardinäle, Rabbiner und Imame stritten sich
letztlich darum, wer nun die alleinige Wahrheit besitze, salopp formuliert:
"gepachtet habe". Das alleinige Ziel dieser "Dialoge" war es, seinen Gegner
"fertig zu machen" und dessen Heilige Schriften wie Glauben in den Dreck zu
ziehen.
So wie es noch niemandem gelang, die Existenz Gottes zu beweisen, bis
Voltaire schließlich im Rahmen der Aufklärung erklärte "Gott ist tot", so
überzeugten die frommen Disputanten weder Jude, Christ noch Moslem, selber
einem falschen Glauben anzuhängen und den anderen "wahren" Glauben
anzunehmen. Auch die "Schläge unter der Gürtellinie", wie die vom Papst
zitierten Argumente, sind heute eine Ungeheuerlichkeit. Etwa, dass "Gott (im
Islam) auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und daß nichts ihn
dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren. Wenn er es wollte, müsse
der Mensch auch Götzendienst treiben."
Die Dispute haben eine reiche aber problematische Literatur hervorgebracht.
So gibt es köstliche mittelalterliche jüdische Parodien auf das Neue
Testament. Sie beabsichtigten freilich eine tiefe Beleidigung des
Christentums und des Glaubens an Jesus, der doch gar nicht auferstanden sei,
sondern dessen Leiche aus dem offenen Grab geklaut worden sei, wie das in
einer Parodie mit allen Einzelheiten eines Krimis dargestellt wird. Das
gleiche Ziel befolgten mittelalterliche Zitatensammlungen aus Bibel und
Talmud, die heute noch in Neo-Nazi- und Antisemitenkreisen kursieren, um das
Judentum als "mörderische" Religion zu verunglimpfen. Und nun hat der Papst
selber aus dieser abscheulichen Tradition Zitate herausgepickt, um Allah als
gottloses Wesen zu beschreiben, das sich sein eigenes Wort nicht halte und
sogar Götzendienst befehlen könnte.
Christliche wie islamische Vorstellungen der Allgemeingültigkeit ihres
Glaubens hatte nicht nur blutige Kriege zur Folge, wie im Jahr 846 die
Einnahme des St. Peter Doms in Rom durch die Araber, was eines der
(vergessenen) Motive für die Kreuzzüge zweihundert Jahre später war. Beide
großen Religionen versuchten immer wieder, "mit dem Schwert", ihren Glauben
zu verbreiten und nicht nur zu verteidigen. Das sollte der Papst besser
wissen als jeder Andere. War er doch, bis zu seiner Wahl, Chef der bis heute
existierenden "Inquisition". Im Jahr 1492 wurden alle spanischen Juden
zwangskonvertiert oder vertrieben. Bis zum Holocaust, der wie die
Inquisition das Judentum abschaffen wollte, war diese Inquisition ein
jüdisches Volkstrauma, gleichgesetzt mit der Zerstörung des Jerusalemer
Tempels durch Babylonier (Irak) und Römer.
Genauso müssen Vorwürfe an heutige Vertreter des Islam gerichtet werden, wer
immer das sein mag. Deren Rechtfertigungen von Selbstmordattentaten, Gewalt
gegen Andersgläubige, Aufrufe zum Heiligen Krieg und die "im Namen des
Islam" geäußerten Aufrufe zu Völkermord, blutigen Massenproteste und
Verunglimpfung von Christentum wie Judentum, sind oft schärfer als die
Islamophobie im Westen. Viel zu selten hört man aus den Zentren des Islam in
Kairo, Qom, oder Riadh Worte der Mäßigung oder eine Verurteilung übelster
Gewalt, die mit messianischem Eifer im Namen des Islam betrieben wird, vom
11.9. in New York und bis hin zu den Sprüchen des Präsidenten Ahmadinidschad
und des palästinensischen Außenministers Mahmoud Asahar, Israel von der
Landkarte zu löschen oder dem betonten Wegschauen bei den Vorgängen in
Darfour. Die "Heiligen" des Diesseits scheinen allesamt ziemlich
scheinheilig zu sein und sollten erst einmal vor ihrer eigenen Haustüre
kehren. |