Mit der Hizbollah oder gegen sie?:
Die Bundesregierung vor einem Richtungsentscheid
Von Matthias Küntzel
Erstmals in der Geschichte des Nahostkonflikts sollen deutsche
Marineverbände im Auftrag der Vereinten Nationen vor der Küste Libanons
tätig werden, um die illegale Einfuhr iranischer Waffen für die Hizbollah
nach UN-Resolution 1701 zu unterbinden. Dieser Auftrag wird zur Farce, wenn
seine Durchführung von der Zustimmung der Terrorgruppe abhängig gemacht
wird. Doch genau darum geht im Moment der Streit zwischen den Partnern der
Großen Koalition: Wird sich die Bundesregierung den Bedingungen der
libanesischen Regierung, die mit der Hizbollah nicht nur verbündet, sondern
von ihr abhängig ist, unterwerfen?
Am 6. September 2006 beteuerten die Bundeskanzlerin sowie Sprecher der
Unionsparteien, der deutsche Einsatz komme nur dann in Frage, wenn eine
"effektive" Unterbindung des Waffenschmuggels tatsächlich möglich sei. Falls
die libanesische Regierung unabhängige Kontrollen innerhalb einer
Sieben-Meilen-Abstandszone zur libanesischen Küsten verbiete, könne hiervon
jedoch keine Rede mehr sein.
Am 10. September legte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der CDU,
Volker Kauder, noch einmal nach: "Wir brauchen ein klares Mandat, dass uns
die Möglichkeit gibt, den Auftrag zu erfüllen." Es müsse möglich sein, ein
verdächtiges Schiff zu stoppen und zu betreten. "Es darf nicht sein, dass
die Hizbollah für den Kampf gegen Israel aufgerüstet" werde und die Marine
zum Zuschauen verurteilt sei.
Doch genau dieses Szenario kündigte der Transportminister der libanesischen
Regierung am 7. September 2006 an: Die Soldaten der UN-Truppe UNIFIL sollen
verdächtige Schiffe nur außerhalb der Sieben-Meilen-Zone kontrollieren
dürfen und auch das nur dann, wenn die libanesische Armee sie vorher darum
gebeten hat.
Natürlich wird, wer auf diese Bedingungen sich einlässt, künftige Angriffe
auf Israel nicht verhindern, sondern ganz im Gegenteil ermöglichen.
Erstens ist es evident, dass jeder zukünftige Waffenschmuggel von Syrien in
den Libanon wie in der Vergangenheit, so auch in Zukunft nicht irgendwo mit
Mittelmeer, sondern exakt innerhalb dieser Sieben-Meilen Zone
stattfinden wird. Und zweitens ist es geradezu grotesk, ausgerechnet von der
libanesischen Armee entschlossene Maßnahmen gegen die Hisbollah zu erwarten
– da könnte man genau so gut die Taliban mit der Verhaftung Osama bin Ladens
beauftragen.
So hat die libanesische Armee die jahrelange Aufrüstung der Hizbollah nicht
nur geduldet, sondern deren Angriffe auf Israel vor wenigen Wochen
logistisch unterstützt. Hinzu kommt: Fast die Hälfte der 70.000
libanesischen Soldaten sind Schiiten. Nach einer Meinungsumfrage von Ende
August 2006 lehnen aber 84 Prozent der libanesischen Schiiten die
Entwaffnung der Hizbollah ab.
Darüber hinaus macht auch der Chef der libanesischen Streitkräfte, Michel
Suleiman, ein maronitischer Christ mit besten Beziehungen zu Damaskus, aus
seiner Sympathie für Nasrallah keinen Hehl. Nur die 'andauernde gute
Zusammenarbeit' von Hizbollah und Armee, erklärte er im Juli 2006, könne die
Einheit des Landes sichere. Und im Jahresbericht der libanesischen Armee von
2005 war zu lesen, dass die Unterstützung der Hizbollah eine 'nationale und
moralische Verpflichtung' sei.
Dies alles wissen auch jene Sozialdemokraten, die heute den Unionsparteien
widersprechen und sich für die Unterordnung unter die Bedingungen des
libanesischen Kabinetts, spricht der Hizbollah, verwenden. "Ich glaube, dass
man diese Bedingungen akzeptieren sollte", erklärte Peter Struck, der
Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion
Niels Annen, Vorstandsmitglied der SPD und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss
des Bundestages, möchte einen Marineeinsatz außerhalb der Sieben-Meilen-Zone
nicht nur "nicht grundsätzlich ausschließen", sondern bietet der Hizbollah
darüber hinaus auch Gespräche an. Denn es handele sich bei ihr, so Annen im
Deutschlandfunk, nicht nur um "eine Terrororganisation, die Gewalt
anwendet", sondern zugleich um "die wichtigste politische Bewegung der
Schiiten im Libanon." Dass die USA mit Bewegungen wie Hisbollah und Hamas
nicht reden wollten, sei verkehrt: "Deshalb müssen wir diese Sprachlosigkeit
überwinden. Ich bin für einen Vorstoß der Europäer in dieser Sache, und wir
sind ja auch dabei, dort entsprechende Kontakte, die es gibt, auch zu
nutzen."
Nun hat der Führer der Hizbollah, Hassan Nasrallah, stets erneut die
unverbrüchliche Einheit zwischen seiner "Terrororganisation" und seiner
"politischen Bewegung" betont. Und doch ist Niels Annen nicht der einzige
SPD-Funktionär, der die antisemitische Miliz nicht nur nicht ächten, sondern
als Dialogpartner achten und adeln will. So bereitete die SPD-nahe
Friedrich-Ebert-Stiftung dem antiamerikanischen Bündnis zwischen Islamisten
und Sozialisten schon frühzeitig den Weg. Im Februar 2004 veranstaltete sie
mit der Hizbollah eine gemeinsame Tagung unter dem Titel: "Die islamische
Welt und Europa: Vom Dialog zur Übereinkunft". Damals schon war nicht nur
das Bündnis zwischen den think tanks einer deutschen Regierungspartei und
einer islamistischen Terrororganisation bemerkenswert, sondern auch die
Tagesordnung jener Konferenz: Der Topos "Besatzung und Widerstand" stand auf
dem Programm, nicht aber die an Goebbels erinnernde antijüdische Propaganda
des Hizbollah-Senders Al-Manar.
Die gegenwärtigen Rufe führender Sozialdemokraten, die von der Terrormiliz
diktierten Bedingungen für den Marineeinsatz zu achten, stehen in dieser
Tradition.
Noch bis vor kurzem waren derartige Differenzen zwischen der SPD und den
Unionsparteien nicht an die Oberfläche gelangt. Als vor wenigen Wochen 213
Mitglieder des US-Kongresses die Europäer dazu aufriefen, die Hizbollah
endlich auf ihre Terror-Liste zu setzten, wurde nicht nur dieser Brief,
sondern auch Europas Antwort darauf von den Medien ignoriert. So blieb es,
als die EU am 1. August 2006 auf einer Krisenkonferenz das Anliegen des
US-Kongresses einvernehmlich – d.h. mit Zustimmung des sozialdemokratischen
Außenminister – zurückwies, auch im Unionslager auffällig still.
Jetzt wird erneut die Bedeutung des Streits um das Einsatzkonzept der
Marineverbände heruntergespielt oder als eine kaum nachvollziehbare
Krittelei abgetan. "Deutschland tut sich mit der Entsendung von Truppen nach
Libanon schwerer als andere westliche Nationen", schreibt beispielsweise die
Neue Zürcher Zeitung. Während jene "mit gewissen Ungenauigkeiten im
Uno-Mandat leben können und ihr Militärengagement pragmatisch planen, will
die deutsche Regierung die Einsatzbedingungen vorab genau klären."
Tatsächlich aber geht es diesmal ausnahmsweise nicht um "Pragmatismus"
versus "Preussentum", sondern um die Frage, ob sich die Weltgemeinschaft in
Gestalt der Vereinten Nationen an der Seite Israels (und damit gegen die
Hizbollah) oder an der Seite der Hizbollah (und damit gegen Israel)
positioniert. Das Ergebnis dieser Entscheidung beeinflusst wiederum das
Kräfteverhältnis zwischen dem Westen und dem Iran. Heute leitet Teheran nur
deshalb riesige Finanzmitteln an Nasrallahs Truppen, damit morgen die
iranische Frontmiliz im Kampf um die Auslöschung Israels wieder einsatzfähig
ist.
Zwar ist der Ausgang dieser grundlegenden Auseinandersetzung innerhalb der
Großen Koalition noch offen. Doch spricht alles dafür, dass die Union
schließlich kippt. Schließlich hatte Frankreich im August 2006 durchaus
erfolgreich für die Verwässerung der UN-Resolution 1701 gekämpft. Deren
Janusköpfigkeit ist evident: Sie fordert einerseits die Unterbindung
jeglichen Waffenschmuggels an die Hizbollah und legt zugleich die
maßgebliche Zuständigkeit für die Umsetzung dieser Forderung in die Hände
der libanesischen Regierung – ausgerechnet jener Regierung also, die vom
Wohlwollen der Hizbollah wie keine andere abhängig ist. Sollten die
Vereinten Nationen den Standpunkt des Libanon unterstützten, deutete die
Bundeskanzlerin bereits an, werde man es sich vielleicht doch noch einmal
überlegen. Und hatte nicht Europa die Entscheidung zur Truppenentsendung in
den Libanon ungeachtet jener "gewissen Ungenauigkeiten im Uno-Mandat" schon
mit großer Fanfare gefeiert? Hatte nicht Janvier Solana die "europäischen
Handschrift" in Resolution 1701 gerühmt und Italiens Außenminister D'Alema
von dem gewachsenen Gewicht der Europäer und einer "neuen Phase im
Verhältnis zu den USA" geschwärmt? Diesen einträchtigen Chor wird
Deutschland heute mit seiner dissonanten Forderung nicht allzu lange stören.
Dann sollte sich hierzulande aber auch niemand beschweren, wenn morgen
israelische Kampfflieger den Waffenschmuggel an die Hisbollah auch in
Sichtweite deutscher Marineverbände auf "effektive" Weise unterbinden.
Anmerkungen:
Johannes Leithäuser, Merkel hält am Libanon-Einsatz fest. Aber die Regierung
pocht auf ihre Bedingungen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 7.
September 2006.
Peter Carstens und Jörg Bremer, Steinmeier drängt die Koalition.
"Libanon-Einsatz rasch beschließen", in: FAZ, 11. September 2006.
Interview mit SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen, in: Deutschlandfunk, 8.
September 2006.
Markus Bickel; "Wir hätten sie gar nicht erst gefangen", in: Tageszeitung
(taz), 29.August 2006.
Michael Borgstede, Nicht gegen die Hizbollah. Die libanesische Armee kann im
Süden nur mit der Schiiten-Miliz als Partner agieren, in: FAZ, 9.August
2006.
Zit. nach Markus Bickel, Steinmeier hilft Libanon-Blockade zu lösen, in:
Spiegel Online, 7. September 2006.
Das gesamte Interview findet sich unter:
www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/540646/
Einer der eifrigsten Verfechter dieses Konferenzkonzepts und Teilnehmer der
Tagung war Volker Perthes. Er wurde im Anschluss daran zum Direktor
der
Stiftung Wissenschaft und Politik, dem wichtigsten außenpolitischen
Think Tank in der Bundesrepublik, ernannt. Siehe zur Beiruter Tagung:
http://www.matthiaskuentzel.de/contents/von-zeesen-bis-beirut
Mark Beunderman, EU rebuffs US call to put Hezbollah on terror list, in:
Euobserver.com, 2. August 2006.
eg., Deutsche Libanonpolitik mit Hindernissen, in: Neue Zürcher Zeitung
(NZZ), 7. September 2006. |