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Der Sturm auf das Fernsehen:
Der Abend des 18. September 2006 in Budapest

Emmet Brown, Budapest, 22. September 2006
Aus dem Ungarischen von Magdalena Marsovszky

Wer auch immer das Drehbuch der Ereignisse der vergangenen Tage schrieb, der verrichtete eine teuflische Arbeit. Praktisch auf die Minute genau zur gleichen Zeit wurde am Sonntag, dem 17. September allen ungarischen Medien ein Mitschnitt zugespielt, der nach den gewonnenen Wahlen vor vier Monaten geführte Gespräche aus dem engen Kreis der Regierungspartei festhielt. Bald darauf fing das Drama an. Nun ja, die Kommunalwahlen stehen bei uns an.

Im Mitschnitt war eine dramatisch-suggestive Rede des Ministerpräsidenten Ungarns, Ferenc Gyurcsány zur Lage der Nation zu hören. Nach seinen nur intern und in einem freien Stil vorgetragenen Worten geriet das Land in eine politische Krise. Er erklärte nämlich außerordentlich selbstkritisch, die Regierung hätte in der vorhergehenden Regierungsperiode nichts getan, ja sie hätte vor den Menschen und vor dem Lande die wahre wirtschaftliche Situation verschwiegen.

Bleiben wir an dieser Stelle einen Moment stehen. Ich muss den mit den Umständen nicht genau vertrauten LeserInnen erklären, was geschehen ist.

Die 2002 an die Macht gekommene linksliberale Koalition, die Medgyessy-Regierung, schlug – den unverantwortlichen Versprechungen im berüchtigten Wahlkampf entsprechend - politisch und wirtschaftlich einen falschen Weg ein, weil sie die seit der Wende immer wieder aufgeschobenen aber brennend notwendigen Reformen des Staatshaushalts und des Gesundheitswesens sowie die Umgestaltung der großen Verteilungsmechanismen nicht in Angriff nahm. Sie setzte die uneffektive Wirtschaftspolitik der abgewählten nationalkonservativ-‚bürgerlichen’ Regierung mit den übertriebenen Staatsausgaben, der Überbezahlung der inzwischen übermäßig groß gewordenen Schicht der Beamten, der unüberlegten Senkung der Steuern und Abgaben, usw. fort.

Es brauchte zweieinhalb Jahre, bis die Koalitionspartner mit einem wahren inneren Putsch Medgyessy aus dem Amt des Ministerpräsidenten drängten. Ihm folgte sein Sportminister, Berater und der auch in wirtschaftlichen Kreisen bekannte Ferenc Gyurcsány. Der junge und agile Geschäftsmann, der die Basis für sein gar nicht so kleines Reichtum gerade mit der ’geschickten Privatisierung’ der Immobilien des Einparteienstaates angelegt hatte, bedeutete für die nationalkonservativ-‚bürgerliche’ Rechte einen wahren Schlag ins Gesicht.

Das große Dilemma der Gyurcsány-Regierung war, ob sie die erwähnten Reformen sofort einführt, oder aber die noch übrig gebliebenen anderthalb Jahre der Wahlperiode irgendwie durchhält und sie erst nach ihrer erhofften Wiederwahl angeht. Nach sorgfältiger Überlegung der auch Interessenskonflikte nach sich ziehenden Reformen und Risiken entschied sich aber die Regierung lieber für den Aufschub und konzentrierte sich auf die Frühjahreswahlen. Über diese letzte Periode redete Gyurcsány, als er sagte: „… Ich bin fast daran verreckt, anderthalb Jahre lang so tun zu müssen, als ob wir regiert hätten…”

Nach den kürzlich angemeldeten Sparmaßnahmen – dem 'Gyurcsány Paket' – blieb auch die Opposition nicht untätig. Ihr Führer, Viktor Orbán verlangt seit Längerem in dramatischen Reden die Zurücknahme der Entscheidungen, droht mit schwerwiegenden Folgen, und schließt auch "spontane" Reaktionen des Volkes auf der Strasse nicht aus. Gerade vor einigen Tagen sagte er einem ausländischen Journalisten: "…selbst eine Revolte wäre vielleicht verständlich…".

Nach einem solchen Vorspiel und nach dem Bekannt werden des Mitschnitts forderten dann Demonstranten am Montagabend vor dem Parlament den Rücktritt des Ministerpräsidenten und das Vorlesen einer eilig zusammengestellten Petition im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Ungarns, was ihnen aber nicht gewährt wurde. Daraufhin zog die aufgebrachte und inzwischen auf eine Größe von zwei bis drei Tausend Menschen angewachsene Menge vor das nahe gelegene Fernsehgebäude und reihte sich dort bedrohlich auf.

Die Demonstranten, die mit den zum Schutz des Eingangsportals beauftragten Polizisten Auge in Auge gegenüberstanden, bildeten kein einheitliches Lager. In der 'Frontlinie' trieben sich typisch aussehende Fußball Hulligans gegenseitig an und wurden immer wahnsinniger, während ihnen die eher gemäßigten Sympathisanten von Hinten Mut machten. Der harte Kern riss daraufhin die Zier-Pflastersteine auf und bewarf zuerst nur zaghaft, später aber mangels Widerstand und deshalb immer mutiger die Polizisten und die Fenster des Gebäudes. Die versteinert stehenden Polizisten taten eine ganze Weile nichts, außer sich mit ihren Schildern zu schützen. Erst als sich die Angreifer die Treppen des unter Denkmalschutz stehenden Palastes hinaufdrängten und ihre Leben gefährdeten, erst dann warfen sie Tränengasgranaten. Die Menge zog sich daraufhin etwas zurück und begann ihre Rache auf den dort parkenden Autos auszuleben. Bald standen mehrere Fahrzeuge umgekippt in Flammen, so dass die von vielen Sendern ausgestrahlten Bilder immer mehr an die Szenen der näheren Vergangenheit in Paris erinnerten.

An dieser Stelle dürfte eine erneute Zwischenerklärung vonnöten sein. Vielleicht haben sich auch die LeserInnen gefragt, was die meistens in Stadien randalierenden Fußballfans unter den Radikalen einer politischen Demonstration zu suchen haben.

Nun: In Ungarn jedenfalls ziemlich viel. Eine Bastion des ungarischen Fußballs, der einst ruhmreichere Tage erlebte, ist die Mannschaft von Ferencváros (FTC). Zu ihrer Mitgliedschaft zu gehören ist seit Langem eines der grundsätzlichen Ziele der rechtsradikalen und ultranationalistischen Kreise und bedeutet ihre wichtigste Kohäsionskraft. Bei den Mannschaftsspielen wird nicht nur hemmungslos antisemitisch gehetzt, es werden auch Sprüche skandiert, die an die dunkelste Vergangenheit des Landes erinnern.

Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass an einer Sympathiekundgebung der gegenwärtig finanziell und moralisch angeschlagenen Mannschaft vor einigen Tagen auch Oppositionsführer, Viktor Orbán erschien. Als Überraschung, denn es ist allgemein bekannt, dass er nicht zu deren Fans gehört!

Und nun zu den Medien: Es ist auch aufschlussreich, wie sie zu den Ereignissen standen.

Das von der nationalkonservativ-'bürgerlichen' Rechten vor einigen Jahren gegründete HírTV (NachrichtenTV) war seit den ersten Minuten an Ort und Stelle. Von seiner eigenen Heldenhaftigkeit besoffen stand sein Reporter mit bewegter Stimme und nicht im Geringsten verheimlicht an der Seite der Angreifer: "... die Tapfereren sind bereits die Treppe hinaufgelangt ... man muss mit einem neuen Polizeiansturm rechnen... " usw. Er erwähnte den Begriff 'Revolution' mehrmals und gab auch ansonsten tausend Zeichen dafür, dass er geradewegs von der Bühne der Geschichte berichtet.

Zum Gesamtbild gehört auch, dass das HírTV seit dem Nachmittag des vorigen Tages, als es den Mitschnitt bekam, praktisch all seine anderen Sendungen einstellte und immer wieder die Rede des Ministerpräsidenten abspielte, wobei es die Einzelheiten heraushob, die für die Redaktion am meisten verräterisch vorkamen. Die als Mantra rezitierten Texte wurden nur selten durch Filmausschnitte der Demonstration unterbrochen. Es kann keine Minute bestritten werden, dass auch die Verantwortlichen im HírTV das Gefühl hatten, sie müssten sich an die Spitze einer radikalen Revolte stellen – diese aber wenigstens katalysieren -, die mit dem Sturz der Regierung endet.

Die anderen kommerziellen Sender übernahmen zwar die Aufnahmen des HírTV, berichteten aber dennoch mit einer nicht erwarteten Zurückhaltung und fachlichen Kompetenz über den Szabadság Platz. Es war überraschend, wie sich das 'königliche Fernsehen' (so wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen genannt) verhielt. Das heißt: wie es sich nicht verhielt! Denn in den Minuten, als die Revolte eskalierte, wurden Kultursendungen ausgestrahlt, die niemanden interessierten; über den Angriff, der ausgerechnet ihre Existenz gefährdete, berichteten sie nur sporadisch.

Auf dem Platz vor dem Gebäude spielten sich inzwischen dramatische Szenen ab, doch erwiesen sich die Gegenaktionen der Polizei ohne Ausnahme als unglücklich und erbärmlich. Sie musste sogar kurzerhand das Feld räumen, wodurch sie den Ort des Geschehens dem Pöbel überließ. Darüber waren die ‚Gewinner’ am meisten verdattert, doch sie spazierten in das inzwischen herrenlose Gebäude hinein. Hier hatten sie sichtlich keine Ideen, wie es denn nun weitergehen soll. So ist ihnen nichts Besseres eingefallen, als die Cafeteria im Obergeschoß zu plündern, die Getränkeautomaten umzukippen, dies und jenes zu zerschlagen - und dann einfach nur so herumzuhängen. Während dieser Zeit standen im Erdgeschoß bereits seit einer halben Stunde mehrere Büros in Flammen, der Rauch verbreitete sich inzwischen überall im historischen Gebäude, und der Schutt belegte die Gänge. Die Demonstranten hatten auch dafür Zeit, einige Türen aus den Rahmen zu reißen und sie auf die brennenden Autos zu werfen, da die inzwischen alarmierte Feuerwehr zuerst gar nicht einschreiten konnte, weil sich die Polizei als unfähig erwies, ihr den Durchgang ins Gebäude zu sichern, obwohl das ihre Aufgabe gewesen wäre.

Das Drama war noch nicht vorbei, als sich bereits die ersten Theorien von 'gut informierten', bzw. selbst ernannten Politologen verbreiteten, die die Ursachen der tragischen Demonstration analysierten. Alle gingen der uralten Frage nach: "Qui prodest?" Unter ihnen zeigten die zwei wichtigsten und einander vollkommen widersprechenden Versionen natürlich auf die Sozialisten (MSZP) und die Nationalkonservativ-'Bürgerlichen' (Fidesz): Diese hätten mit ihren Hintermännern die Gemüter aufgehetzt. Auf den ersten Blick erscheint die zweite Version (Fidesz) als logisch, da die größte Oppositionspartei den nahenden Kommunalwahlen hoffnungsvoll entgegensieht. Etwas anderes als eine Revolte, bei der die regierende Partei gestürzt wird, könnte ihr nicht besser passen. Auch ansonsten werden Legenden über den privaten ‚Secret Service’ des ehemaligen Ministers für Geheimdienst und zugleich starken Mannes der Partei verbreitet, womit alles begründet zu sein scheint.

Gleichzeitig sehen andere – und nicht nur auf der nationalkonservativ-'bürgerlichen' Rechten – den Sturm auf das Fernsehen als ein gerade in der Teufelsküche der Sozialisten ausgekochtes Schauspiel. Diese Logik ist nicht mehr so einfach. Sie geht davon aus, dass die Linksliberalen bereits nicht nur einmal aus den Stimmen verunsicherter Wähler profitierten, die sich durch die rechtsradikalen Parolen um die Fidesz-Partei herum schrecken ließen. Da den Sozialisten die gegenwärtigen Sparmaßnahmen sicherlich einige Stimmen kosten, könnte für sie die Attacke gegen das Fernsehgebäude mehr Wert sein als jede andere Kampagne, zumal an deren dramatischem Höhepunkt auf einer Balustrade im ersten Stock – wie vorher am Haupteingang immer wieder - die berüchtigte Fahne mit den Arpadenstreifen auftauchte, die im Zweiten Wetkrieg zur Symbolpalette der Partei der Pfeilkreuzler gehörte. Die Pfeilkreuzler gehörten zu Hitlers treuesten Vasallen, assistierten vor sechs Jahrzehnten mit fleißigem Eifer bei den Gräueltaten des Holocaust, und durch sie verwandelte sich Ungarn in ein Land des blutigen Terrors und der Angst.

Eine Lehre von den Geschehnissen zu ziehen, wäre zu früh, da wir nicht einmal wissen, was an den kommenden Abenden passiert. Doch es lohnt sich auf jeden Fall, die Aufmerksamkeit vor allem auf zwei Momente des Abends zu lenken.

Das sind einmal die beispiellose Unsicherheit und das fachliche Versagen der Ordnungskräfte. Es hat sich erwiesen, dass die heutige ungarische Polizei nicht auf derartige unerwartete Ereignisse vorbereitet ist. Wenn es nur nach ihr gegangen wäre, hätte das Fernsehgebäude, der ehemalige Börsenpalast, bis zu den Grundmauern niederbrennen können. Beim Antreffen der militanten Demonstranten saßen die wenigen Polizisten, die für die Sicherheit des Gebäudes zuständig waren, in zwei Suzuki herum.

Zum Zweiten ist es die Art der Berichterstattung, was aber nicht im Geringsten überraschend ist: Die Journalisten haben ihre Berichte so verfasst, dass man genau merken konnte, zu welcher politischen Richtung sie gehören.

Eine echte Perle ist der folgende Bericht. Ob sein Verfasser aus dem ganzen Geschehen etwas gesehen hat, wissen wir nicht. Ich vermute, er hat nichts gesehen. Wenn dennoch, dann ist es eine Schande, dass er zu Feder griff.

Um noch einmal zu rekapitulieren: An dem besagten Abend konnten etwa zwei bis dreitausend Demonstranten und fünfzig bis sechzig Polizisten beobachtet werden.

Er schrieb dagegen: "Am Montag Abend wurde das Gebäude des Ungarischen Fernsehens durch zehn Tausend Jugendliche angegriffen. Sie forderten den Rücktritt der Gyurcsány-Regierung. Anfänglich wollten sie das Gebäude nicht stürmen, sondern lediglich ihre Petition vorlesen lassen. Doch ihrer verfassungsmäßigen Forderung wurde nicht stattgegeben, ihre Vertreter wurden verhaftet, und sie wurden durch die Ordnungshüter mit Tränengasgranaten, Gummistöcken und Wasserwerfern angegriffen. Männer, Minderjährige und zerbrechliche Teens wurden rücksichtslos blutig geschlagen. Die Menge schreckte sich dennoch nicht zurück. Nach langem Kampf besetzte sie das Gebäude".

Budapest:
Völkische Revolution?

Was sich hier anbahnt, ist eben nicht eine bloße demokratische Machtübernahme. Es geht um eine andere Wirklichkeit, um eine neue 'magyarische Landnahme', um eine völkisch-nationalistische 'Revolution' und damit um den Umsturz des demokratischen Systems...

hagalil.com 29-09-2006

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