Zivilisten als Abschreckung:
Nicht durcheinander kommen
Kommentar von Nadav Shragai, Haaretz, 2.8.2006
Nathan Alterman, der viel über die Reinheit der Waffe
schrieb, überlegte sich einst, welches Denkmal die drei israelischen
Soldaten Hanan Samnun, Yossi Kaplan und Boaz Sasson erhalten sollten. Sie
kamen bei einer Verfolgungsjagd ums Leben, weil sie davor zurückschreckten,
eine stillende Frau am Eingang einer Höhle, im Jordantal anzugreifen, hinter
der sich Terroristen versteckten: Sollte es eines der üblichen Denkmäler
werden, so eines wie es überall in Israel zur Erinnerung an die gefallenen
Soldaten zu sehen ist? Oder sollte das Denkmal eine Mutter mit einem
Säugling an der Brust zeigen? Denn die drei Soldaten hatten mit ihrem Tod
das Leben der Mutter und des Kindes erkauft.
Auch heute hält der Gegner Kinder in der einen Hand und schießt mit der
zweiten auf israelische Zivilisten und Soldaten. Und die Welt wiegt mit
einer falsch geeichten Waage die Moral Israels. Vor 40 Jahren, nach dem Tod
der drei israelischen Soldaten, beschrieb Alterman den Unterschied zwischen
uns und ihnen: "Auch wenn wir unsere Vorstellung bis an die Grenze
strapazieren, können wir uns nicht ausmalen, dass bei jener Verfolgung das
Gegenteil möglich gewesen wäre. Mit anderen Worten, eine Situation, in der
israelische Soldaten sich hinter jüdischen Frauen und Kindern verstecken und
eine stillende jüdische Mutter als Tarnung benutzen, um sich vor
Fatah-Leuten zu verbergen. Israelische Soldaten könnten so etwas nicht tun –
selbst wenn wir von allen anderen Gründen absehen - schon allein aus dem
einfachen Grund, dass eine jüdische Frau mit einem Säugling im Arm kein
"Abschreckungsgrund" für arabische Kämpfer ist".
Verändert hat sich seit den Tagen Altermans, dass die Zivilbevölkerung nicht
nur keinen Abschreckungsgrund für die Hisbollah-Milizen und für den
palästinensischen Terrorismus darstellt, sondern vielmehr das fast
ausschließliche Ziel der Terrororganisationen geworden ist. Die israelische
Armee hingegen hat Soldaten in Bint Dschbeil aufgegeben und sah von
massiven, "aufweichenden" Luftangriffen ab, um die Tötung von Zivilisten zu
vermeiden. Bei den tragischen Ereignissen von Kfar Qana hat die Hisbollah
mit purer Absicht im Herzen der Bevölkerung ihr Lager errichtet und bewusst
die Bedingungen geschaffen, die zum Unglück führten.
Wir dürfen nicht durcheinander kommen: wir dürfen der Welt und uns selbst
und insbesondere den arabischen Staatsbürgern Israels nicht zugestehen, dass
die Dinge verdreht werden. Die Hisbollah, ebenso wie der palästinensische
Terror, greifen böswillig Frauen und Kinder an, und zwar mit Methode. Wir
tun das selten, und aus Versehen. Man muss diese Dinge aussprechen, gerade
weil Dinge, die so selbstverständlich sind, gern in Vergessenheit geraten.
Dieser Krieg muss mit einem Sieg und mit der Entwaffnung der Hisbollah
enden, sei es durch uns, sei es durch andere. Das ist die Linie, die Sieg
und verpasste Chance trennt. Olmert weiß sehr gut, dass alles andere nur die
Ausgangsposition für den nächsten Konflikt mit der Hisbollah vorzeichnet.
Deshalb besteht er zu Recht auf einer Fortsetzung der Kämpfe. Man muss ihn
unterstützen, den Druck von innen und von außen und die Forderung nach einer
sofortigen Feuerpause abzuwehren.
Der Ministerpräsident verdient auch Unterstützung bei dem von ihm
eingeschlagenen Weg hinsichtlich der entführten Soldaten. Die politische
Führung muss mit kühlem Kopf Gewinn und Verlust gegeneinander abwägen, auch
wenn die Waage, auf der gewogen wird, eine grausame ist. So wurde
beschlossen, in der ersten Phase der Kämpfe auf massiven Einsatz von
Bodentruppen zu verzichten, um der israelischen Armee starke Verluste zu
ersparen. Ebenso verhält sich Olmert auch in der Frage der Entführten. Es
ist nicht leicht, diese Worte zu schreiben. Wie glücklich wären wir, wenn
die entführten Soldaten schnell und unversehrt nach Hause zurückkehrten.
Aber die eindeutige Haltung, an der Olmert nach wie vor festhält, seine
Ablehnung, Terroristen im Austausch für die entführten Soldaten
freizulassen, ist sehr gut verankert in der blutigen Realität. Vierzehn der
großen Anschläge der vergangenen Jahre wurden von Terroristen verübt, die
aus der Haft entlassen wurden. Viele weitere Anschläge wurden durch
freigelassene Terroristen organisiert.
Gegenüber den Familien der entführten Soldaten muss diese Haltung eine
innere Zerreißprobe für den Ministerpräsidenten sein, doch er muss daran
festhalten und die Zahlen im Kopf behalten. Das israelische Vorgehen in
früheren Entführungsfällen muss als Warnsignal, nicht als Präzedenzfall
gedeutet werden. So wie dieser Krieg auf andere Art und Weise beendet werden
muss, müssen wir auch versuchen, die entführten Soldaten diesmal auf andere
Art und Weise und zu einem anderen Preis zu befreien. Wenn auch dieses Mal
die Rechnungen von "hier und jetzt" zu stark gewichtet werden, dann wird der
Blutzoll in der nächsten Runde nur umso größer.
hagalil.com 08-08-2006 |