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Zu den Vorwürfen gegen die israelische Regierung und Armee:
Bis an die Grenze der Demokratie
Von Sever Plocker
Nicht jeder Soldat der Reserve, der aus dem Libanon zurückkehrt, ist
ein ausgewiesener Befehlshaber. Wenn die Regierung zwischen Alternativen zu
wählen hat, verrät sie nicht ihre Aufgabe, sondern erfüllt sie.
Es ist das volle Recht aller Bürger, gegen ihre Regierung zu demonstrieren.
Es ist ihr volles Recht, den Rücktritt des Ministerpräsidenten, von
Ministern oder Armeegenerälen zu fordern. Es ist ihr volles Recht, der
Politik, der Strategie und der Taktik der Regierung nicht zuzustimmen. Es
ist ihr volles Recht - bis zu einer gewissen Grenze. Diese Grenze ist die
Demokratie selbst.
Die israelische Demokratie ist eine zivile Demokratie. So wurde es bei der
Staatsgründung festgelegt, als David Ben Gurion die große politische
Säuberung der IDF durchführte und das Militär der Regierung und der Knesset
unterordnete. Ein Bürger in Uniform und mit einem hohen Dienstgrad hat,
entsprechend der Normen und Werte der israelischen Demokratie, nicht mehr
politische Rechte.
Wenn jedoch Soldaten, die vom Schlachtfeld zurückkehren, auf den
öffentlichen Plätzen der Städte mit den Politikern abrechnen über die
Zögerlichkeit, die Halbherzigkeit, fehlende Kriegsziele und darüber, dass
sie Kämpfern den Sieg verwehrten, dann kann dies sehr leicht in eine echte
Gefährdung der Demokratie abgleiten.
In einer Demokratie ist es gestattet, ja sogar eine Pflicht, dass die
gewählte Regierung ein breites Konzept nationaler Interessen hat, auch wenn
dies im Widerspruch zum Wunsch des einen oder anderen Reserveregiments
steht, in den Kampf zu ziehen. Es ist gestattet und eine Pflicht, dass die
Regierung Präferenzen hinsichtlich des Etats hat – einschließlich des
Verteidigungsetats, auch wenn dies eine weitere Gefährdung des Lebens von
Soldaten bedeutet. Die israelischen Ressourcen sind begrenzt und bei der
Mittelvergabe wird die Zuweisung an den einen Posten notwendigerweise auf
Kosten des anderen gehen. Das erfordert ein in der Konsequenz schreckliches
Abwägen von Risiken und Chancen.
Es ist möglich, jeden Panzer so auszurüsten, dass er absolut undurchdringbar
ist – aber zu welchem Preis und auf wessen Kosten? Auf Kosten der
Krankenhäuer? Der Straßen und der Verkehrssicherheit? Auf Kosten der
kontinuierlichen Militäreinsätze in den Gebieten? Der Entwicklung von
Kampfmitteln gegen den Feind im Iran? Dies sind die Alternativen, dies sind
die Entscheidungen, vor denen die Regierung unentwegt steht. Dazu wurde sie
gewählt und erhielt das Vertrauen der Knesset. Man kann anderer Meinung sein
als die Regierung und ihren Rücktritt fordern, aber man darf nicht
vergessen, dass eine Regierung, die zwischen Alternativen wählt, nicht ihre
Aufgabe verrät, sondern sie erfüllt.
Während des zweiten Libanonkrieges kam es zu operativen und logistischen
Fehlern, die nicht hätten passieren dürfen und für die es keine Ausreden
gibt (zum Beispiel mangelnde Wasserversorgung). Es gab auch Fehler, die bei
jeder größeren und komplexen Militäroperation vorkommen (zum Beispiel, dass
ein geringer Teil der Munition ungeeignet war). Nicht jeder Reserve-Soldat,
der aus dem Libanon zurückkehrt, ist ein ausgewiesener Militärexperte, der
aus seinem engen Blickwinkel heraus beurteilen könnte, wie man die
Angelegenheiten ganz genau hätte regeln sollen. Ja, manchmal werden wir zur
Armee eingezogen, und dann beschließt die Regierung, aus nationalen
Überlegungen heraus, dass wir erst warten und warten und dann sogar nach
Hause zurückkehren sollen, ohne Einsatz im Krieg. Das ist kein "Verrat". Das
ist Politik.
Wurden im zweiten Libanonkrieg alle Ziele erreicht? Selbstverständlich
nicht. Dieser Krieg brach plötzlich aus und die Kriegsziele wurden in Eile
abgesteckt, manchmal mit Überheblichkeit und erst während der
Kampfhandlungen selbst. Damit ist nicht gesagt, dass die Soldaten, die im
Krieg getötet wurden, umsonst fielen – wegen der Regierung und durch ihr
Verschulden. Die Behauptung, die Regierung Olmert hätte den Sieg der Armee
verhindert, ist nur einen Schritt entfernt von der Anschuldigung des
Hochverrats – der Beschuldigung, der kämpfenden IDF ein Messer in den Rücken
gestoßen zu haben. Eine solche Anschuldigung muss Ernst genommen werden,
insbesondere, wenn die aus dem Munde von verwundeten Soldaten und von
Eltern, die ihre Kinder verloren haben, kommt, denn ihre Aussagen haben
doppeltes Gewicht, persönlich und moralisch.
Auch die Behauptungen, die Kommunikation zwischen den hohen Offiziersrängen
und den Gefechtssoldaten im Feld habe nicht funktioniert, sind nicht
automatisch gerechtfertigt. Manchmal ist der Abbruch der Kommunikation
notwendig, er geht auf die hierarchischen Strukturen der Armee und auf die
unterschiedlichen Perspektiven eines ranghohen und eines niederen Offiziers
zurück. Manchmal allerdings geht es tatsächlich um unerträgliche Anmaßung.
Alle Beschwerden und Klagen der Soldaten im Einsatz und an der Heimatfront
müssen untersucht werden, am besten durch eine staatliche
Untersuchungskommission. Ansonsten dürfen wir alle die beiden
Grundvoraussetzungen der Existenz des Staates Israel nicht vergessen: starke
Verteidigungskräfte und eine starke Demokratie.
ynet, 23. August 2006, www.israel.de
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hagalil.com 25-08-2006 |
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