Armeeführung will Vormarsch ausweiten:
Im Tempo der Dinosaurier
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Erst nachdem Premierminister Ehud Olmert die Kommandozentrale Nord und
das Zielgebiet der Katjuscharaketen im Norden Israels verlassen hat, durften
Reporter berichten, da bei dem geschlossenen Treffen besprochen wurde. Es
liegt auf der Hand, dass den Journalisten gezielt gesteckt worden ist, was
an die Öffentlichkeit in Israel, Libanon, Washington und New York gelangen
sollte.
Erstmals seit Ausbruch des Krieges forderte die Armeeführung Grünes Licht
der Politiker, den stockenden Vormarsch bis zum Litani auszuweiten. Die
Militärs wollen sich nicht mehr mit der alten Sicherheitszone begnügen, die
Israel im Mai 2000 verlassen hat. "Das Vorrücken zum Litani wird im Tempo
der Dinosaurier geschehen", sagte bildhaft ein Militärreporter. Er meint die
D9 Planierraupen. "Die sollen die Straßen öffnen und dafür sorgen, dass
keine Riesenbomben eingegraben liegen. Denn gegen versteckte Ölfässer mit
500 Kilo nützt selbst die beste Panzerung der Merkava IV Panzer nichts."
Zudem verfüge die Hisbollah über große Mengen modernster Panzerfäuste, die
den Israelis schon einige Verluste verursacht hätten.
Gemäß dem veröffentlichten Konzept sollen große Militärverbände Stellung am
Litani beziehen und erst danach die übersprungenen oder umgangenen
Stellungen der Hisbollah im Süden, zwischen Litani und Grenze, "säubern".
Die Armee gehe jetzt "aggressiver" vor, als bisher, sagte ein Reporter. Eine
erste Folge mag die Bombardierung von Häusern im Dorf Houle sein, wo bis zu
siebzig Zivilisten unter ihren eingestürzten Häusern verschüttet sein
könnten. Schon verhängte Israel Ausgangssperre über dem ganzen Südlibanon.
"Die Bevölkerung ist aufgerufen, in ihren Wohnungen zu bleiben und nicht
mehr im Freien zu bewegen. Selbst streunende Esel sind ihres Lebens nicht
mehr sicher", erklärt der Arabienreporter eines israelischen TV-Kanals. Das
gelte umso mehr für jegliches Fahrzeug. Dahinter stecke das Konzept, den im
Südlibanon verbliebenen "paar hundert Hisbollahkämpfern" jeglichen Nachschub
abzuschneiden. Auch nach einer vollständigen Säuberung des ganzen Gebiets
bis zum Litani, warnen Militärexperten die Israelis, werde das den Beschuss
Israels mit Katjuscharaketen nicht völlig beenden. Denn die Hisbollah
verfüge auch nördlich des Litani über tausende Raketen, die weiterhin Israel
treffen könnten. Aber der Beschuss mit Mörsern und Katjuschas geringer
Reichweite werde unterbunden.
Andere Reporter "erklärten" die derzeitige Taktik der Armee. In Israels
Bevölkerung wurde schon gefragt, wieso es weiterhin gefallene und verletzte
israelische Soldaten in Ortschaften gebe, die schon vor drei Wochen
Schlagzeilen gemacht haben. Zum Beispiel die Kleinstadt Bint Dschbeil, die
auch als "Befehlszentrale der Hisbollah im Süden" galt. Mehrfach hatte die
Militärführung erklärt, Bint Dschbeil "erobert" und von Bunkern gesäubert zu
haben. Doch stellt sich heraus, dass die Hisbollah-Kämpfer im
unübersichtlichen Gelände, in vorbereiteten Unterständen oder Höhlen
aushalten und mit perfekter Guerillatechnik die unvorbereiteten israelischen
Truppen überraschen. Doch israelische Spezialeinheiten hätten selber auch
schon Hinterhalte gelegt, etwa in zerbombten und verlassenen Häusern.
Angeblich fügen sich beide Seiten bei dieser Methode Verluste bei.
Die Empfehlungen der Armee, nach dem Treffen mit Olmert herausgesickert,
bedürfen noch einer Bestätigung des Kabinetts und können deshalb nicht als
Regierungsbeschlüsse aufgenommen werden. Analytikern hielten das auch als
politischer Druck. Israel will keine Änderungen zu seinen Ungunsten in dem
franko-amerikanischen Waffenstillstandsvorschlag, wie er dem Sicherheitsrat
vorgelegt wurde. Libanon hat den Vorschlag abgelehnt, da er keinen
sofortigen israelischen Rückzug aus Libanon vorsehe. Präsident Bush drängt
neuerdings auf eine "eilige Waffenruhe", sagt aber auch, dass im Südlibanon
kein "Vakuum" entstehen dürfe, in das erneut die Hisbollah bis zur
israelischen Grenze nachrücken könnte. Mit der unmissverständlichen
Androhung eines massiven Vorrückens treibe Israel die Mitglieder des
UNO-Sicherheitsrates zur Eile an. Libanon (mitsamt der Hisbollah) sollen
überzeugt werden, den Vorschlag umgehend anzunehmen, wenn sie nicht weiter
an Land verlieren wollten, im wörtlichen Sinne. |