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"Erzwungene Wege":
Steinbachs Schau

Lange galt der Bund der Vertriebenen als Verein von vorgestern. Die Ausstellung "Erzwungene Wege" zeigt, dass die revisionistische Politik ernst genommen werden muss.

Von Markus Ströhlein
Jungle World 34 v. 23.08.2006

Die polnische Touristin muss für ihren Begleiter übersetzen. "Zum Glück kann ich einigermaßen Deutsch sprechen", sagt sie. Alle Texte und Erläuterungen in der Ausstellung "Erzwungene Wege. Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts" sind auf Deutsch. Den zwei jungen Leuten aus Warschau ist es dennoch die Mühe wert: "In Polen wird heftig über die Ausstellung diskutiert. Deshalb wollten wir sie sehen."

Dann gehen sie in den ersten Raum. Er ist der größte von insgesamt vier Ausstellungsbereichen. Sofort versteht man, was Erika Steinbach, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen und der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen, damit meint, wenn sie von der "Einbettung der Geschichte der deutschen Vertriebenen in einen europäischen Kontext" spricht: Die Besucher trampeln auf den Umrissen Europas herum, die auf dem Boden und an den Wänden aufgemalt sind.

An den vier Seiten des Raumes ist auf Augenhöhe eine beleuchtete Textleiste angebracht. Rundum geht es in chronologischer Abfolge, vom Massenmord an den Armeniern 1915 angefangen, über den griechisch- türkischen "Bevölkerungsaustausch" nach 1923 hin zur "Vertreibung der Juden in Deutschland ab 1933: Der Beginn des Holocaust". Fortgesetzt wird die Leiste mit der "Vertreibung der Polen aus den von Deutschland annektierten Gebieten", dem Hitler-Stalin-Pakt und den Gräueltaten der SS in Polen im Zug der "Germanisierungspolitik". Die "Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs" nimmt am meisten Platz ein. Hier ist das Interesse der anwesenden Klientel am größten. Grauhaarige Menschen sammeln sich. Nickend werden die Texte über die "Flucht vor der Roten Armee", die "Vertreibung unter polnischer Verwaltung", "aus der Tschechoslowakei" oder "aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien" gelesen.

Der Rest ist nur noch eine Fortsetzung: "Die Vertreibung in Folge des Zypern-Konflikts" oder "Krieg und Vertreibung im ehemaligen Jugoslawien". Und auch für den ehemaligen Verbündeten hat man einen Platz reserviert: So behandelt ein Abschnitt die "Vertreibung der Italiener aus Jugoslawien am Ende des Zweiten Weltkriegs".

Das alles ist Stückwerk. Und doch ist alles eins: Da haben irgendwann Menschen andere Menschen vertrieben. Das Schicksal hat zugeschlagen. Schlimm war es.

Aber diese unpolitische Beliebigkeit ist es nicht, worüber die Frau aus Polen wütend ist. "Es sieht hier fast so aus, als hätten uns nur die Russen etwas getan. Aber das stimmt doch gar nicht", sagt sie. In den Berichten polnischer Augenzeugen, die man sich an einer im Raum aufgestellten, würfelförmigen Videokonsole ansehen kann, ist keine Rede von der Wehrmacht oder der SS. Die Sowjetarmee hat die Polen vertrieben. Diese Auswahl der Zeugen ist dann doch etwas einseitig. In den Texten werden die Untaten der Deutschen in Polen durchaus erwähnt. Doch nur wenige Schritte weiter geht es um die vermeintlichen Untaten der Polen an den Deutschen. Und wer Lust hat, kann die Vorgeschichte überspringen und sofort bei der "Vertreibung" der Deutschen einsteigen.

Wer sich auf die Suche nach den Stellen macht, an denen die Organisatoren Sachverhalte weggelassen haben oder sich in auffällig verklausulierten Sätzen verlieren, der wird fündig. Das betrifft vor allem die Rolle der Vertriebenen. Nirgends wird erwähnt, dass sich unter den so genannten Volksdeutschen ein überaus hoher Anteil an begeisterten Nazis fand. Nirgends steht, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil von ihnen nach Kräften und in entscheidenden Positionen am Raub jüdischen, polnischen und tschechischen Eigentums, an der Versklavung und Ermordung von Polen und Tschechen und an der Vernichtung der europäischen Juden beteiligt war. Stattdessen findet man Sätze wie diesen: "Die von Konrad Henlein geführte nationalsozialistische Sudetendeutsche Partei hatte zudem die in der Tschechoslowakei lebenden Deutschen als antitschechisch und hitlerfreundlich diskreditiert." Schlimm: Erst versauen einem die Nazis den Ruf, dann wird man auch noch verjagt.

Noch eines wird selbstverständlich verschwiegen: Die Vertriebenenverbände waren nach dem Krieg Auffangorganisationen für "volksdeutsche" Nationalsozialisten. Dass der Bund der Vertriebenen, der die Ausstellung weitestgehend finanziert, den Besuchern nun die Lektion "Vertreibung der Juden in Deutschland ab 1933: Der Beginn des Holocaust" erteilen möchte, ist wirklich widerwärtig.

Kann man die Ausstellung aber mit den gängigen R-Wörtern abwatschen? Ist die Schau revisionistisch, revanchistisch, relativierend? Am Bücherstand gibt es die DVD "Schlesien wie es war". Wenn man den älteren Herrschaften lauscht, kann man Sätze hören wie: "Na siehste, es waren doch nicht immer nur wir die Bösen." Und selbstverständlich machen die Organisatoren Zugeständnisse an diejenigen in den Vertriebenenverbänden, die sich das Häuschen oder den Landbesitz von "damals" unter den Nagel reißen oder zumindest Geld sehen wollen: Der deutsch-polnische Grenzvertrag aus dem Jahr 1990 wird nicht gezeigt. Im dritten Raum wird unter dem Slogan "Recht auf Heimat" der Fall "Titina Louizidou gegen die Türkei" angeführt. Die Griechin hat vor dem Europäischen Gerichtshof eine Entschädigung für ihren Besitz in Nordzypern eingeklagt. Die preußische Treuhand sieht dies als Musterurteil.

Dennoch wird aber auch eines klar: Der Bund der Vertriebenen ist nicht von gestern. Bereits 2003 hat Erika Steinbach beteuert, dass "mit größtem Recht daran zu erinnern sei, dass es wegen des NS-Regimes zu den Vertreibungen kam". Der Kurator Wilfried Rogasch sagte am Tag der Eröffnung: "Hier geht es nicht um Revisionismus, auch nicht darum, die Opfer aufzurechnen." Im Teil der Ausstellung zur "Vertreibung der Juden aus Deutschland" steht, dass die Verfolgung und Vernichtung der Juden einen "in der Geschichte singulären Charakter" hat. Die konstruktive Kritik der Presse wird es der Stiftung erleichtern, die Schwachstellen zu beseitigen und sich gegen den Vorwurf des Ewiggestrigen immun zu machen.

Dass die Ausstellung ideologisch auf der Höhe der Zeit ist, merkt man im vierten Raum "Dialog und Versöhnung". Alle Sätze verströmen die Sehnsucht nach Frieden. Und der Stolz schwingt mit, dass die Deutschen so gut und vor allem besser als alle anderen aus ihrer Vergangenheit gelernt haben. Etwas Wichtiges hat auch nebenbei der polnische Kommentator Adam Krzeminski bemerkt: "Die Gründung des Staates Israel wird ausgespart."

Alle Vertriebenen haben irgendwann eine neue Heimat. So zeigt es die Schau. Die aus Deutschland nach Palästina geflüchteten Juden nicht. Den Grund dafür erfährt man ebenfalls im letzten Raum. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat hier eine große Tafel anbringen dürfen. Auf ihr stehen die "Völker", die "im 20. Jahrhundert vertrieben, verfolgt und entrechtet" wurden. Unter anderem sind dort die europäischen Juden, die Juden und die Deutschen aufgeführt. Und die Palästinenser. Wie gesagt, der Bund der Vertriebenen ist nicht von gestern.

Ausstellung "Erzwungene Wege". Kronprinzenpalais, Berlin. Bis 29. Oktober 2006

hagalil.com 28-08-2006

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