Von Debora Gutman
Die israelische Tangogemeinde hat Zuwachs bekommen. Neben Ricardo
Calvo unterrichtet jetzt auch sein Sohn, Bruno Calvo im "Querido". Im
Gegensatz zu seinem Vater, der eher den klassischen Stil vertritt,
unterrichtet er den jungen Stil des Tango Nuevo. Außerdem bringt er den
israelischen Tänzern die Samba/ Chaccarera nahe. Die Tangoschule ist aus dem
kleinen Überaum unter dem London Ministore in den Dekel Country Club
umgezogen und veranstaltet hier jeden zweiten Freitag im Monat eine große
Milonga.
Es gibt eine neue Milonga in Ramat Hasharon, "Mi Buenos Aires", der
Gastgeber ist Eco Arochas, vor ca. 8 Jahren aus Argentinien nach Israel
eingewandert. Alle sind zur Eröffnung einer weiteren neuen Milonga, die
einmal im Monat in Haifa stattfinden soll, eingeladen. Hannah und Moshe
unterrichten hier schon seit einiger Zeit. Jeden ersten Freitag und jeden
dritten Samstag im Monat ist Milonga im Lidor, Silvia lädt jeden Donnerstag
nach Jerusalem und jeden letzten Freitag im Monat nach Tel-Aviv zur Milonga
ein, Daniel veranstaltet nach wie vor eine hübsche intime Milonga jeden
letzten Samstag im Monat an einem bunt geschmückten Ort, an dem sonst
Bauchtanz gelehrt wird. Ein Tango-Paar hat geheiratet und ein anderes ein
Kind bekommen, leider ist auch ein Todesfall zu betrauern.
Alles in allem hat Israel eine lebendige Tangogemeinde mit Tänzern
jeglichen Alters und Nationalität. Viele russische Einwanderer finden hier
einen adäquaten Ausgleich zum nicht immer leichten israelischen Alltag, aber
auch gebürtige Israelis, Deutsche, Engländer, Franzosen und ein paar
Argentinier. Über den Tango-Verteiler und über die israelische Tangowebsite
www.geocities.com/isratango
bin ich schon vorab bestens informiert und freue mich, sie alle
wiederzusehen.
Wenn wir eine Milonga besuchen, müssen wir ausnahmsweise mal nicht an
einem Schomer vorbei, so einem Aufpasser, der im Zweifelsfall als erster
drauf geht, wenn wieder einer dieser irren Selbstmordattentäter beschlossen
hat, sein Heil darin zu suchen, die Welt um ein paar Juden zu erleichtern.
Und von diesen gibt es Viele! Fast täglich werden ein oder mehrere Anschläge
vereitelt. Davon bekommt der Tel-Aviv-Besucher sowenig mit, wie von dem
schleichenden Beginn eines heimtückischen Krieges an der Nordgrenze Israels.
Der vermeintliche Frieden mit dem libanesischen Nachbarn ist seit jeher sehr
fragil. Nach libanesischem Recht gilt der Kontakt nach Israel gar als
Gesetzesverbot! Auch vor Ausbruch der jüngsten kriegerischen
Auseinandersetzungen flogen regelmäßig Katjuschas aus dem Libanon über die
israelische Grenze. Jede Neubauwohnung in Israel ist also mit einem
Bunkerzimmer ausgestattet oder es gibt einen größeren Gemeinschaftsbunker im
Keller des Hauses. Hier lebt man routinemäßig mit gewissen
Sicherheitsvorkehrungen. Beim betreten eines Supermarktes oder eines
Restaurants öffne ich daher ganz automatisch meine Handtasche für den
Schomer und eigentlich ist jeder froh, daß er im Zweifelsfall nicht der
erste sein muß, der seinen Kopf hinhält.
Nirgendwo sonst, scheint mir, ist hingegen der Lebenswille und der
Erlebnishunger so groß wie in Tel-Aviv. Diese Stadt schläft nie, nicht mal
am Shabbat und an den Feiertagen. Rund um die Uhr kann man die notwendigsten
Dinge einkaufen oder etwas essen oder trinken. Zum entspannen lockt der
nahegelegene Sandstrand mit zahlreichen Kaffees und einer schönen
Strandpromenade. 9 von 12 Monaten im Jahr ist es warm und sonnig. Im Sommer
ist es bisweilen etwas drückend und schwül in der Stadt. Das Israel auch ein
religiöses Land ist, spürt man hier kaum. Inzwischen bekommt man vielerorts
sogar Schweinefleisch angeboten. Sushi gibt es in kosherer oder in nicht
kosherer Variante. Ein abwechslungsreiches Kulturprogramm in den Bereichen
Tanz, Theater, Konzert und Oper befriedigt die Bedürfnisse der
erlebnishungrigen Bürger jeden Alters und Herkunft.
Die israelische Gesellschaft ist äußerst heterogen. Die Integration der
Neueinwanderer funktioniert aber recht gut. Man interessiert sich
füreinander, man weiß vom anderen und hat auch in der Tangoszene keine Angst
vor privater Berührung. Das heißt also auch, dass jeder weiß, daß die
Mitbürger im Norden in Not sind und so ist es selbstverständlich, das Tag
für Tag mehr Einwohner aus dem Norden in der Stadt auftauchen. Sie sind zu
Besuch bei ihren Verwandten und Freunden und sie bekommen alle möglichen
Ermäßigungen und Gratis-Angebote. Alle wissen, dass das die Qual der direkt
vom Krieg bedrohten nur ein wenig mindert, aber es ist immerhin besser als
gar nichts.
In den ersten Tagen versuchen die Menschen, zur Arbeit in Haifa
zurückzukehren. Schließlich ist der Krieg nicht zuletzt auch eine
wirtschaftliche Bedrohung für alle Beteiligte. Nur allmählich, sehr langsam,
begreifen die Menschen, daß es immer ernster wird. Die Katjuschas fliegen zu
hunderten, schlagen im eigenen oder im Nachbarhaus ein, allmählich wird
Haifa zur Geisterstadt.
Dass die neue Milonga in Haifa nicht wird stattfinden können, wird nur allzu
schnell klar. Wir erfahren es über den e-mail-Verteiler. Stattdessen lädt
Eco außer der Reihe zu Mi Buenos Aires Querido ein. "Ante los momentos
dificiles que nos toca vivir, lo mejor es mantener vivo el espiritu y no
abandonar nuestras actividades cotidianas. Como por ejemplo "Bailamos un
buen Tanguito"... heißt es in seiner Einladung, kurz ausgedrückt, gerade in
schweren Zeiten soll man die guten Gewohnheiten nicht aufgeben!
Und wie recht er hat! Am 22. Juli herrscht eine ganz besondere Atmosphäre in
der Milonga. Die militärische Aktion an der Nordgrenze des Landes sollte
eigentlich nach 3 Tagen beendet sein und die Bezeichnung "Krieg" wird dafür
von Anfang nicht verwendet, aber so langsam schleicht sich der Zweifel in
die Gemüter, ob die Bedrohung nicht größer als vermutet sein könnte. Noch
sind die Söhne zu Hause, bzw. in den Ferien, denn auch in Israel ist
Sommerferienzeit. Nur eine kleine Truppe Berufssoldaten ist bisher im
Einsatz. Aber Nasrallah droht mit Bomben auf Tel-Aviv und jeder, der wissen
möchte, wie unangenehm so eine Drohung ist, dem sei angeraten, eine
Landkarte zur Hand zu nehmen, den Finger auf den Punkt zu setzen, der die
lebendigste Stadt Israels darstellt und nachzufühlen, wie groß der Abstand
zu den doch ziemlich feindselig gestimmten Nachbarn ist - nicht nur im
Norden!
Genau das habe ich zusammen mit meiner Tochter getan. Die Strecke zwischen
den beiden Städten, für die man im dichten Verkehr leicht 2 Stunden braucht,
ist gerade mal 80 km lang. Ich habe schnell verstanden, das ich in Tel-Aviv
nicht würde bleiben können, sollte der Konflikt sich z. B. womöglich auf
Syrien ausweiten......
Das alles erhöht die emotionale Spannung in der Milonga am 22. August. Ich
erfahre intensivste herzlichste Umarmungen und werde von vielen liebevoll
befragt. Alle wissen, daß ich aus Berlin angereist bin und die Wahl habe,
jederzeit dorthin in die vermeintliche Sicherheit zurückzukehren. Ich sage,
daß es mir gut geht und das ich mich (noch) nicht bedroht fühle und erwidere
mit Freuden die herzlichen Worte und die guten Gefühle. Es wird einer meiner
schönsten Tangoabende.
Die Autorin unterrichtet Tango Argentino in Berlin und plant eine
Israel-Tango-Reise im Juni 2007. Informationen hierüber bald unter
www.kreativer-bypass.de und
jederzeit unter
debora.gutman@goldmail.de