Gefährliche Illusion:
Diskussion um die Strategie Israels
Von Stefan Vogt
Jungle World 33 v.
16.08.2006
Am Wochenende, bereits vor der Verabschiedung der
Libanon-Resolution des UN-Sicherheitsrates, begann sich die Stimmung in
Israel zu ändern. Bis dahin gab es einen Konsens darüber, dass der Krieg im
Libanon richtig und gerechtfertigt sei. Inzwischen wird die Kritik am Krieg
und an der Kriegführung immer lauter. In der liberalen Zeitung Ha’aretz
wurde am Freitag sogar der Rücktritt des Ministerpräsidenten Ehud Olmert
gefordert.
Tatsächlich ist die Bilanz dieses Krieges katastrophal. Die israelische
Armee konnte die Fähigkeit der Hizbollah, Raketen auf Israel abzufeuern,
nicht nennenswert beeinträchtigen. Inzwischen sind über 100 Israelis und
fast 1000 Libanesen ums Leben gekommen, von den wirtschaftlichen Schäden in
beiden Ländern nicht zu reden. Die Popularität der Hizbollah im Libanon, vor
dem Krieg auf dem Tiefpunkt, ist immens gewachsen, während Israel – entgegen
den Tatsachen, aber durch die Art der Kriegsführung scheinbar bestätigt – im
Ausland überwiegend als Aggressor gesehen wird.
Formal wird es in diesem Krieg keinen Sieger und keinen Besiegten geben,
doch Israel wird der eigentliche Verlierer sein. Nicht nur konnte das
ursprünglich genannte Kriegsziel, die Zerschlagung oder zumindest
Entwaffnung der Hizbollah, nicht erreicht werden. Die Sicherheitslage hat
sich für Israel sogar verschlechtert. Der Krieg und sein Ergebnis zeigen
eines ganz deutlich: Das Konzept einer einseitigen Lösung des
Nahost-Konflikts ist nicht nur gescheitert, es ist eine gefährliche
Illusion.
Ohne eine Verständigung mit seinen Nachbarn, mit dem Libanon, mit Syrien und
insbesondere mit den Palästinensern, ist für Israel eine Lösung des
Konflikts und eine einigermaßen sichere Zukunft nicht zu erreichen. Der
Rückzug aus dem Gaza-Streifen hat dieses Gebiet der Herrschaft der Hamas und
anderer bewaffneter Banden ausgeliefert. Er ist der Höhepunkt einer Politik,
die jede Unterstützung gemäßigter Kräfte auf Seiten der Palästinenser
vermeidet. Diese Politik trug nicht unwesentlich zum Wahlsieg der Hamas und
zum Zerfall der Palästinensischen Autonomiebehörde bei. Der Krieg im Libanon
folgte derselben Logik: Die Aggression der Hizbollah sollte nicht mit einer
Stärkung der antisyrischen und prowestlichen Kräfte im Libanon beantwortet
werden, sondern mit militärischen Mitteln.
Die Vertreter des Unilateralismus berufen sich auf das Postulat der
israelischen und zuvor bereits der zionistischen Politik, dass das Schicksal
der Juden und des jüdischen Staates nicht vom guten Willen anderer abhängen
darf. Dieses Postulat ist nur zu gerechtfertigt. Der Unilateralismus schafft
aber gerade eine solche Abhängigkeit, denn er überlässt die Initiative
denjenigen, die den Untergang Israels wünschen. Deshalb konnten bisher die
Islamisten nach Gutdünken darüber entscheiden, wann eine Phase der
Entspannung im Nahost-Konflikt enden sollte. Ein Terroranschlag genügte, um
Israel dazu zu nötigen, seine militärische Handlungsfähigkeit unter Beweis
zu stellen. Der Ausbruch des Libanon-Kriegs folgte genau diesem Muster.
Eine umfassende Verhandlungsoffensive würde die Initiative wieder in die
Hände der Israelis und derjenigen Kräfte in den arabischen Gesellschaften
zurückgeben, die eine friedliche Lösung des Konflikts und eine Eindämmung
des Islamismus wünschen. Eine solche Lösung würde zwar nicht verhindern,
dass Israel und seine Bevölkerung weiterhin vom antisemitischen Wahn der
Islamisten bedroht wären. Sie würde aber eine ungleich bessere
Ausgangsposition dafür schaffen, dieser Bedrohung wirksam zu begegnen.
hagalil.com
17-08-2006 |