Aufregung in Delmenhorst:
Drei Sterne für Nazis
Der rechtsextreme Anwalt Jürgen
Rieger will dort ein leer stehendes Hotel kaufen.
Von Andreas Speit
Jungle World 34 v.
23.08.2006
Nur zu gern möchte Jürgen Rieger das "Hotel am Stadtpark"
erwerben. In den vergangenen Wochen erklärte der Neonazianwalt aus Hamburg
wiederholt sein Interesse an der Immobilie in Delmenhorst. "Es besteht ein
großer Bedarf an Räumen für rechte Gruppen", sagte er und gab sich
optimistisch: "Ich bin mir sicher, dass im Herbst die ersten Seminare
stattfinden können."
Anfang Juli hatte Rieger sich als Bevollmächtigter der
"Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited" bei der Baubehörde über
die Nutzungsmöglichkeiten des Gebäudes erkundigt. Standardmäßig wurden die
baurechtlichen Anfragen beschieden. Der Name des bekannten Rechtsextremisten
fiel der Behörde nicht auf. Beim Pressefest der NPD-Zeitung Deutsche Stimme
am 5. August hob er hervor: "Ich lasse das als ganz normales Hotel
weiterlaufen." NPD-Parteitage, Schulungen und Tagungen könne er sich
vorstellen. Bei der gleichen Gelegenheit hatte er auch geäußert, dass
Flüchtlinge so lange "eingesperrt und ausgehungert" werden sollten, bis sie
ihr Herkunftsland verrieten, und dass "die Neger" einen
"Intelligenzquotienten von 85 Prozent" hätten – "irgendwo zwischen
Schwachsinn und normal begabt".
Riegers Traum vom Hotel könnte jedoch seit dem Wochenende vorbei sein. Neue
Interessenten sollen sich beim Eigentümer vorgestellt haben.
Über 14 Monate stand das ehemals "erste Haus am Platze" leer. Es bietet 100
Zimmer nahe dem Zentrum der niedersächsischen Stadt, gleich am Park. Im Jahr
1992 kaufte Günter Mergel das Hotel als "Altervorsorge" für angeblich 6,5
Millionen Mark. Aus der Altersvorsorge wurde nichts, der 64jährige
Unternehmer meldete 2005 Insolvenz an und beschwerte sich, die
Stadtverwaltung habe ihn nicht unterstützt. Vorangegangen waren diverse
Prozesse gegen den "Lärmterror" der nahe gelegenen Veranstaltungsorte
"Delmeburg" und "Delmehalle" mit Platz für 3 000 Besucher. Türkische
Hochzeiten sollen seine Gäste gestört und ein Volksfest, der "Kramermarkt",
soll regelmäßig die Zufahrt zum Hotel versperrt haben. "Kein Schwein hat
sich um mich gekümmert", schimpfte er in der taz.
Erkundigt man sich in der Bevölkerung, klingt das etwas anders.
Missmanagement habe zum Niedergang des ehemaligen Drei-Sterne-Hotels
geführt. "Keine zeitgemäße Einrichtung, kantinenartige Verköstigung und
lauwarmer Kaffee", berichten zwei Passanten. Vom "Rosenkrieg zwischen der
Stadt und dem Hotelbesitzer" spricht ein anderer Fußgänger.
Als Anfang August bekannt wurde, dass Rieger 3,4 Millionen Euro für das
marode Hotel geboten hatte, sagte Mergel der Presse: "Ich bin ein armer
Mann, ich verkaufe an jeden." Nur mit der Stadtverwaltung wollte er keine
Verhandlungen führen, die den Zeitwert des Hotels unlängst auf 1,5 Millionen
Euro geschätzt hatte.
Die Nachricht erschütterte die Stadt mitten im Kommunalwahlkampf. "Die
Auswirkungen wären nicht absehbar", sagte Oberbürgermeister Carsten
Schwettmann (CDU). Die Polizei warnte vor den "unausweichlichen
Konfrontationen, wenn Rechte das Hotel nutzen". Ein Bündnis aus
Gewerkschaften, Parteien, Kirchen, Wirtschaft und Initiativen entstand in
dem Ort mit knapp 80 000 Einwohnern, mit dem Ziel, den Kauf zu verhindern,
notfalls auch mit einem "Abwehrkauf". Fast 2 000 Menschen kamen zu einer
Bürgerversammlung; Demonstrationen gegen die "Nazischule" folgten. Über
2 000 Menschen beteiligten sich an einer Unterschriftensammlung gegen das
"Nazi-Hotel". Eine Bürgerinitiative "Für Delmenhorst" richtete ein
Treuhandkonto ein, Schlachter boten Bratwürste gegen rechts zum Kauf an,
Ökobauern Biotomaten gegen rechts. Bis zum Wochenende gingen auf dem Konto
801 142 Euro ein. Die Stadt versuchte derweil, sich ein Vorkaufsrecht über
einen Sanierungsbeschluss der Innenstadt zu sichern.
Rieger gab sich unbeeindruckt. Dem Hamburger Abendblatt sagte er: "Die Stadt
kann sich das Hotel abschminken. Sie sollen endlich aufhören, uns Knüppel
zwischen die Beine zu legen." Weniger gelassen angesichts des anhaltenden
Protests blieb Mergel. "Ich habe die Schnauze voll", sagte er zu Radio
Bremen und kündigte an, Rieger das Hotel schenken zu wollen. Die einzige
Bedingung sei nach Angabe seiner Firma "Mergel Marketing Ltd.", dass die
Wilhelm-Tietjen-Stiftung, die rechtlich bloß eine Firma mit einer
Briefkastenadresse in London ist, die Immobilie samt den Hypotheken
übernehme.
Mit dieser "gemischten Schenkung" sollte das Vorkaufsrecht der Stadt
unterlaufen werden. Da der Wert des Objekts die Hypotheken übersteige, sieht
Rieger darin kein Problem. Die Stadt kündigte an zu prüfen, ob eine
Scheinschenkung vorliege. Diese Überprüfung findet indes nicht mehr statt,
um keine weitere Missstimmung aufkommen zu lassen. Denn zum Wochenende hin
gelang es einem Vermittler, Stadt und Hotelier einander erstmals wieder
näher zu bringen. Der Oberbürgermeister bekundete schriftlich das Interesse
der Stadt am Kauf der Immobilie. Gemeinsam werde man ein neues Wertgutachten
für sie erstellen lassen.
Aber auch zwei weitere potenzielle Käufer sollen sich gemeldet haben. Am
Freitag will sich Mergel mit dem "Vertreter eines Fonds" getroffen haben.
Für diese Woche sind Gespräche mit dem englischen Investor "Cardinal Asset"
geplant, der im Frühjahr den Bremer "Space Park" für 45 Millionen Euro
kaufte, der einst 600 Millionen Euro gekostet hatte.
Über ein Jahr lang wollte Mergel das Hotel verkaufen, aber erst als Rieger
sein Angebot unterbreitete, fanden sich auch andere Verhandlungspartner.
Hilft ihm der Rechtsextremist beim Abstoßen des maroden Gebäudes? Ähnliches
hätte man in Grafenwöhr vermuten können, als die Stadt eine
heruntergekommene Tennishalle, an der die NPD Interesse bekundet hatte, für
gut eine halbe Million Euro kaufte. Die Stadt Cham erwarb für eine
sechsstellige Summe einen abbruchreifen Supermarkt, ebenfalls weil die NPD
angeblich einen Kauf erwogen hatte.
Bisher hatte Rieger jedoch immer wirkliches Interesse an Immobilien für
seine politischen Ideen – und auch das nötige Kapital. In jüngster
Vergangenheit kaufte er das "Schützenhaus" im thüringischen Pößneck und den
"Heisenhof" im niedersächsischen Dörverden. Was das Hotel in Delmenhorst
angeht, verkündete er, nach wie vor mit einem baldigen Vertragsabschluss zu
rechnen. So oder so: Gerd Renker von der Bürgerinitiative "Für Delmenhorst"
ist der Meinung: "Mergel pokert."
hagalil.com 29-08-2006 |