Operation "Richtungswechsel":
Stotternd, jedoch gerechtfertigt
Auszüge aus einem Kommentar von Yoel Marcus, Ha'aretz,
04.08.2006
Übersetzung Daniela Marcus
Die massive Unterstützung der israelischen Öffentlichkeit
für die Operation "Richtungswechsel" erinnert mich an den Witz über die
Opernsängerin, die endlos angefeuert und beklatscht wird bis jemand im
Publikum aufsteht und sagt: "Wir werden Sie nicht von der Bühne lassen,
bevor Sie nicht gelernt haben zu singen." Die meisten Israelis unterstützen
weiterhin die Regierung und die Armee trotz der Tatsache, dass Israel von
Metulla bis Haifa täglich von 100 bis 200 Raketen getroffen wird. Dieser
Alptraum ist schlimmer als das, was wir uns vorgestellt haben.
Die israelische Öffentlichkeit ist bis ins Herz hinein
patriotisch, doch sie ist auch wankelmütig. Eines Morgens mag sie plötzlich
aufstehen und einige unangenehme Fragen im Bereich der Kosten-Nutzen-Analyse
stellen. Sind es die Ergebnisse dieser, von der Regierung initiierten
Operation wert, dass Kiryat Shmonah zu einer Parkfläche eingeebnet wurde?
Rechtfertigen sie es, das schöne Galiläa in Flammen aufgehen zu sehen? Und
was ist mit der Tatsache, dass eineinhalb Millionen Bürger Israels zu
Flüchtlingen im eigenen Land werden und sich in Luftschutzräumen
einschließen müssen? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben nur Kommentatoren in
den Medien damit begonnen, ein saures Gesicht zu machen. Doch es wird nicht
viel brauchen, um den Applaus in Buh-Rufe zu verwandeln. Der Libanon hat im
kollektiven israelischen Gedächtnis keinen guten Ruf.
Was für ein Symbol, dass der Generalstabschef ausgerechnet am
Tag des intensivsten Kampfes starke Bauchschmerzen bekam und eilig ins
Krankenhaus gebracht werden musste. Er ist nicht der einzige hier in der
Gegend, der Bauchschmerzen hat. Diese gesamte Operation, angefangen von der
Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden bis dahin, wie diese
ausgeführt werden, wirft einige unbequeme Fragen über die Urteilsfähigkeit
unserer Politiker und Generäle auf.
Seit Israels Rückzug aus dem Libanon vor sechs Jahren, hat sich die
Hisbollah wie verrückt Waffen besorgt und wurde so eine Frontlinie für den
Iran und eine strategische Bedrohung für Israel. Ihre Männer trainierten auf
Landkarten von Israel, die in den Sand gezeichnet wurden, und hatten dabei
das iranische Mantra von Israels Zerstörung im Ohr und auf ihren Fahnen. Die
Frage ist, was Israels Regierungen in den letzten sechs Jahren getan haben,
um mit dieser Gefahr, die vor ihren Augen Gestalt annahm, umzugehen?
Die Hisbollah saß genau an unserer Grenze –nah genug, um das Weiße in ihren
Augen zu sehen-, entführte Soldaten und übte eine Art von Provokation aus,
die Israel dahin brachte, über Gefangenenaustausche zu verhandeln. Diese
Tatsache wurde als Schwäche interpretiert. Israel war unverzeihlich
nachlässig, als es der Hisbollah erlaubte, sich dermaßen zu vergrößern, sich
zu verschanzen und ein Waffenarsenal aufzubauen.
Die Regierungen von Israel haben anscheinend nicht damit gerechnet, dass wir
uns eines schönen Tages in einem frontalen Krieg mit dem gesamten Südlibanon
befinden würden. Warum sonst war die Heimatfront so wenig auf diesen Krieg
vorbereitet? Warum sonst gab es keine Einschätzung darüber, wie resolut die
Hisbollah in diesem Kampf sein würde? Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch
liege, doch dies scheint mir der erste Krieg zu sein, in dem wir bislang
keine arabischen Kriegsgefangenen mit verbundenen Augen und gefesselten
Händen gesehen haben. Wir legen uns hier mit Soldaten an, die dahingehend
trainiert wurden, bis zum Tod zu kämpfen. (…)
Der Hisbollah-Angriff rechtfertigt eine harte Reaktion. Die Frage ist,
welches die Ziele sind, nachdem das Kämpfen Kriegsausmaße annahm. (…)
Die Armee wurde in Stufen aktiviert, vielleicht deshalb, weil unser
politisch links stehender Verteidigungsminister bezüglich einer umfassenden
Landoffensive gezögert hat, oder vielleicht auch deshalb, weil die Armee
dachte, die Arbeit könnte von der Luftwaffe getan werden. Mehr als zwei
Wochen vergingen, bevor die Reservisten mobilisiert wurden und eine massive
Bodentruppe entsandt wurde, um eine sterile Zone zu schaffen, die breit
genug ist, um am Tag eines Waffenstillstandes die Fackel an eine
multinationale Truppe in Zusammenarbeit mit der libanesischen Armee
übergeben zu können.
Niemand spricht von Sieg. Doch bei all der Kritik von den Medien, den
Kommentatoren und Militärexperten könnte es sein, dass wir nicht genügend
anerkennen, wie schwer die Hisbollah getroffen wurde und was dies auf lange
Sicht für die Schwächung der Frontlinie des Iran gegen Israel bedeutet.
Dieser Krieg wird auf stotternde Weise geführt, doch für uns bleibt er
dennoch ein gerechtfertigter Krieg, solange wir uns nicht in die tödlichen
Sümpfe des Libanon ziehen lassen, sondern ihn so schnell wie möglich beenden
und die Oberhand behalten.
hagalil.com 04-08-2006 |