Günstige Gelegenheit:
Israel als Chiffre
Der Krieg Israels gegen die Hizbollah ist
für die Rechtsextremen ein willkommener Anlass, ihren Hass auf Juden
auszuleben.
Von Jan Langehein
Jungle World
31 v. 02.08.2006
Eine Mischung aus Überraschung und Bestätigung dürfte der
Vorsitzende der NPD, Udo Voigt, empfunden haben, als er kürzlich zusammen
mit einigen Kameraden in Verden von der Polizei festgenommen wurde. Er hatte
an einer Kundgebung unter dem Motto "Nein zu Multikulti" teilgenommen und
danach, weil gerade der Krieg Israels gegen die Hizbollah begonnen hatte und
die Gelegenheit günstig schien, einen Sprechchor angestimmt: "Israel –
internationale Völkermordzentrale!" Das brachte ihm den Vorwurf der
Volksverhetzung ein.
Überrascht haben dürfte ihn die Festnahme, weil die Rede von der
Völkermordzentrale, wahlweise auch mit den USA als Bösewicht, seit
Jahrzehnten zum Standardrepertoire linker, antiimperialistischer
Demonstrationen gehört, ohne dass dies in aller Regel juristische
Konsequenzen nach sich ziehen würde. Und bestätigt gefühlt haben dürfte er
sich, weil im Weltbild aller Nachkriegsnazis die Bundesrepublik kein im
eigentlichen Sinne "deutscher Staat" ist, sondern ein Vasall der "jüdisch
beherrschten" Weltmacht USA, des "judäo-amerikanischen Imperiums", wie der
ehemalige Chefideologe der NPD, Horst Mahler, sagt. Als Voigt abgeführt
wurde, gab er sich folgerichtig entrüstet. "In der BRD werden jetzt wohl
alle Menschen eingesperrt, die gegen die Kriegstätigkeiten des Staates
Israel protestieren", sagte er.
Als triebe die NPD nichts anderes um als die Sorge um die libanesische
Bevölkerung, ruft der Pressesprecher der NPD, Klaus Beier, die Deutschen
auf, nicht der "Systempresse" zu vertrauen, sondern sich lieber aus
neutralen Medien zu informieren: "Tausende Zivilisten werden von Israelis im
Libanon verwundet oder getötet. Die Infrastruktur Beiruts wird zerstört.
Bilder davon kommen in den deutschen Medien kaum vor. Der blinde Hass der
israelischen Soldaten und ihre Terrorangriffe werden verniedlicht."
"Unzensiert" könne man die Wahrheit über den israelischen Krieg aber auf
arabischen Seiten im "Weltnetz" erfahren, meinte er weiter. Dort könne man
sich ein "objektives Bild" über die "israelischen Kriegsverbrechen" machen.
Wie für deutsche Nazis ein "objektives Bild" israelischer Politik und
Kriegsführung aussieht, lässt sich unter anderem bei erwähntem Horst Mahler
nachlesen. Er griff in einem offenen Brief an Daniel Goldhagen auf religiöse
Mythen zurück und brachte in einem einzigen Satz vom christlichen
Antijudaismus bis zum Antizionismus in modernster Form alles unter, was
Juden an Ressentiments so treffen kann: "Wie kann ein Gott irgendwelchen
Landräubern, die sich ihm als Völkermörder andienen, massenhaft Menschen zur
Schlachtung hingeben? Ist nur der Mensch, der zu Jahwe betet – und sind die
anderen nur Schlachtvieh, die um ihres anderen Glaubens willen einen
grausamen Tod sterben müssen?"
Selbstverständlich geht es weder Beier noch Mahler um die Opfer unter der
libanesischen Zivilbevölkerung oder um andere, die bei Kämpfen mit den
Israelis sterben; es geht ihnen darum, ihren Hass auf Israel und die Juden
auszuleben. Jedes Mal, wenn Israel im Nahen Osten gewaltsam gegen seine
Feinde vorgeht, schlägt die Stunde der antizionistischen Propaganda, und im
Antizionismus ist der Antisemitismus, wie Jean Améry einmal schrieb,
enthalten wie das Gewitter in der Wolke.
Der konkrete israelische Angriff und möglicherweise unschuldige Opfer sind
den Antizionisten nicht der Grund, Israel zu kritisieren, sie dienen nur als
Mittel, den vorgeblich mörderischen, imperialistischen Charakter des
jüdischen Staates in möglichst grellen Farben zu illustrieren. Nach
Auschwitz ist der Hass auf Israel zur am häufigsten anzutreffenden Spielart
des modernen Antisemitismus geworden.
Weil offene Hetze gegen Juden nach dem Holocaust diskreditiert ist,
projizieren die Antizionisten ihre Ressentiments nicht mehr unmittelbar auf
die Juden selbst, sondern auf deren Staat. Israel wird zum "Juden unter den
Staaten" gemacht. In der Praxis verschwimmt die Differenz zwischen "Jude"
und "Zionist", die Antizionisten in der Theorie noch vornehmen mögen. Jeder
Jude ist in ihren Augen Zionist, solange er nicht als antizionistischer
Agitator durch die Welt läuft.
So beteiligten sich deutsche Linksradikale bei der Flugzeugentführung von
Entebbe im Jahr 1976 auch daran, die jüdischen Passagiere von nicht
jüdischen zu selektieren und zu Kombattanten zu erklären, während sie
gleichzeitig jeden Vorwurf des Antisemitismus weit von sich weisen würden.
Mögen sich linke Antiimperialisten nicht einmal bewusst sein, dass ihre
"Israelkritik" einen letztlich antisemitischen Charakter hat, wissen die
Neonazis das sehr wohl. Ihnen dient Israel als Chiffre: Die Adressaten
wissen, um wen es eigentlich geht, wenn die NPD gegen Israel hetzt,
gleichzeitig lässt sich eine Anklage gegen Volksverhetzung umgehen, wenn man
das Wort "Jude" nicht in den Mund nimmt – die oben erwähnte Ausnahme
bestätigt die Regel.
Den Hass auf die Juden auch auf ihren Staat anzuwenden, ist obendrein schon
ein sehr altes Propagandainstrument der Nazis – viel älter noch als Israel
selbst. Bereits in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts agitierte
die NSDAP gegen die junge Staatsgründungsbewegung der Zionisten. Klassisch
antisemitisch hieß es schon im Jahr 1921 bei Alfred Rosenberg: "Zionismus
ist ein Mittel für ehrgeizige Spekulanten, sich ein neues Aufmarschgebiet
für Weltbewucherung zu schaffen." Und Adolf Hitler schrieb in "Mein Kampf",
die Juden dächten gar nicht daran, in Palästina einen jüdischen Staat
aufzubauen, "sie wünschen nur eine mit eigenen Hoheitsrechten ausgestattete
Organisationszentrale ihrer internationalen Weltgaunerei".
Während des Zweiten Weltkriegs unterstützte die Reichsregierung den Kampf
Amin al-Husseinis in Jerusalem und sein Ziel, die Zionisten ins Meer zu
treiben. Heute lädt die iranische Regierung Horst Mahler zu einer Konferenz
zum Thema Holocaust ein – außer Reichweite staatlicher Repressalien, die
Deutschland ausübe, weil es unter zionistischer Herrschaft stehe.
hagalil.com 03-08-2006 |