Olmerts Fehler:
In der Falle der Hisbollah
In Israels Gesellschaft schwindet die anfangs
große Unterstützung für die Offensive
Von Thorsten Schmitz, Süddeutsche Zeitung v. 12.08.2006
Tel Aviv - Fast fünf Wochen nach Beginn der
Libanon-Offensive sind zunehmend kritische Töne in der israelischen
Gesellschaft zu vernehmen. Zu Beginn der Militäroperation lautete der Kanon
im ganzen Land, quer durch fast alle gesellschaftlichen und politischen
Schichten: Dieser Krieg sei gerecht, denn die schiitische Hisbollah habe
angegriffen. Selbst die Friedensgruppe "Peace now" war für den Krieg. Seit
dem Beschluss des Kabinetts indes, die Bodenoffensive auszuweiten, verlangt
"Peace now" ein Ende der Offensive. Zusehends bröckelt es an der
Einheitsfront.
Am Donnerstag appellierten die drei Schriftsteller Amos Oz,
David Grossman und A.B. Jehoschua auf einer Pressekonferenz an die Regierung
in Jerusalem, den Krieg zu beenden und den Sieben-Punkte-Plan der
libanesischen Regierung zu akzeptieren. Grossman sagte, Regierungschef
Olmert solle nicht "in die Falle der Hisbollah tappen, die unsere Soldaten
immer tiefer in den Sumpf des Libanon hineinziehen will". Eine Fortsetzung
der Militäroperation werde zum Sturz der libanesischen Regierung führen.
Dann würde die Hisbollah das Zepter in Beirut übernehmen.
Auch in Umfragen ist das Ansehen der israelischen Regierung
stark gesunken. Vor fünf Monaten noch war sie mit dem Versprechen
angetreten, den wirtschaftlichen Aufschwung fortzusetzen und mit
Siedlungsauflösungen die Abnabelung von den Palästinensern im Westjordanland
einzuleiten. Stattdessen führen Premierminister Ehud Olmert und
Verteidigungsminister Amir Peretz nach der Verschleppung zweier israelischer
Soldaten in den Libanon einen Krieg, aus dem Israel womöglich nicht als
Sieger hervorgehen wird. In einer Umfrage der Tageszeitung Haaretz, deren
Ergebnisse am Freitag veröffentlicht wurden, fühlten sich nur noch 48
Prozent der 570 befragten Israelis zufrieden mit Olmerts Amtshandlung - vor
Beginn des Krieges waren es 75 Prozent gewesen. Peretz genießt nur noch das
Vertrauen von 37 Prozent der Befragten - gegenüber 65 Prozent von vor fünf
Wochen. Der Abstieg hat sehr viel mit dem Verlauf des Krieges zu tun.
Immer lauter werden Stimmen, Olmert und Peretz, beide in
Kriegskunst unerfahrene Zivilisten, hätten die israelischen Truppen
überstürzt in die Schlacht geschickt. Dass die israelische Armee nach fünf
Wochen Offensive noch immer nicht den Beschuss Nordisraels durch Raketen der
Hisbollah verhindert hat, wird den beiden ebenso angekreidet wie ihre sich
ständig widersprechenden Äußerungen. Mal heißt es, man wolle die Hisbollah
nur mittels der Luftwaffe eliminieren, jetzt soll sie durch Bodentruppen in
den Norden Libanons abgedrängt werden. Dann gab es unterschiedliche Angaben
zur Breite der Sicherheitszone. Reservisten, die aus der Kampfzone kommen,
berichteten der Süddeutschen Zeitung, es gebe keine klaren Befehle. Einer
sagte, seine Einheit habe eine ganze Woche in Nordisrael auf Einsatz
gewartet, "alle Viertelstunde habe es neue Ansagen" gegeben. Die Zeit habe
man sich mit Kartenspielen vertrieben, nicht mit Training. Auch habe es zu
wenig Essen gegeben. Viele Soldaten seien zum ersten Mal im Libanon im
Einsatz und in der Konfrontation mit der Hisbollah-Guerilla im Nachteil.
Olmerts Fehler
Die Zeitung Haaretz, die bislang wie die überwältigende
Mehrheit der Israelis den Krieg unterstützt hatte, setzte sich am Freitag
mit einem unmissverständlichen Kommentar an die Spitze der Kritiker. Sie
forderte: "Olmert muss gehen." Der Premier könne nicht einen Sieg
versprechen, dann eine erniedrigende Niederlage bescheren und gleichzeitig
an der Macht bleiben. "Wir können nicht 120 Israelis begraben, eine Million
Menschen in Bunkern sitzen lassen, das Abschreckungspotential reduzieren,
uns durch diesen Krieg einem nächsten näherbringen und dann Olmert sagen
hören: Hm, ich habe einen Fehler gemacht." Olmert habe keinen Fehler
ausgelassen. Er habe blind den Empfehlungen der Armeeführung gehorcht, er
habe viel zu spät die Bodenoffensive gestartet. Darüber hinaus habe er die
die Heimatfront vergessen. Gemeint sind Hunderttausende Israelis aus dem
Norden, die in den vergangenen Wochen nicht in den Süden fliehen konnten,
sei es, weil sie keine Verwandten dort haben oder kein Auto oder kein Geld.
Tatsächlich haben private Hilfsorganisationen wie "Lated", "Meir Panim" oder
"Natal" weitgehend die Versorgung der Bevölkerung übernommen. Zusätzlich zum
"Heimatfront-Kommando", das eigentlich in Kriegszeiten dafür zuständig ist,
sind mehrere Tausend Mitglieder der privaten Hilfsorganisationen in den
Bunkern unterwegs und versorgen Alte und Kranke.
Kritik muss sich Olmert auch von den Geschäftsleuten in
Nordisrael anhören. Fast alle haben ihre Läden geschlossen, Hotels und
private Zimmer stehen leer. Die Besitzer fürchten den Bankrott und fordern
finanziellen Ersatz von der Regierung - die bislang nur Absichtserklärungen
abgegeben hat. Stattdessen gewähren Banken Israelis aus dem Norden zinslose
Kredite, Supermärkte verkaufen Lebensmittel zum Einkaufspreis, und Rockstars
wie Aviv Geffen spielen im Neonlicht der Bunker.
Mit freundlicher Genehmigung der
Süddeutsche Zeitung und der
DIZ München
GmbH
hagalil.com 13-08-2006 |