Flächendeckend:
Testfall Neonazi-Wahl
Sie sind jung, militant, neu
in der Partei: Auf der NPD-Landesliste stehen Neonazis ganz oben
Von Astrid Geisler und Andreas Speit
Der Vergleich hat es in sich: In gerade einmal 32
von 60 Wahlkreisen sei seine Partei vor zwei Jahren zur Landtagswahl
in Sachsen angetreten, gab NPD-Parteivize Holger Apfel dieser Tage
zu bedenken. Zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 17.
September aber werde man erstmals flächendeckend mit eigenen
Kandidaten in allen Wahlkreisen präsent sein. Die
unmissverständliche Botschaft: Nach ihrem Einzug in den Dresdener
Landtag kämpft die NPD mit aller Kraft um eigene Büros im Schweriner
Schloss. 400.000 Euro will die NPD nach eigenen Angaben in den
Wahlkampf stecken.
Ihre Aussichten sind besser als bei den vergangenen Landtagswahlen.
Denn die Wahlbeteiligung droht einzubrechen. Bisher fand die Wahl in
Mecklenburg-Vorpommern zeitgleich mit der zugkräftigen
Bundestagswahl statt. Nun könnten viele von der Landespolitik
gelangweilte oder enttäuschte Wähler zu Hause bleiben, während die
NPD-Klientel ihre Chance nutzt. Zumal die Rechtsextremen in einigen
Regionen bereits über eine Stammwählerschaft verfügen, wie das
Mobile Beratungsteam Schwerin jüngst warnte.
Ein Blick auf die Kandidaten der Partei zeigt, wie sich die NPD
verspricht, die Bürger zu locken: mit Rechtsextremen von nebenan,
Typus hilfsbereiter Nachbar. Unter den Möchtegernvolksvertretern
sind keine prominenten Anzugträger aus der Bundespartei, dafür
reihenweise junge militante Neonazis aus der Region. Wenn der
Verfassungsschutzbericht des Bundeslandes für 2005 von einer
"Instrumentalisierung der Partei durch die Neonazis" spricht,
illustrieren die Personalvorschläge für den Landtag, was das heißt:
Die NPD ist in Mecklenburg-Vorpommern zur wichtigsten öffentlichen
Aktionsplattform der Kameradschaftsszene geworden. Ganz offen preist
der NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs die Bedeutung der militanten
Szene für die Arbeit seiner Partei: Dass die NPD im Nordosten so
präsent sei, verdanke sie auch "der kommunalpolitischen Verankerung
vor Ort und dem Schulterschluss mit den Freien Kräften", sagte er
dem NPD-Blatt Deutsche Stimme.
So liest sich das Aufgebot für die Landtagswahl wie ein Who's who
der Kameradschaftsszene. Allein auf den ersten zehn Plätzen der
Landesliste finden sich mit Tino Müller, Birger Lüssow, Michael
Gielnik und Enrico Hamisch vier bekannte Neonazis. Sie könnten
besonders die junge Wählerschaft ansprechen.
Für die älteren Semester dürften Herrschaften wie der 53-jährige
Pastörs vertrauenserweckender sein, der in Lübtheen ein
Juweliergeschäft betreibt. Der NPD-Kader - stets höflich und
zuvorkommend - ist selbst beim Stammtisch der
Mittelstandsunternehmer wohlgelitten. Breitere Anerkennung in der
Gegend erwarb er sich als Gründungsmitglied der Bürgerinitiative
"Braunkohle-Nein".
Ähnlich freundlich präsentiert sich der NPD-Landeschef Stefan
Köster, der mit seiner Familie im nahen Paetow lebt und im Kreistag
von Ludwigslust sitzt. Wer ihn auf der Straße trifft, mag kaum
glauben, dass der Versicherungskaufmann gerade wegen
gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde.
Eng arbeitet er mit dem NPD-Kreischef Ludwigslust, Andreas Theißen,
zusammen. Theißen war Mitglied der inzwischen verbotenen "Wiking
Jugend". Nun tritt er als Direktkandidat an. Mit Frau und fünf
Kindern lebt er in Langenheide. Anwohner beobachten immer wieder
völkische Lager mit Kindern.
Die Arbeit der NPD in dieser Region zeigt: Die Rechtsextremen sind
in Teilen des Landes längst lokal verankert. Das gilt auch für die
äußerst radikalen Neonaziführer. In den Dörfern Ostvorpommerns oder
im Uecker-Randow-Kreis arbeiten Kameradschaftsaktivisten wie Tino
Müller seit Jahren an ihrem Ruf als fleißige Handwerker-"Jungs", die
sich einsetzen für die lokalen Belange. Zwar gilt der 28-jährige
Maurer als Chef einer konspirativ agierenden Kameradschaft, in der
Öffentlichkeit aber tritt er nur mit harmloser Tarnung auf: als
Sprecher der Bürgerinitiative "Schöner und sicherer wohnen". Dabei
haben Verfassungsschützer an der ideologischen Ausrichtung von
Neonazis wie Müller keinen Zweifel. Ihnen geht es nicht um die
Mitarbeit in Parlamenten. Sie träumen vom Sturz des Systems -
notfalls mit Gewalt. Von den Posten im Landtag erhoffen sie sich
allenfalls ein breiteres Forum für dieses Gedankengut.
Doch gerade die Kandidaten aus der Neonaziszene bringen der NPD im
Wahlkampf einen weiteren Pluspunkt: Sie bringen junge, motivierte
Leute mit - kostenlose Wahlkampfhelfer, die gerade den
demokratischen Volksparteien vielerorts fehlen.
Die parlamentsfeindliche Neonaziszene als entscheidender
Wahlkampfhelfer? Beobachter der rechtsextremen Szene fürchten, das
Modell Mecklenburg-Vorpommern könnte im Falle eines Einzugs der NPD
ins Schweriner Parlament auch über die Landesgrenzen ausstrahlen.
Mit brisanten Folgen: "Auch in anderen Bundesländern wäre dann ein
massiver Eintritt gewaltbereiter Neonazis in die NPD zu befürchten",
warnt Günther Hoffmann von der Initiative Bunt statt Braun in
Anklam. "Das Ergebnis wäre eine deutliche Radikalisierung der NPD."
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Am 17. September finden in Deutschland
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haGalil onLine
14-08-2006 |