Meinungsfronten:
Und, wo stehen Sie?
Friedensfreunde und Neocons,
Antiimperialisten und Antideutsche - alle haben ihre klaren
Haltungen zum Libanonkrieg. Leider aber geht es bei den
Debattengefechten längst nicht mehr um Lösungen. Eine Polemik gegen
die Diskurskultur.
Von Robert Misik
Er tobt, der Krieg. Weit unten in Nahost wird er
mit Katjuschas und mit Kampfbombern ausgetragen, hierzulande mittels
Presseerklärung, Leitartikel oder in hitzigen
Kneipentischstreitereien. Es ist gar nicht so leicht, einen Begriff
von den Meinungsfronten, der Debattengefechtslage zu gewinnen.
Schließlich haben viele der Haltungen, die da geäußert werden, ja
etwas für sich, erscheinen wohlerwogen und oft auch von Sachkunde
geprägt. Aber doch steigt einem oft ganz schnell ein besonderer
Hautgout in die Nase: der Geruch vorgefasster Meinungen, der
Geschmack des Vorurteils, erstarrt in Meinungsgemeinschaften, die
jeden Konflikt nur mehr als Folie für das behandeln, was sie ohnehin
schon zu wissen glauben.
Das ist in dieser Sommerkrise um den Libanon derart offenkundig,
dass die sekundäre Lektüre fast schon zur primären wird, die
Hermeneutik des Verdachts zur vorherrschenden Rezeptionsweise: Warum
nur vertritt der diese Meinung? Welche Diskursdynamik bringt diese
oder jene Zeitgenossin dazu, sich so zu äußern? Die Debattenordnung
der vergangenen Jahre sortiert das Meinungsfeld, so wie ein
Magnetfeld Teilchen sortiert, und jeder ist an seinem Ort, bevor er
sich noch äußert. Die "unschuldige Meinung", die nicht Teil einer
solchen fragwürdigen Meinungsgemeinschaft ist, sie gibt es überhaupt
nicht mehr. Und die vielen kleinen Meinungsgemeinschaften formieren
sich wiederum zu Großgruppen - wobei man, und das ist womöglich das
Hauptproblem, vernünftigerweise zu keiner von diesen gehören will.
Da sind, auf der einen Seite, die Friedensfreunde, sowohl die
maßvollen Kritiker von Israels "unverhältnismäßigem Vorgehen" als
auch die etwas härteren Antiimperialisten, für die ohnehin alles
schlecht ist, was Israel oder die USA tun. Hier finden sich leider
auch die klammheimlichen oder weniger klammheimlichen Antisemiten,
für die die Israelis die neuen Rassisten sind, brutale
Kriegstreiber. Man versteht sich blendend mit denen, die
gewohnheitsmäßig solidarisch zu muslimischen Outcasts stehen und die
dabei zwischen dem Türkenbuben aus Neuköln und dem Dschihadisten aus
dem Bekaatal nicht zu sehr differenzieren wollen.
Und auf der anderen Seite sind diejenigen, die "den Islamismus" für
die totalitäre Weltgefahr schlechthin halten und darunter so
ziemlich alles subsumieren, was ethnisch, religiös oder in der
politreligiösen Zeichensprache unter dem Label Islam auftritt. Hand
in Hand auf dieser Seite: die hiesigen Proselyten der amerikanischen
"Neokonservativen", nicht selten ehemalige Linke; viele europäische
Juden, die vor ein, zwei Jahrzehnten noch zu den Unterstützern der
israelischen Friedensbewegung zählten; die alten Rechten, die ihren
Antisemitismus früherer Tage gegen die Hochachtung vor den
israelischen Militärs vertauschten, weil die heute so toll
soldatisch die Sache der freien Welt verfechten; und immer mit dabei
die "Antideutschen", diese groteskeste Narrentruppe deutschen
Schuldkomplexes, die als Ergebnis der Gleichung "Deutsche böse =
Opfer der Deutschen gut = Gegner der Opfer böse" zu einer ebenso
krausen wie strammen proamerikanischen, proisraelischen und
antimuslimischen Linken geworden sind.
Die Grenzen zwischen diesen Meinungsgemeinschaften verschwimmen
zunehmend: Antideutsche organisieren mit biederen Offiziellen
jüdischer Gemeinden Demonstrationen, was oft lustig werden kann,
haben die Kooperationspartner lebenskulturell meist nichts
gemeinsam. Und antideutsche Publizisten schreiben neuerdings auch in
Springers Welt, dem Zentralorgan der Altnationalen, das seine Seiten
heute auch gerne den Neocons öffnet.
Dies zur Ordnung des Diskurses. Aber was ist mit den Meinungen zum
Libanonkonflikt, die in diesen Diskursen geäußert werden? Die müssen
ja nicht notwendig hanebüchen sein. Nur: Selbst wenn sie es nicht
sind, können sie der Ordnung des Diskurses nicht entkommen. Denn
natürlich kann man sich, friedensbewegt und
menschenfreundlich-pazifistisch, auf das Jammern über die
"unschuldigen Opfer" zurückziehen, die immer büßen müssen, wenn
blutlüsterne Kriegstreiber der Welt ihren Stempel aufdrücken.
Doch sofort springt einen die Frage an, warum die Rede von den
unschuldigen Opfern immer dann besonders laut wird, wenn sich Israel
zu wehren beginnt. Die Rede von den unschuldigen Opfern ist selbst
nie ganz unschuldig. Gerne zieht man sich auch etwas jargonhaft auf
die "Unverhältnismäßigkeit der israelischen Gegenreaktion" zurück.
Dann wird darauf hingewiesen, dass Israel, wegen Angriffen einer
terroristischen Miliz, die aus dem Südlibanon Raketen abschießt und
in einem provokativen Akt israelische Soldaten angriff und
kidnappte, gleich den ganzen Libanon kaputtbombt. Möglich, dass die
israelische Reaktion unverhältnismäßig ist. Aber woher kommt die
Inbrunst der Überzeugung, dass das ganz sicher so ist?
Angenommen, aus einem benachbarten Land werden Tausende Raketen auf
Deutschland abgefeuert, angenommen, einige davon treffen eine große
Hafenstadt, sagen wir Hamburg - was wäre eine angemessene Reaktion
auf diese Gefahr? Oft sind es nur ein paar Sätze, die einen stutzig
machen, einer sei zitiert, nicht zuletzt weil er auf Seite drei
dieser Zeitung erschien. Da hieß es: "Angenommen, die baskische
Untergrundorganisation ETA hätte zwei spanische Soldaten nach
Frankreich entführt und von Stützpunkten auf südfranzösischem
Territorium Raketen auf Ziele in Spanien abgeschossen. Hätte die
spanische Luftwaffe dann unter Berufung auf das
Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UNO-Charta den Pariser
Flughafen, die Autobahn von Paris nach Brüssel sowie den Hafen von
Marseille bombardiert?"
Dieser "Vergleich" ist nur dann ein Vergleich, wenn wir gleichzeitig
annehmen, dass die ETA mit zwei Ministern in der französischen
Regierung vertreten sei und dass die französische Armee ganz
Südfrankreich der ETA als ihr Operationsgebiet überlassen habe.
Gewiss, das schnelle Journalistengeschäft ist ein fruchtbarer Boden
für hinkende Vergleiche. Aber gedeihen manche dieser Vergleiche
nicht besonders gut in Meinungsgemeinschaften, in denen meist nur
mehr nach Argumenten für die Meinungen gesucht wird, die man ohnehin
schon hat?
Man kann trefflich darüber streiten: Wer ist in diesem Krieg
Angreifer? Wer Verteidiger? Verteidigt sich Israel gegen
Terrorgruppen, die aus Gaza und dem Libanon Raketen ins israelische
Kernland abfeuern? Oder ist das als logische Folge falscher
israelischer Politik, etwa des einseitigen Abzuges unter
Torpedierung aller Maßnahmen zum "Nation-Building", letztlich
erklärbar - und damit auch ein wenig legitimierbar?
Angesichts solch fundamentaler Meinungsverschiedenheiten kann man
natürlich über alles streiten, gerne auch unter Einsatz
manipulativer Mittel. "Israel greift an zwei Fronten an", titelte
etwa die Süddeutsche Zeitung. Hätte es nicht heißen müssen, "Israel
schlägt an zwei Fronten zurück"?, wird den Blattmachern vorgehalten.
Auch die Bildsetzung ist denunzierbar. So illustrierte die
Süddeutsche einen Bericht auf Seite drei mit zwei Bildern. Im
Feuilleton-Onlineportal Perlentaucher, wo der Wind offenbar in
gemäßigt neokonservative Richtung weht, hieß es daraufhin kritisch,
die SZ "kommentiert den neuen Nahostkonflikt mit einer kraftvollen
Montage: Oben ein verletzter Junge im Libanon, unten ein
israelisches Mädchen, das eine für die Hisbollah bestimmte Bombe
signiert." Insinuiert wird, dass die Botschaft der Bilder laute: Im
Libanon leiden die Kleinen, während sie in Israel für
Kriegspropaganda missbraucht werden. Dies wäre eine tatsächlich
asymmetrische Bildsprache der Süddeutschen.
Was nicht dazu gesagt wird: Das Bild aus dem Libanon zeigt, dass der
Junge im Krankenhaus zum Trost für seine Schmerzen eine Plastik-MP
geschenkt bekommt, dass also die Lebenswelten beider Kinder durch
Kriegstreiberei vergiftet sind - die Montage ist also keineswegs so
asymmetrisch wie getan wird. Es sind das die Details, um die es
geht, wenn Großmeinungen ihre Sache mit Manipulation im Kleinen
betreiben.
Offen gesagt: Ich bin mir nicht so sicher wie die Friedensfreunde,
dass der Krieg, den Israel führt, ein falscher,
"unverhältnismäßiger" Krieg ist. Ich bin mir aber auch nicht so
sicher wie die Haudraufs, dass das ein richtiger Krieg um eine
"gerechte Sache" ist, noch dazu einer, der die Probleme lösen kann,
deren Folge er ist.
Aber zwei Dinge weiß ich. Erstens: Ich will nicht mit
antimuslimischen Ideologen gemeinsam für diesen Krieg, und ich will
nicht mit antiisraelischen und antisemitischen Herumdrucksern
gemeinsam gegen diesen Krieg sein.
Zweitens: Kaum eine der geäußerten Meinungen hilft mir, auf diese
Fragwürdigkeiten Antworten zu bekommen. Dieser Krieg wird in den
diskursiven Rahmen gepresst, der in den vergangenen fünf Jahren
entstanden ist. Wer der Meinung ist, dass der islamistische
Terrorismus der neue Totalitarismus ist und bellizistische
Entschiedenheit die richtige Haltung ist, mit ihm fertig zu werden,
wer gestern etwa für das Kopftuchverbot stritt - der ist heute für
Israels neuen Libanonfeldzug. Und wer findet, dass in diesem Krieg
gegen den Terror vieles falsch läuft, dieser vielleicht sogar nur
Camouflage amerikanischer Hegemonieinteressen ist, und wer die
Aufregung um Zwangsehen unter Muslimen etwas übertrieben findet -
der kritisiert Israel.
Irgendwie fürchte ich leise, dass diese Meinungsgemeinschaften Teil
des Problems sind - und nicht Teil der Lösung.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der taz - die tageszeitung
taz muss sein:
Was ist Ihnen die
Internetausgabe der taz wert?
© Contrapress media GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
haGalil onLine
19-08-2006 |