Von
der Lust am Einknicken:
Hurra, wir kapitulieren![BESTELLEN]
Vor fast dreißig Jahren machte der dänische Populist
Mogens Glistrup den absurden Vorschlag, Dänemark solle seine Armee
abschaffen und unter der Nummer des Verteidigungsministeriums einen
Anruf-beantworter mit der Durchsage einrichten: »Liebe Russen, wir werden
kapitulieren!«
Glistrup ist längst vergessen, aber seine Idee hat sich durchgesetzt. Denn
nicht nur Dänemark, sondern ganz Europa scheint kapituliert zu haben -
allerdings nicht vor den Russen. Spätestens seit dem Streit um die
Mohammed-Karikaturen, die in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten
veröffentlicht wurden, ist nämlich deutlich geworden: Europa sucht sein Heil
im Appeasement, in der vorauseilenden Selbstaufgabe.
Die Schweizer Firma Nestlé schaltet Anzeigen in arabischen Zeitungen, in
denen sie versichert, sie werde keine Produkte aus Dänemark verwenden oder
vermarkten, in Italien wird Oriana Fallaci der Prozess gemacht, in
Deutschland möchte der für Sport und Spiele zuständige Minister ein »guter
Gastgeber« für den iranischen Präsidenten sein, wenn der zur Fußball-WM nach
Deutschland kommt. Dass der die Endlösung der Judenfrage im Nahen Osten
vollenden will, soll der Gastfreundschaft keinen Abbruch tun.
Der engagierte Publizist Henryk M. Broder, der mit seinen polemischen
Wortmeldungen immer wieder heftige Kontroversen ausgelöst hat, widmet sich
in seiner neuen Streitschrift der europäischen Reaktion auf die
Herausforderungen des Islamismus und gelangt dabei zu einer alarmierenden
Einsicht: Wie die Appeasement-Politik gegenüber Hitler die aggressive
Haltung der Nazis nur befördert hat, so laufen die Europäer mit ihrer
Politik der Beschwichtigung heute Gefahr, die Transformation Europas zu
einem islamischen Kontinent zu beschleunigen.
Leon de Winter kommentiert: »Henryk M. Broder ist einer der
scharfsinnigsten Köpfe Deutschlands, ein höchst unterhaltsamer Autor, ein
Journalist mit erstaunlichem Horizont - und der ultimative Albtraum für alle
Verfechter der Political Correctness: Selber ein halber Anarchist, entlarvt
Broder die Selbsttäuschungen und Illusionen all derer, die Amerika und
Israel kritisieren, statt sie in ihrem Kampf gegen islamischen Faschismus
und arabische Tyrannei zu unterstützen.
In diesem tragikomischen Essay analysiert Broder die gegenwärtige
Appeasement-Politik Europas. Sein aufrüttelndes Buch ist eindringlich,
ironisch, traurig - und es offenbart Broders grenzenlose Liebe zu Europa,
jenem geschundenen Teil der Welt, in dem sich nach Jahrhunderten des
Blutvergießens freie Gesellschaften entwickelt haben, die es unter allen
Umständen zu verteidigen gilt.«
Und was sagt Broder selbst, der heuer seinen 60. feiert?
"Um ein Haar wäre auch ich ein Terrorist geworden. Alle
Voraussetzungen waren gegeben. Meine Eltern hatten beide unter
abenteuerlichen Umständen den Krieg überlebt, fielen sich nach der Befreiung
in die Arme und setzten mich in die Welt. Sie waren in höchstem Maße
traumatisiert und ich diente ihnen als Beweis, dass es ein Leben nach dem
Überleben geben konnte. Entsprechend waren ihre Erwartungen, die ich nicht
erfüllen konnte. Wollte ich keinen Spinat essen, bekam ich zu hören: »Was
hätten wir dafür gegeben, wenn es im Lager Gemüse gegeben hätte!« Weigerte
ich mich, mir die Haare schneiden zu lassen, erzählten sie, wie wichtig die
Hygiene im Lager war und dass eine einzige Kopflaus den Tod bedeuten konnte.
Kam ich nach Mitternacht nach Hause, war eine Geschichte über die
Sperrstunde im Ghetto fällig. Ging ich mit den falschen Bräuten aus –
richtige gab es nicht, weil alle deutschen Väter in der SS gedient hatten –,
schrien sie mich an: »Und dafür haben wir überlebt?«
Aber auch nachdem meine Eltern mich einigermaßen in Ruhe ließen, hörten die
Demütigungen und Erniedrigungen nicht auf. Beim Völkerball blieb immer ich
übrig; die Mannschaft, die mich abbekam, konnte gleich einpacken. Bei den
»Bundesjugendspielen« bekam ich nicht einmal einen Trostpreis fürs
Mitmachen, und die ersten Erfahrungen mit den Mädels waren so verheerend,
dass sie sogar den Liegesitzen in meinem Opel Kadett peinlich waren.
Ich lief durch die Gegend, und das Gefühl, das mich antrieb, war Wut: auf
meine hysterischen Eltern, die blöden Pauker und auf meine Freunde, die sich
meine Armstrong-Platten ausliehen und dann die Mädchen nach Hause brachten,
mit denen ich zur Party gekommen war. Ich ärgerte mich dermaßen, das ich
eine Gastritis bekam, die mich erst verließ, als sich ersatzweise Asthma
einstellte. Während andere noch den Umgang mit Kondomen lernten, wusste ich
schon über psychosomatische Krankheiten Bescheid. Warum ich trotz alledem
nicht auf die Idee gekommen bin, Terrorist zu werden, kann ich mir
rückblickend schwer erklären. Ich las »Die Verdammten dieser Erde« von
Frantz Fanon und »Die Massenpsychologie des Faschismus« von Wilhelm Reich,
die Schriften von Horst Eberhard Richter und Margarete Mitscherlich kannte
ich zum Glück nicht.
Ich wäre der idealtypische Amokläufer gewesen: Kind einer dysfunktionalen
Familie, einsam, verzweifelt, frustriert und geladen wie ein Fass mit
Dynamit auf der Bounty. Jeder Sozialarbeiter hätte seine Freude an mir
gehabt, jeder Therapeut wäre glücklich gewesen, mich behandeln zu dürfen.
Das »M« in meinem Namen stand nicht für »Modest«, sondern für »mildernde
Umstände«. Was mir freilich fehlte, war der Drang, mich an der Welt zu
rächen. Es gab noch kein Internet und keine Videokameras, und ich wäre nicht
in der Lage gewesen, jemandem den Kopf abzuschlagen, weil mir schon im
Biologieunterricht beim Sezieren eines Regenwurms schlecht wurde.
Da ich nicht Terrorist werden konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als
Journalist zu werden. Das ist kein sehr angesehener Beruf, er rangiert sogar
noch unter dem des Terroristen. Ein Terrorist kann mit Verständnis der
Gesellschaft rechnen, damit, dass ihm bei einer Festnahme nicht nur seine
Rechte vorgelesen, sondern auch umgehend Mutmaßungen über seine Motive
angestellt werden: Warum er gar nicht anders handeln konnte und warum nicht
er, sondern die Gesellschaft für seine Taten verantwortlich ist.
Ich gebe zu, ich bin ein wenig neidisch auf die Terroristen. Nicht nur wegen
der Aufmerksamkeit, die sie erfahren, sondern wegen der idealistischen
Motive, die ihnen unterstellt beziehungsweise zugesprochen werden. Wer ein
Auto klaut und damit einen Menschen an einer Kreuzung totfährt, der ist ein
Verbrecher. Wer sich mit einer Bombe im Rucksack in einem Bus in die Luft
sprengt und andere Passagiere mitnimmt, der ist ein Märtyrer, ein
gedemütigter, erniedrigter, verzweifelter Mensch, der sich nicht anders zu
helfen wusste. Worum ich die Terroristen am meisten beneide, ist der
Respekt, der ihnen gezollt wird. Haben sie einmal bewiesen, wozu sie
imstande sind, betreten Experten den Tatort und erklären, man dürfe sie
nicht noch mehr provozieren, man müsse mit ihnen reden, verhandeln, sich auf
Kompromisse einlassen und ihnen helfen, das Gesicht zu wahren. Nur so könne
man sie zur Vernunft bringen und Schlimmeres verhüten.
Dieses
Verhalten nennt man Appeasement. Davon handelt dieses Buch".
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