Günter Grass, der Elefant im Paul Celan Laden:
Der alte Mann versilbert seine SS-Vergangenheit
Von Nikolai Wojtko
Günter Grass war einer der Helden meiner Jugend. Ich kann nichts
dafür, denn schließlich war die Zeit so, dass man solche Helden in seiner
Jugend haben musste. Unter diesen Helden waren auch Leute wie Paul Carell
(der vor dem Ende des für ihn verlorenen Krieges Paul Karl Schmidt hieß und
wie Grass Mitglied der SS war, man wusste das und seine Bücher verkauften
sich in der Bundesrepublik wie warme Semmeln). Ich war jung und natürlich
erlag ich den Verführungskünsten von Leuten, die gerne gehabt hätten, dass
Deutschland den Krieg gewonnen hätte. Schließlich war dies die
vorherrschende Meinung um mich herum, als Helmut Schmidt gerade dazu
ausholte den Staat im Inneren gegen seine Feinde aufzurüsten.
Grass empfahlen auf dem Gymnasium, welches ich besuchte, die Jüngeren
unter den Lehrern. Also griff man zu, denn unter den Älteren hatte man schon
genug zu leiden. Viele der Älteren gaben keinerlei Lektüreempfehlung. Sie
hielten sich an die deutsche Klassik und als Zeichen ihrer unverbrüchlichen
Gruppenzugehörigkeit unterrichteten sie entweder stets vor der Karte
Deutschlands in den Grenzen von 1939, oder soffen schon während der ersten
Unterrichtsstunden. Über das Dritte Reich wurde nicht geredet und wenn, dann
in kryptischen positiven Anmerkungen ("Hitler hat die Arbeitslosen von der
Straße geholt." "Wenn wir den Luftkampf um England nicht diesem dicken
Versager überlassen hätten, dürfte man heute noch mit dem Rohrstock
unterrichten" etc.).
Natürlich gab es auch ganz andere Helden, manche konnte man große
Schriftsteller nennen, manche waren komisch, andere anarchisch und sehr
klug. Dieses Ensemble an Leuten und Texten stellte rückwirkend betrachtet
ein Antidot für mich her. Später trug ich dann ein kariertes Tuch, dass
Palästinenser genannt wurde, da man ja schließlich für die Unterdrückten und
gegen diese so militanten Israelis war. Ich dachte mir damals nichts dabei,
schließlich hieß es überall, dass die Israels Nazimethoden im Umgang mit
ihren Nachbarn anwenden würden. Für das Tragen dieses uniformähnlichen
Lappens muss ich mich heute, schon allein aus ästhetischen Überlegungen
heraus bei meiner Umwelt entschuldigen. Ich wusste damals nicht, was ich
tat, fand mich aber ziemlich cool.
Aus meiner wechselnden Lektüre habe ich keine Lebensüberzeugung entstehen
lassen. Auch habe ich keinerlei Tätowierung von Butt, Blechtrommel oder
Blutgruppe auf der Brust oder unterm Arm. Ebenso habe ich nie einer
Gruppierung angehört, die sich selber zu den Herrenmenschen rechnete,
insofern natürlich als eine Eliteeinheit unter den anderen Herrenmenschen
angesehen wurde und die mit mörderischem Eifer daran ging dieser
rassistischen und antisemitischen Überzeugung blutige Taten folgen zu
lassen.
Zum Glück habe ich durch meine spätere Geburt im Unterschied zu Grass,
Lehrer gehabt, die den Krieg gerne gewonnen hätten und aus unversöhnlicher
Wut darüber, dass die eigenen autoritären Vorstellung noch nicht einmal im
Schulalltag umzusetzen waren, spuckten sie Gift und Galle über den
Judenstaat, der ihren Verlautbarungen nach Unglück und Terror über die
gesamte Region brachte. Ich begriff damals, dass ich anders war als diese
cholerisch giftenden Männer, begriff aber nicht wie sehr ich ihnen mit
meinem fransigen, karierten Tuch, dass doch eine Unterscheidung markieren
sollte, ähnelte. Zumindest symbolisch wendete ich mich, indem ich seine
Feinde unterstützte, ebenfalls gegen diesen Staat, dessen schiere Existenz
besagten Lehrern die Zornesröte ins Gesicht rief, da er für sie das Symbol
ihres eigenen Versagens im angeblichen Ringen um die Weltherrschaft
darstellte. Verblüffend war dabei höchstens der Umstand, dass dieselben
autoritären Personen, auf die Vernichtungslager angesprochen, natürlich nie
etwas davon gewusst haben wollten.
Grass – weniger Entschuldigung als Bekenntnis
Grass war bei der SS. Das allein ist weniger aufregend als beichtenswert.
Dass er so spät mit der Geschichte aufwartet ist nicht so schlimm,
schließlich hat man eine ehrliche entschuldigende Geste lieber als die immer
wieder gehörte Lüge, dass keiner dabei gewesen war und niemand etwas gewusst
haben möchte. Grass hätte also mit seiner Erklärung einiges deutlich machen
können, zum Beispiel auch, warum es ihm jetzt möglich ist, über diesen Teil
seines Lebens offen und öffentlich zu reden.
Es hätte alles so einfach sein können. Man kann mit seinem schlechten
Gewissen aufräumen, erklären, was man nun alles über seine eigene Rolle in
der Vergangenheit weiß. Man kann entsetzt sein, dass man mit Freude den
Totenkopf getragen hat. Man kann sich entschuldigen, bei all den Opfern
dieser mörderischen Brigaden, deren Mitglied man war.
Hierzulande kann man es aber auch so machen, wie Grass. Er wäre nicht er
selbst, wenn er sich nicht außerhalb dieser geschichtlichen
Gesetzmäßigkeiten setzen würde. Der Mahner und Mauner, der kaschubische
Kartoffelmümmler, der flunderplatte alles wissende Butt. Er kann seine
Vergangenheit erzählen und dabei noch schön um sich hauen. Was aber ist
geschehen? Herr Grass hat erzählt und zwar keinem geringeren als Frank
Schirrmacher, assistiert durch Hubert Spiegel - die auch beide im Herbst die
Jugenderinnerungen von Joachim Fest promoten werden und insofern Profis im
Geschäft mit der Versilberung brauner Vergangenheit sind – warum sein Leben
klasse war und dass er schon früh wusste, er würde sein Leben lang viel Geld
verdienen. Genau ums Geldverdienen dreht es sich letztlich in diesem
Gespräch.
Grass, erzählt, dass er in der Waffen-SS war, aber keine Tätowierung hat.
Nun ja, dass er dieses Makel der unspezifischen Zugehörigkeit zu einem
Mordsverein sein Leben lang mit sich rum trägt, könnte ihn natürlich
bedeutend machen. Wenn er dies nicht nur erzählt, sondern auch sofort
erklären könnte, warum er es nicht früher erzählt hat. Wenn er offen gewesen
wäre für seine, wie er es selber öfter gesagt hat, Verführbarkeit im Dritten
Reich. Er hat geschwiegen, über sechzig Jahre lang und dafür hat er sowenig
eine Begründung, wie dafür, dass er jetzt auf einmal auf den Putz haut. Die
FAZ, die nun sein Bekenntnis zur Deutschtümelei am vergangenen Wochenende
groß veröffentlicht, wird seine Autobiographie Vorabdrucken, da ist dieses
Geständnis ein erhoffter Verkaufsstimulans für das Buch mit dem eher drögen
Titel: Beim Häuten der Zwiebel.
Sehr wahrscheinlich ist der Titel programmatisch: eine Zwiebel kann man
häuten, die Tränen schießen einem in die Augen, da sie ätzenden Dampf
ablässt. Häutet man sie weiter, bleibt nichts über, als ein Berg Abfall und
das Tränen der Augen. So zumindest liest sich, was Grass jetzt offen zugibt.
Er ist so befreit wie eine zugezurrte Zwangsjacke und das ist das einzig
Beruhigende, scheint es doch eine Gerechtigkeit auf Erden zu geben. Denn
schließlich möchte doch niemand eine solch große Klappe haben und noch ein
Geständnis, dass er Mitglied in der Elitemördertruppe mit dem Totenkopf war
und also durchdrungen von rassistischen und antisemitischen Gedanken mit
einer Schuldzuweisung an andere krönen. Grass schon, er kann nicht anders,
schließlich will er auch im zarten Alter von fast achtzig Jahren nichts von
dem Wissen, was er gewesen ist und nun nach eigenen Aussagen immer noch ist:
ein unverbesserlicher Besserwisser, der nun auch noch aus seiner
SS-Vergangenheit Profit schlagen möchte und dabei im Moment da er
ausspricht, er hätte damals keinen Menschen umgebracht, ungerührt über
Leichen geht und selbstredend auch noch eine jüdische fleddert.
Wir hier noch einmal, ein allerletztes Mal dem Lyriker Grass lauschen, bevor
wir ihn für immer dem Vergessen anheim geben. Denn der alte Mann hat sich
selber das altersschwache Denkmal gesetzt, dass er nun lediglich durch
hemdsärmelige Rücksichtslosigkeit zu untermauern trachtet:
"Schamlos
Wie Tiere
Leckten wir uns
Und fanden später-
Satt und matt-
Mit selbiger Zunge
Zivil geordnete Wörter,
Einander die Welt zu erklären:
Den Anstieg der Benzinpreise,
Die Mängel im Rentensystem
Das Unbegreifliche
Der letzten Beethoven-Quartette"
So sieht es aus, dass unverbesserliche Leben des SS-Mannes: er hat sich
nichts vorzuwerfen, ist geil vor Gier, um sich dann Postkoital Unsinn
erklären zu wollen und letztlich ein wenig bildungshubernd aller Welt davon
zu berichten, dass er ein Tier sein und vom Unbegreiflichen zugleich reden
kann. So schafft er sich als alter Mann, wozu er als Junger zu den Waffen
gegangen war: neuen Lebensraum im Reich der von ihm so
zusammengeschwurbelten Kultur. Wie das Wunder, dass er so beschreibt und
damit lassen wir dem Nobelpreisträger ein letztes Mal das Wort ergreifen im
Wissen darum, dass er Zeit seines Lebens nichts anderes machen will, als von
sich Reden.
"Ein Wunder
Soeben noch schlaff und abgenutzt
Nach so vielen Jahren Gebrauch
Steht er
-Was Wunder
Er steht-
Will von dir, mir und dir bestaunt sein,
Verlästert und nützlich zugleich"
Wie es Wiglaf Droste so treffend auf den geschriebenen Punkt brachte, Grass,
dass ist Kultur als Strafe, als Rache an der Schönheit der Welt.
Dem gibt es nichts hinzuzufügen, abgesehen von dem Hinweis, dass hier der
Mann redet, der sich in seiner festgezurrten Zwangsjacke so frei fühlt, wie
Unschuldig zu der Zeit, als er begeistert den Totenkopf vor seiner Stirn
hertrug und wirklich – also allen Ernstes – meint, er habe sich nichts zu
Schulden kommen lassen.
Nur so ist es zu erklären, dass er sich selber freisprechen und im gleichen
Atemzuge erklären kann, dass Paul Celan neidisch auf ihn war. Halten wir
hier noch einmal einen Moment inne: Der Mann, der seine SS-Mitgliedschaft
erklärt, haut im selben Atemzug auf einen Mann ein, der von Grassens
Kameraden auf übelste malträtiert wurde, der ein Opfer der
Vernichtungsstrategie der Nazis geworden ist, dessen Mutter von Grassens
Kameraden erschossen wurde und dessen Vater in einem Vernichtungslager ums
Leben kam.
Grass, das ist nicht nur Kultur als Strafe, Grass, das ist der
unversöhnliche Hass auf die Opfer von Damals aus der Zeit, als er selber
nach eigenen Angaben kein Täter war, so wenig wie heute.
Späte Enthüllung:
Der aufrechte Fall des
Günter Grass
Leo Ginster veröffentlichte im Juli 2004 eine Analyse des Verhältnisses von
Grass zu Auschwitz, Juden und Israel. Er beschreibt eine öffentliche
Auseinandersetzung zwischen dem israelischen Schriftsteller und
Friedensaktivisten Yoram Kaniuk mit Grass während des Golfkriegs von 1991...
"Missachtung und Tabu":
Die Shoah
ausgeblendet
Wo hört Vergesslichkeit auf und wo beginnt die Ignoranz?
Am vergangenen Montag stellte Klaus Briegleb in Hamburg seine umstrittene
Studie zum Antisemitismus in der Gruppe 47 vor...
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