Blindes Europa:
Israel hat keine Wahl
Israel verteidigt nicht nur seine
territoriale Sicherheit, es kämpft gegen einen islamistischen
Antisemitismus. Die europäische Politik will ihn nicht wahrhaben.
Sie verleiht ihm mit ihren Forderungen nach Verhandlungen im
Gegenteil Legitimität
Von Tjark Kunstreich
Es gibt einen Konsens der veröffentlichten Meinung
in Europa, der die vom Stern aufgeworfene Frage, was Israel so
aggressiv mache, folgerichtig erscheinen lässt. Israel, darüber ist
man sich in den europäischen Medien weitgehend einig, ist der
Aggressor.
Auch wenn in Deutschland die expliziten Vergleiche
zwischen Israel und Nazideutschland noch tabuisiert sind, außer wenn
sie von Juden vorgenommen werden, sind die impliziteren Hinweise,
die aufs Gleiche hinauslaufen, Legion: In Bild und Text kommen
israelische Juden nur als Täter und Aggressoren vor, es werden vor
allem Männer, Soldaten abgebildet; der Libanon hingegen scheint aus
Frauen und - vorzugsweise toten - Kindern zu bestehen. Die Hisbollah
kommt ebenso wenig vor wie das Flüchtlingselend auf israelischer
Seite. Imre Kertész brachte diese frischfrommfreie Israel-Kritik
kürzlich auf den Begriff des "Euro-Antisemitismus": Der Nazi-Opfer
gedenken, um Israel umso vorbehaltloser zu kritisieren.
Die taz kann in diesem Zusammenhang das zweifelhafte Lob für sich in
Anspruch nehmen, Deutschlands europäischste Zeitung zu sein.
Voraussetzung für diesen, in der taz prototypisch geführten Diskurs
ist der Doppelstandard, dass für Israel nicht gelten darf, was jeder
andere Staat auf der Welt selbstverständlich für sich in Anspruch
nimmt. Unheimlich daran ist, dass veröffentlichte Meinung,
öffentliche Meinung und Politik weitgehend identisch sind in dem
Willen, Israel zu diktieren, wie es auf die Verletzung seiner
Staatsgrenze zu reagieren hat. Trugen solche Grenzverletzungen
historisch betrachtet immer schon den Charakter der gezielten
Provokation und wurden in unserer nationalstaatlich verfassten Welt
eben so verstanden, gilt dies aus europäischer Sicht für den "Juden
unter den Staaten" (Hannah Arendt) nicht. Im Gegenteil, wenn etwa
Frankreich fordert, über einen Gefangenenaustausch zu verhandeln,
verleiht es den Forderungen von Hamas und Hisbollah Legitimität.
Mit weitreichenden Folgen: Nicht nur wird der demokratische Staat
Israel mit terroristischen, auf totale Herrschaft setzenden
Organisationen gleichgesetzt - was sich im Interesse politischer
Lösungen auf Verhandlungsebene manchmal nicht umgehen lässt -,
vielmehr erhält dadurch auch der Kampf gegen Israel als jüdischen
Staat politische Anerkennung. So zerstritten die islamistischen
Fraktionen im Nahen Osten auch sind, sie sind sich einig im Ziel der
Vernichtung Israels. Indem die Europäische Union unter französischer
Ägide terroristische Aktionen wie die Entführung und Ermordung von
Soldaten auf israelischem Boden zum politisch zu lösenden Konflikt
adelt, trägt sie zur Vereinheitlichung jener Kräfte bei, die einen
Ausgleich mit Israel kategorisch ablehnen.
So entsteht der Eindruck, es seien gerade die Europäer, die kein
Interesse an einem Frieden oder zumindest einer dauerhaften Phase
der Stabilität im Nahen Osten haben. So unterschiedlich und zum Teil
divergierend die Rhetorik europäischer Regierungen und
Nichtregierungsorganisationen sein mag, letztlich sind sie es, die
mittels "kritischen Dialogs", kulturalistischen Deutungen und nicht
zuletzt der Verharmlosung eines auf Vernichtung zielenden
Antisemitismus' dazu beitragen, dass der israelisch-palästinensische
Konflikt am Kochen gehalten wird. Das heißt: Wenn Jacques Chirac und
andere europäische Politiker jetzt einen "sofortigen
Waffenstillstand" fordern, geht es darum, zu verhindern, dass der
politische und militärische Spielraum von Hisbollah und Hamas
eingeschränkt wird.
Das klingt zunächst völlig irrsinnig: Weshalb sollte Europa ein
Interesse am islamistischen Terror gegen Israel haben? Die
Begründung ist ziemlich einfach, verweist aber auf nicht weniger
Irrationales: Den Europäern dient der Terror gegen Israel vor allem
zur Ablenkung von der klerikalfaschistischen Bedrohung, zu der sich
der politische Islam in dieser Region formiert hat. Solange es
keinen palästinensischen Staat gebe, könne es auch keinen Frieden
geben, lautet das Credo der europäischen Politik. Nur weiß man
mittlerweile, dass, aufgrund der geopolitischen Ein- und
Zusammenbrüche der letzten Jahrzehnte, ein palästinensischer Staat
ganz und gar keine Sicherheitsgarantie für Israel oder gar
gleichbedeutend mit dem Ende des Konflikts wäre. Der Dschihad,
verstanden als faschistische "Strategie der Spannung", wie er in
verschiedenen Ausprägungen beinahe überall im arabischen Raum
mehrheitsfähig geworden ist, kennt keinen politischen Kompromiss.
Weil man unter der grünen Fahne des Islamismus die realistische
Chance auf einen Sieg über Israel zu haben meint, träumt man von
einem Flächenbrand, der Israel - und letztlich "den Westen" -
hinwegfegen wird.
Solchem megalomanen Irrationalismus das Wort zu reden, stellt selbst
für die schamlosesten unter den europäischen Politikern zurzeit noch
keine wirkliche Option dar. Stattdessen wird verleugnet, dass sich
ein politisches Projekt formiert hat, dessen Verwandtschaft mit dem
der Nazis sich in wahnhaftem Antisemitismus vermittelt. Es wird so
getan, als seien die wiederholten Bekundungen, Israel und seine
Einwohner zu vernichten, einer aufbrausenden, arabischen Mentalität
geschuldet, die zu Übertreibungen neigt. Politisch könnte diese
europäische Linie dahingehend rationalisiert werden, dass man sich
gerade im Nahen Osten in Konkurrenz zu den USA befände und deswegen
mit ihren Feinden paktieren müsse, um eigene ökonomische Interessen
zu wahren. Das mag eine Rolle spielen, trifft aber nicht den Kern
der Sache, denn irrational ist es dennoch allemal, sich mit
politischen Kräften einzulassen, von denen man weiß, dass sie sich
auch gegen Europa wenden werden, wenn die Zeit gekommen ist.
Abgesehen davon geben vor allem die europäischen Apologien
islamischer Herrschaft zu denken, weil sie fatal an die
Vernunftgründe erinnern, mit denen zuerst die Appeasement-Politik
gegenüber Nazideutschland und später die Kollaboration mit den
deutschen Besatzern gerechtfertigt wurde.
So wird allenthalben "den Arabern" zugestanden, sie seien -
wahlweise von Israel, den USA oder den einstigen Kolonialherren -
erniedrigt worden und schlügen deswegen über die Stränge. Ganz
ähnlich klang es in Bezug auf den beginnenden Nationalsozialismus in
Deutschland und das "Diktat von Versailles". Außerdem würde seitens
der Islamisten das soziale Elend bekämpft. Genauso wenig wie man
heute zur Kenntnis nehmen möchte, um welchen ideologischen Preis
sich zum Beispiel die Hisbollah des Elends annimmt, wollte man es
seinerzeit über die Sozialpolitik der Nazis wissen - ganz abgesehen
davon, dass diese Sozialpolitik damals wie heute Almosen gegen
Wohlverhalten bedeutet. Nicht zuletzt erinnert die Reaktion auf die
Außerkraftsetzung individueller Menschenrechte im Zeichen des
Antisemitismus, des Rassismus und der Verfolgung politischer Gegner
an das Appeasement: Sie wird bagatellisiert und zu einer Frage der
Kultur verniedlicht. Letzteres bezieht sich nicht nur auf die Länder
des Nahen Ostens, sondern auch auf den Umgang mit der Einwanderung
nach Europa: Für Menschen, die vor islamischer Herrschaft flüchten,
ist Europa längst kein sicherer Ort mehr. Das Appeasement mit dem
politischen Islam fordert auch hier schon Opfer, siehe Theo van Gogh
und Ayaan Hirsi Ali. Genau jenes Klima ist es, in dem sich die
Vollstrecker einer islamischen Gerechtigkeit wohl fühlen. Auf
Demonstrationen unter Beteiligung deutscher Friedensbewegter wird
"Tod den Juden" gerufen, ohne dass die Friedensfreunde es für nötig
halten, das überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn, sich
davon zu distanzieren.
Offenbar wohnt diesen Entschuldungsgründen ein Wiederholungszwang
inne, der jede Schamgrenze überwindet und der auf eine europäische
Affinität zu totaler Herrschaft verweist, die zurzeit in den Nahen
Osten projiziert wird. Dass diese Apologien den selbst erklärten
Todfeinden der Juden zugute kommen, spricht für ein nach wie vor
vorhandenes Bedürfnis der Entlastung von der eigenen europäischen
Geschichte der Vernichtung und der Kollaboration. Es ist, als
bestätige sich die antisemitische Unterstellung vom Anderssein der
Juden darin, dass es überall Antisemiten gibt. Eben darin aber zeigt
sich, dass Israel sich nicht nur bedroht fühlt, sondern dass es in
seiner Existenz bedroht ist. Und solange nicht die Frage gestellt
wird, was die Gegner Israels eigentlich so maßlos aggressiv macht,
wird sich daran nichts ändern. So lange aber bleibt auch Israels
Vorgehen alternativlos.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der taz - die tageszeitung
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09-08-2006 |