Vor dem Waffenstillstand:
Israels Sieg oder Debakel? Von
Ulrich W. Sahm, Jerusalem Die Verabschiedung
der Resolution 1701 in der UNO, auf den Tag genau einen Monat nach Ausbruch
des längsten Krieges, den Israel je geführt hat, war der Paukenschlag für
die Eröffnung einer neuen Kriegsfront in Israel.
Auf einmal war das eiserne Schweigen der Politiker gebrochen. Ein Ex-General
rief zum Rücktritt von Ministerpräsident Ehud Olmert auf. Ein anderer
verlangte eine staatliche Untersuchungskommission. Die Zeitungen sind sich
nicht sicher, ob der Premier, Verteidigungsminister Amir Peretz oder aber
Generalstabschef Dan Halutz die Schuld trägt, oder alle drei zusammen.
Militärkorrespondenten reden schon seit einigen Tagen von stümperhafter
Taktik, mangelnder Ausrüstung für Reservisten, schlechter Organisation und
"verdursteten Soldaten", weil jemand vergessen habe, Nachschub mit
Trinkwasser zu organisieren.
Die Ansatzpunkte für Kritik sind so vielfältig wie die komplizierten
Vorgänge rund um diesen Krieg. Einige fragen, wie es so weit kommen konnte,
dass Israel sechs Jahre lang tatenlos der Aufrüstung der Hisbollah mit einem
Raketen-Arsenal zugeschaut hat, dessen sich nur wenige Staaten der Welt
rühmen können. Wieso hat sich Olmert durch die Provokation der Hisbollah
(Raketenbeschuss und Entführung von zwei Soldaten) ohne Vorbereitungen in
einen umfassenden Krieg im Libanon hineinziehen lassen. Dem Generalstabschef
Dan Halutz, ein ehemaliger Befehlshaber der Luftwaffe, wird vorgeworfen,
drei Wochen lang mit seinem "Spielzeug", der Luftwaffe allein, Krieg geführt
zu haben. Dabei lag doch auf der Hand - so die Kritiker - dass sichtbare
militärische Erfolge nur mit Bodentruppen erreicht werden könnten. Olmert
und Peretz, wird vorgeworfen, die Militärkampagne "zögerlich und
unentschlossen" geführt zu haben. Kopfschüttelnd fragen ex-Generale und
Militärstrategen, an denen es in Israel nicht mangelt, wieso die große
Bodenoffensive erst befohlen wurde, als sich in der UNO schon der
international abgesprochene Waffenstillstand abzeichnete.
Nicht zuletzt stellt auch Israels Heimatfront harte Fragen. Über eine
Million Flüchtlinge gab es innerhalb Israels während hunderttausende einen
Monat lang in vernachlässigten Schutzbunkern ausharren mussten, um nicht von
willkürlich explodierenden Raketen der Hisbollah getroffen zu werden. Die
Menschen mit "erstaunlichem Durchhaltevermögen", fragen, wieso die stärkste
und beste Armee des Nahen Ostens einen ganzen Monat lang unfähig war, eine
Miliz von ein paar tausend Kämpfen daran zu hindern, Tag für Tag bis zu 200
Raketen auf Israel abzuschießen. Laut klagen auch die wahren Helden dieses
Krieges, zum Beispiel die Feuerwehrmänner. Im unermüdlichen Einsatz und
unter Lebensgefahr mussten sie Waldbrände löschen und Menschen aus
zertrümmerten Wohnhäusern befreien: "Seit Monaten haben wir kein Gehalt
gesehen. 100 Millionen Schekel, vom Finanzministerium an die Gemeinden
überwiesen, um uns zu entlöhnen, verschwanden spurlos".
Eine große Debatte löste schon das Kompromisspapier aus: die UNO-Resolution
1701. Wer hat denn nun eigentlich gesiegt, Israel oder die Hisbollah? Ist es
Olmert zusammen mit den Amerikanern gelungen, "neue Verhältnisse" im Nahen
Osten zu schaffen oder legt die Resolution schon die Lunte für den nächsten,
noch viel schlimmeren Krieg? Je nach Weltanschauung gelangen israelische
Analytiker zu widersprüchlichen Ergebnissen. Kühl berechnend griff sogar
Condoleezza Rice in die innerisraelische Debatte ein, wenige Stunden vor der
Abstimmung im Kabinett über die Annahme der UNO-Empfehlung zu einer "vollen
Feuerpause". Die amerikanische Außenministerin, in ihrer Rolle als
Verkaufsfrau, betonte die Bedeutung eines Waffenembargos. Laut Resolution
darf künftig nur noch die Regierung des Libanon Waffen einkaufen. Länder,
die künftig Raketen an libanesische "Nicht-Regierungs-Organisationen" (wie
die Hisbollah) liefern, machen sich eines Verstoßes gegen die UNO-Resolution
schuldig. Gemeint sind natürlich Syrien und Iran.
Doch viele Israelis glauben nicht an die Durchsetzungskraft und
Beschlussfähigkeit der UNO. Schließlich gab es schon die Resolution 1559 aus
dem Jahr 2004. Die verfügte schon eine Entwaffnung der Hisbollah, ein
Vorrücken der libanesischen Armee bis zur Grenze und eine Wiederherstellung
der Souveränität des Libanon. Sie wurde aber nie umgesetzt. Das war freilich
der Hauptgrund, weshalb vor einem Monat dieser Krieg ausbrechen konnte, der
etwa 1000 Menschen im Libanon, rund 150 in Israel das Leben kostete und auf
beiden Seiten ungeheure materielle Schäden anrichtete. |