Möglichkeiten zur Selbstbestimmung:
Salam! Shalom!
Während im Krieg in Nahost die
Waffen sprechen, wird in Blogs über die Grenzen hinweg weiterhin miteinander
kommuniziert.
Von Stefan Kindler
Jungle World 31 v.
02.08.2006
"Ich möchte nicht darüber streiten, wer Recht hat und wer
Unrecht hat, alles, was ich sagen möchte, ist, dass es definitiv falsch ist,
dass Zivilisten in diesem Prozess auf beiden Seiten zu Opfern werden. Ich
sende euch meine besten Wünsche von hier und hoffe, dass ihr und eure
Familie stark und in Ordnung sein werdet, bis diese furchtbare Situation
vorbei ist." Dieser Kommentar eines israelischen Soldaten in einem
libanesischen Blog hat eine erstaunliche Geschichte hinter sich. Er ist
anderen Bloggern aufgefallen, sie griffen ihn auf, israelische Medien
zitierten ihn und bald fand man ihn in der New York Times, in Le Monde und
dem Online-Angebot der Tageschau.
Bei all den schlechten Nachrichten und den grausamen Bildern
des Konflikts sind die Medien wenigstens auf eine positive Nuance in der
Auseinandersetzung gestoßen. Trotz der Gewalt sprechen Israelis und
Libanesen im Internet miteinander. "Wird sich dies als das erste Mal
erweisen, dass Bewohner 'verfeindeter' Länder in eine fortlaufende
Konversation verwickelt sind, während die Raketen fliegen?" fragt daher
Bloggerin Lisa Goldman in ihrem Blog "On the face".
Seit im Irak-Krieg ein iranischer Blogger mit dem Namen
"Salam Pax" aus Bagdad die Angriffe auf seine Stadt aus seiner Sicht
beschrieb und so eine Leserschaft in der ganzen Welt erreichte, haben sich
Blogs als zusätzliche Informationsquelle gerade auch aus Krisengebieten
etabliert. Blogger haben einen Zugang zu Orten, den Journalisten manchmal
nur schwer finden, können blitzschnell auf aktuelle Entwicklungen reagieren
und haben oft ein Verständnis vom Alltagsleben in der Region, die
ortsfremden Beobachtern fehlt. Selbst die starke Subjektivität, wegen der
die Blogs als Nachrichtenquelle kritisiert werden, garantiert so etwas wie
Authentizität: Ein Blogger, der erwähnt, dass es ihm die Bomben nicht gerade
erleichtern, mit dem Rauchen aufzuhören, wird als Person sichtbar.
Sowohl im Libanon als auch in Israel gibt es eine aufgeklärte
und weltoffene Szene, die die Möglichkeiten des Internets nicht erst seit
Ausbruch des Konflikts für sich nutzt. Das führt dazu, dass neben der
allgegenwärtigen Propaganda und den Hassseiten zahlreiche differenziertere
Betrachtungen des Konflikts im Internet publiziert werden. Allein die Masse
der Internetangebote macht es wahrscheinlich, dass jeder eine Meinung
findet, mit der er sich identifizieren kann. Das gilt auch für diejenigen,
die sich trotz großer Meinungsverschiedenheiten wünschen, die Konflikte in
der Region ohne Waffengewalt zu lösen.
Wenn Lisa Goldman beschreibt, wie sie mit einem Libanesen
chattet, der ihr schildert, wie gerade die Raketen auf Beirut niedergehen,
erkennt man die Möglichkeiten zur Selbstbestimmung, die das Internet bieten
kann. Nicht Regierungen, Militär und Milizen bestimmen, mit wem man wann und
wo kommuniziert.
In den ersten Tagen des Konflikts zeigte sich, dass diese
Möglichkeit vielfältig genutzt wurde. Und groß war die Verwunderung darüber,
dass ein vernünftiger Diskurs auch noch möglich ist, wenn andere sich längst
für Raketen entschieden haben. Dass dies eventuell nicht lange anhält,
vermuten auch einige Blogger. Je länger der Konflikt dauert, desto
schwieriger wird es, aufeinander zuzugehen. Denn der allmorgendliche Blick
in den Bodycount der traditionellen Medien zeigt, dass die Raketen weiter
fliegen: "And yet none of us can end the fighting."
http://israelibunker.blogspot.com/
http://lebanesebloggers.blogspot.com/
http://lebanonheartblogs.blogspot.com/
hagalil.com 05-08-2006 |