Im Internet diskutieren Blogger über die Bilder von Kana:
Alles inszeniert?
Von Ulrike Letzien
Internet-Blogs werden von Medienwissenschaftlern gern
als die neueste, aufsteigende Form der Nachrichtenmedien dargestellt. Die
demokratische Diskussion zwischen Internetnutzern wird, wenn man derartigen
Voraussagen glaubt, den anderen Nachrichtenmedien bald den Rang ablaufen. In
den etablierten Medien tauchen die Inhalte der Blogs allerdings eher selten
auf.
Der Blog eu-referendum blogspot hat es in den letzten
Tagen allerdings zu einigem Medieninteresse gebracht. Grund dafür ist eine
Artikelreihe in dem Blog, die zu beweisen versucht, dass die Bilder, die die
weltweiten Medien nach dem Beschuss des libanesischen Dorfes Kana durch die
israelische Armee zeigten, größtenteils inszeniert sind. Dass es
Zerstörungen und Tote gab, bestreitet der Blogger nicht. Er meint aber, dass
zwei tote Kinder, deren Bilder hinterher in mehreren Zeitungen zu sehen
waren, von einem bestimmten Rettungsarbeiter den Fotografen präsentiert
wurden.
Tatsächlich fällt beim Betrachten der Bilder auf, dass ein
einziger Mann in allen Photos und meist als zentrale Figur auftaucht.
Welcher Organisation dieser Mann angehört, ist aus den Bildunterschriften
der Agenturfotografen nicht zu entnehmen. Die Zeitungen, die die Bilder
veröffentlichten, ordneten ihn verschiedenen Organisationen, wie dem Roten
Kreuz oder dem "Zivilschutz" zu. Dieser Mann hält auf einigen Bildern, die
von Fotografen der Agenturen Associated Press (AP) und Reuters fotografiert
wurden, die Leiche eines Kindes in die Kamera, ganz offensichtlich, um sie
den Fotografen zu zeigen.
Der eu referundem blogspot Blog zieht aus all dem den
Schluss, dass der Rettungsarbeiter ein Hizbollah-Angehöriger sei, der auf
Kosten der toten Kinder Propaganda mache. Der Autor des Blogs untermauert
seine These mit den Timecodes, die zu den Fotos angegeben werden. Sie legen
nahe, dass die Kinderleichen zwischen den verschiedenen Bildern teilweise
stundenlang herumgetragen wurden. Der Blogger schreibt: "Die Ereignisse von
Kana sind eine humanitäre Tragödie. Aber die Bilder zeigen sie nicht
wahrheitsgemäß. Sie wurden vielmehr um des Effektes willen inszeniert und
nutzen dabei die Opfer in unglaublicher Weise aus. Damit sind sie nicht
länger Nachrichtenbilder – sie sind Propaganda. Wer auch immer gesagt hat,
dass Bilder nicht lügen können, hat vergessen, dass Fotografen es sehr wohl
können."
AP und Reuters haben inzwischen zu den Vorwürfen Stellung
genommen. Befragungen unter den Fotografen hätten die Glaubwürdigkeit der
Bilder bestätigt, heißt es in einem Text von David Bauder (AP). Der Timecode
gebe bei Agenturfotos nicht zwangsläufig den Zeitpunkt an, an dem das Bild
gemacht wurde. Er stehe vielmehr für den Zeitpunkt der Veröffentlichung, die
dem zeitlichen Ablauf, in dem die Fotos gemacht wurden, meist nicht folge.
Viele Medien fügten den Agenturbildern außerdem einen eigenen Timecode
hinzu.
Dass ihre Fotografen auf inszenierte Fotoposen
hereinfallen würden, schloss die Chefredakteurin von Reuters, Kathleen
Caroll, kategorisch aus. Aus dreißig Jahren Berufserfahrung könne sie sagen,
dass gute Fotografen erkennen, wenn jemand versuche ein Bild zu inszenieren.
Abgesehen davon könne sie sich in Anspielung auf den Blog-Autor nicht
vorstellen, "wie jemand, der in einem klimatisierten Büro oder Studio viele
tausend Kilometer vom Ort des Geschehens sitzt, auch nur annähernd genau
feststellen kann, was dort passiert ist."
Die tatsächliche Frage hinter diesem Streit ist
wahrscheinlich nicht, ob die Bilder bewusst und mit dem Zutun der Fotografen
inszeniert wurden. Andreas Trampe, der Leiter der Bildredaktion des "Stern"
sagte im NDR-Magazin ZAPP: "Natürlich werden solche Bilder inszeniert. Die
Frage ist dabei immer, wo fängt Inszenierung an und wo hört es auf. Der
Fotograf, der zu spät kommt und sagt zu dem Retter, der ein Kind aus den
Trümmern zieht: Können sie mal einen Moment innehalten? Und dann das Foto
macht, würde ich noch nicht als Inszenierung unbedingt bezeichnen, aber wenn
der Retter natürlich noch mal mit dem Kind zurückgeht, um es noch mal in die
Kamera zu tragen, dann fängt es an inszeniert zu werden, irgendwo."
So ist es gut vorstellbar, dass der Rettungsarbeiter auf
den Bildern von Kana allein deswegen auf allen Bildern zu sehen ist, weil er
den Fotografen die besten, wirksamsten Posen lieferte. Und es ist denkbar,
dass er diese Posen lieferte, um die Weltöffentlichkeit auf die Toten
aufmerksam zu machen. Das muss nicht im Auftrag der Hizbollah passiert sein,
es ist als ein ganz persönlicher Impuls denkbar. Trotz alledem haben die
Bilder von Kana eine Propagandawirkung, allein durch ihre Verbreitung und
dadurch, wie sie von den Medien in einen Kontext gestellt werden. Diese
Propagandawirkung ist klar gegen Israel gerichtet, denn Bilder von toten
Kindern lassen sich kaum in mehr als eine Richtung interpretieren. Selbst
wenn die Hizbollah keinen Anteil an diesen Bildern hatte, konnte sie damit
doch einen Punktsieg im Bilderkrieg verbuchen, der jeden realen Krieg
begleitet.
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