Schlimmer als die Juden:
Israels Araber im Krieg mit sich selbst
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Ich habe die Schnauze voll von diesem Krieg. Unser Haus ist voll mit der
Familie des Schwagers aus Gush Halav. Den ganzen Tag sitzen sie vor der
Glotze und sehen sich libanesische Fernsehprogramme an. Ich habe das Gefühl,
daß ich bald vom Glauben abfalle; denn alle christlichen "Repräsentanten" -
außer den verrückten Evangelisten - identifzieren sich mit der
"Gottespartei" (Hisbollah)." Diese Email schickte ein verzweifelter Christ
aus Nazareth. Es war einer der letzten
Kriegstage, als auch in der größten arabischen Stadt Israel alle paar
Minuten die Sirenen heulten. In wenigen Zeilen beschrieb der das ganze
Dilemma der 1,2 Millionen Araber Israels, ein Fünftel der Bevölkerung des
jüdischen Staates. Viele identifizierten sich mit dem Feind ihres Staates,
obgleich die Raketen der Hisbollah auch sie trafen, einen christlichen
Schreiner in Haifa töteten, zwei kleine muslimische Brüder in Nazareth, eine
drusische Mutter in Mrar. Die Solidarität mit der Hisbollah ging durch alle
Gruppen, Christen wie Moslems, obgleich die Hisbollah im Libanon schiitisch
ist, während die muslimischen Palästinenser Sunniten sind. Zudem ist die
Hisbollah im Libanon mit Christen und vielen Moslems verfeindet, weil die in
der Hisbollah Verbündete der gerade erst aus Libanon verjagten und
verhassten Syrer sehen.
Gegen Kriegsende forderte Hisbollahchef Scheich Hassan Nasrallah in einer
seiner Fernsehreden die Araber im Norden Israels auf, zu fliehen, um
ungestört nur Juden mit den Raketen zu treffen. So wiederholte sich die
Geschichte von 1948, als die arabischen Staaten die Araber in Palästina zur
Flucht aufriefen und ihnen die Rückkehr versprachen, sowie die Juden
vertrieben seien. Die Masse der palästinensischen Flüchtlinge ist damals dem
Ruf gefolgt und sitzt seitdem in Lagern im Libanon, in Syrien, Jordanien, im
Westjordanland und Gaza fest.
Etwa 600 Araber aus der gemischten Stadt Haifa meldeten sich an einem Tag
beim Innenministerium und forderten die sofortige Ausstellung eines
Reisepasses. Sie wollten das Land verlassen. Die Behörden bremsten, indem
sie nur jenen einen Pass versprachen, die schon ein bezahltes Flugticket
vorweisen konnte.
Fast eine Million Israelis ist aus dem Norden nach Tel Aviv, Jerusalem oder
Aschkelon geflohen, unter ihnen aber nur wenige Araber, weil sie es sich
nicht leisten konnten, weil sie zu sehr in ihren Dörfern verwurzelt sind
oder weil sie keine Verwandten in anderen Teilen Israels hatten.
Manche Familien folgten der Empfehlung Nasrallahs und fuhren in die
Palästinensergebiete. Ghani Abassi reiste mit seiner Frau und drei Töchtern
nach Bethlehem, zusammen mit zehn anderen Familien aus Haifa. Doch der
Aufenthalt in Bethlehem dauert nur kurz. Nivin Abassi erzählt: "Nach drei
Tagen sind wir frustriert nach Haifa heimgekehrt. Wir hatten das Gefühl,
ausgebeutet zu werden." Ihr Mann Ghani berichtet: "Wir warteten drei Tage
lang, bis ein Hotelzimmer frei wurde. Dann stellten wir fest, dass die
Klimaanlage nicht funktionierte, angeblich wegen der hohen Strompreise.
Nicht schlecht, dachte ich. Ich war bereit, unter unseren Brüdern in
Palästina die schreckliche Hitze mitzuleiden." Ghani dachte auch, dass er
den palästinensischen Brüdern finanziell helfe. "Aber dann wurden wir
schrecklich herabwürdigend behandelt", sagt Ghani. Junge Männer
drangsalierten seine Frau und Töchter auf der Straße." Sie klopften
schockierende Sprüche, die ich nicht wiederholen kann".
Ein anderer Araber aus Haifa erzählt, dass palästinensische Händler die
Gelegenheit nutzten und Mineralwasserflaschen für 10 anstelle von 4 Schekel
verkauften. "Ihr seid schlimmer als die Juden", wurde die arabischen
Israelis geschimpft. "Wir hörten echte Häme und Schadenfreude heraus, dass
die Raketen auch uns Araber trafen", sagt der Mann, der anonym bleiben
wollte. "Einige haben uns sogar tätlich angegriffen." Angeekelt sei er nach
Haifa zurückgekehrt, trotz der Raketengefahr. Bisher hatte er großzügig den
Palästinensern gespendet und für sie demonstriert. "Jetzt werden die von mir
keinen einzigen Schekel mehr erhalten. Ich dachte, wir seien eine Nation,
dass auch sie schmerzt was uns schmerzt." Der Mann war enttäuscht, weil er
glaubte, dass die "Flüchtlinge" aus Nazareth und Haifa mit offenen Armen
begrüßt würden. Aber genau das Gegenteil geschah. "Ich bedauere, zwei ganze
Tage in Bethlehem verbracht zu haben."
Ähnliches erlebte Ghani Abassi auch in Ramallah. Auch ihn schimpften junge
Palästinenser: "Ihr seid ja genauso, wenn nicht sogar noch schlimmer als die
Juden." Ghani fügte hinzu: "Selbst Touristen wurden dort besser behandelt
als wir."
Nivin Abassi, eine Muslima, beklagte sich nicht nur über die schlechte
Behandlung der Palästinenser in Bethlehem und Ramallah: "Wir Araber haben
das Gefühl, auch von den Israelis nicht voll genommen zu werden. Die wollen
immer nur hören, ob wir für oder gegen die Hisbollah sind. Dabei leiden wir
doch genauso wie die Juden und weinen, wenn es Tote gibt." Sie bezeichnet
diesen Krieg als "überflüssig". Es sei gleichgültig, wer ihn begonnen habe,
auch wenn nicht in Ordnung war, was die Hisbollah getan hat. "Genauso
wichtig ist auch, wie die angegriffene Seite sich damit auseinandersetzt.
Israel musste sich nicht wirklich in diesen Krieg hineinziehen lassen. Es
ist doch schade um die vielen Menschen, Zivilisten wie Soldaten." |