Ca. 50.000
pro-islamische Türken demonstrierten vergangene Woche in Istanbul gegen die
israelische Aktion in Gaza, einen Tag nachdem der türkische Aussenminister
Israels Reaktion auf die Entführung des Soldaten Gilad Shalit als
"erschreckend" bezeichnet hatte.
Die Demonstranten trugen Schilder mit der Aufschrift "Schaut der
Unterdrückung nicht untätig zu", "Wacht auf Moslems" u.a., und sie
verurteilten die Tötung Unschuldiger und die Tatsache, dass die
internationale Gemeinschaft sich nicht einschaltet, um sie zu schützen.
Der türkische Außenminister, Abdullah Gül, hatte am Samstag scharfe
Kritik an Israel geübt, gleich nach seinem Besuch in Teheran, wo er mit
Vertretern der Nachbarstaaten des Irak zusammengetroffen war. "Die Tötung so
vieler unschuldiger Palästinenser vor den Augen der Welt ist erschreckend",
sagte er.
Die Türkei rief Israel mehrmals auf, die Aktion in Gaza einzustellen, und
Premier Erdogan sprach sogar mit US-Präsident Bush und UN-Generalsekretär
Annan und versuchte, sie zu einer Unterstützung seiner Haltung zu überreden.
Dr. Alon Liel, der ehemaliger Charge d'affaires Israels in der Türkei
kommentierte die Vorgänge in Israels Tageszeitung M'ariw: Die erneute
israelische Invasion in Gaza ist bei unseren Beziehungen zur Türkei eine
rote Grenze.
Die Zehntausenden Demonstranten, die gestern in Istanbul gegen Israel
protestierten, sind nur ein Hinweis darauf, was noch passieren könnte. Im
März-April 2004 konnten wir uns gerade noch aus der Krise nach den
Liquidierungen von Jassin und Rantissi retten. Sechs Monate lang wurden wir
ununterbrochen wegen der "Terrorpolitik Israels" verurteilt, und diese
Verurteilungen hörten erst auf, als wir Ankara überzeugen konnten, dass
Ariel Sharon die Räumung des Gazastreifens und Nordsamarias vor Augen hat.
Sollte die Aktion in Gaza die IDF für längere Zeit im Gazastreifen lassen
und einige hundert palästinensische Todesopfer zur Folge haben, können wir
die islamische Regierung der Türkei vergessen.
Man darf nicht vergessen, dass Israel im Verlauf von 2005 vorübergehender
Kredit eingeräumt wurde. Ariel Sharon gelang es bei persönlichen Treffen mit
Premier Erdogan und Außenminister Gül, die beiden davon zu überzeugen, dass
Israel eine Räumung der Gebiete und Frieden verfolgt. Die Liquidierung der
politischen Führer der Hamas geriet in Vergessenheit. Jetzt kommt alles
wieder an die Oberfläche.
Aus der Sicht Ankaras bewegt sich Israel wieder einmal in die falsche
Richtung. Israel muss verstehen, dass Erdogan die Gewinner der Wahlen in der
PA nicht als Terroristen betrachten kann. Auch wenn sie in der westlichen
Welt als solche gelten, ähnelt die politische Hamas zu sehr der türkischen
"Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung", als dass die türkische Regierung
sie als Terrororganisation werten könnte.
Die israelische Regierung muss bedenken, dass eine anhaltende
Militäraktion in Gaza vielleicht die Kassam-Beschüsse dämpfen und Bei Hanun
säubern wird, jedoch auch gleichzeitig den besonderen Beziehungen, die
Israel seit über zehn Jahren zur Türkei unterhält, den Inhalt nehmen wird.